Fridays for Future und viele weitere Klimaschutzorganisationen rufen am 3. März zum nächsten globalen Streik auf. Die Bedingungen haben sich nach einem Jahr Krieg dramatisch verändert, die Herausforderungen bleiben.
Deutschland hat im vergangenen Jahr seine Klimaziele verfehlt. Um fünf Millionen Tonnen. Das ist das Ergebnis von Auswertungen, die Agora Energiewende zum Jahreswechsel vorgelegt hat. Agora Energiewende ist eine Denkfabrik und Lobby-Organisation in Sachen Energiewende und einer der wichtigsten Akteure in Sachen Energiepolitik.
Nach der Auswertung der vorläufigen Zahlen hat Deutschland im vergangenen Jahr 761 Millionen Tonnen Treibhausgase emittiert, und liegt damit um eben fünf Millionen Tonnen über der selbstgesetzten Obergrenze.
Allein diese Zahl ist für Klimaaktivisten in Deutschland ein guter Grund, sich am nächsten globalen Klimastreik zu beteiligen. Es ist aber längst nicht der einzige.
Die Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm El-Scheich war aus Sicht vieler Klimaaktivisten ziemlich frustrierend. Teilnehmer dieser COP 27 kritisierten vor allem die ägyptische Konferenzleitung als ziemlich überfordert und nur mäßig ambitioniert. Ganz im Gegensatz zu dem Motto Together for just, ambitious implementation NOW (Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung JETZT). Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wurde einmal mehr deutlich.
Energie gespart – Kohle verfeuert
Im vorläufigen Klimazustandsbericht der Weltorganisation für Meteorologie wurde einmal mehr sichtbar, vor welcher Situation die Welt steht. Die zurückliegenden acht Jahre waren die bislang wärmsten seitdem Aufzeichnungen gemacht werden. Der Meeresspiegel steigt immer schneller, Gletscher schmelzen in rasanter Geschwindigkeit, die Konzentration von Treibhausgasen hat erneut einen Höchststand erreicht, kurzum: Die Klimaziele des berühmten Pariser Abkommens von 2015, nämlich eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad einzudämmen, scheint kaum noch erreichbar. Entsprechend drastische Worte fand denn auch UN-Generalsekretär António Guterres. Die Welt befinde sich weiter auf einem Highway zur Klimahölle und habe den Fuß weiter auf dem Gaspedal.
Auf den letzten Drücker und in der Verlängerung wurden dann doch noch Beschlüsse gefasst, die die Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch mit den Worten kommentierte: „Mit großer Mühe: Weltgemeinschaft rettet wesentliche Elemente für globalen Klimaschutz". Versuche, das Pariser Klimaschutzabkommen angesichts der globalen Spannungen zu versenken, seien letztlich abgewehrt worden. „Das 1,5 Grad-Limit bleibt das elementare Ziel im globalen Klimaschutz – und es ist noch immer erreichbar", meint Germanwatch, auch wenn die Welt davon „immer noch weit entfernt" sei. Als positiv bewertet Germanwatch den Durchbruch bei einem Fonds zum Ausgleich von Schäden und Verlusten infolge des Klimawandels, auch wenn dessen Finanzierung erst noch im Detail zu klären ist.
Was öffentlich weniger wahrgenommen wurde, sind sogenannte Klimapatenschaften, wie sie beispielsweise Deutschland mit Indonesien und Kenia abgeschlossen hat mit dem Ziel, die Energiewende zu beschleunigen.
Gleichzeitig blieb die Bundesregierung in der Kritik, weil sie die Erschließung neuer Gasfelder (beispielsweise Senegal) mit unterstützt.
Das wiederum ist unter anderem eine Folge des Krieges verursacht durch den Überfall Russlands auf die Ukraine.
Der hatte die extreme Abhängigkeit Deutschlands (und Europas) von russischem Gas und Öl auf einen Schlag offenbart. Umwelt- und Klimaschützer prangern das aber schon seit langem an und fordern deshalb einen forcierten Ausbau erneuerbarer Energien.
Die Folgen des Krieges und der Sanktionen zeigen aus energiepolitischer Sicht unterschiedliche Gesichter.
Im Bemühen, zumindest die Energieversorgung kurzfristig so sicher zu stellen, dass die Wirtschaft nicht zusammenbricht und im Winter die Heizungen nicht kalt bleiben, hat die Bundesregierung Maßnahmen auf den Weg gebracht, die vorher undenkbar waren.
Ausgerechnet der grüne Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck musste in atemberaubendem Tempo Dinge umsetzen, die reihenweise grüne Essentials über den Haufen warfen: Verlängerung von AKW-Laufzeiten („Streckbetrieb"), Bau von LNG-Terminals in einem Tempo, dass einem angesichts der jahrelangen Unmöglichkeit, Stromtrassen zum Transport von grünem Strom voranzubringen, fast schwindelig werden könnte.
Diese LNG-Terminals sind auch einer der Punkte, die beispielsweise Fridays for Future ins Zentrum der Kritik am globalen Klimastreiktag rücken wollen. „Während LNG-Terminals in nicht mal einem Jahr gebaut werden und somit neue fossile Infrastruktur geschaffen wird, stoppt der Ausbau der erneuerbaren Energien immer noch, Klimaziele werden von Ministerien gebrochen und nicht mal ausreichende Pläne zur Einhaltung der Klimaziele vorgelegt!", heißt es unter anderem im Aufruf zum Klimastreik.
1,5 Grad nur noch schwer erreichbar
Gleichzeitig hat es Deutschland aber geschafft, Energie einzusparen. Nicht aus guter Einsicht für den Klimaschutz, sondern schlicht unter dem Druck explodierender Energiepreise. Vieles, was vor dem 24. Februar 2022 von den einen als unabdingbar notwendig gefordert, von den anderen aber schlicht nicht realistisch machbar zurückgewiesen wurde, schien also plötzlich zu gehen. Der Emissionsbilanz hat es am Ende in der Summe trotzdem wenig geholfen. Denn um drohendem Energiemangel über den Winter zu begegnen, wurden nicht nur die Laufzeiten der drei letzten AKWs befristet verlängert, sondern auch wieder Kohlekraftwerke aktiviert. Bei den mühsam errungenen Ausstiegsszenarien musste der Zeitenwende Tribut gezollt werden.
Gleichzeitig macht eben jener Robert Habeck, der so viele grüne NoGos über den Haufen werfen musste, Druck beim Ausbau erneuerbarer Energien. Vor allem sollen Planungs- und genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden, ob für den Bau von Wind- und Solaranlagen oder den Ausbau von Stromleitungsnetzen. Was bei LNG-Terminals geht, sollte jetzt (endlich) auch in anderen Bereichen möglich sein.
Auch im Verkehr hat die „Zeitenwende" infolge des Krieges etwas zuvor als völlig utopisch Erscheinendes möglich gemacht. Das (befristete) Neun-Euro-Ticket, eine schnelle Notmaßnahme auch zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, hat gezeigt, was alles möglich ist. Damit war der Druck auf eine Nachfolgelösung so groß, dass sich keiner ein Scheitern wirklich hätte leisten können. Jetzt kommt ein 49-Euro-Ticket – und die Anhänger der Individualmobilität wollen auch auf ihre Kosten kommen. Wenn schon Beschleunigungen an so viele Stellen plötzlich möglich sind, dann auch beim Straßenbau. Ein Beispiel dafür, dass alte Konfliktlinien (und Verteilungskämpfe) nach wie vor und in mindestens gleicher Vehemenz bestehen.
Während Grüne in Regierungsverantwortung realpolitische Verantwortung übernehmen mussten, haben sich gleichzeitig Teile der Klimaaktivistenszene in ihren Protestformen radikalisiert. Die Aktionen der „Letzten Generation" haben zweierlei bewirkt: In den realpolitischen Notwendigkeiten dafür zu sorgen, dass das Klimaschutzthema nicht aus der Aufmerksamkeit verschwindet, gleichzeitig aber dem Thema nur bedingt einen Gefallen getan, weil am Ende mehr über die Protestformen als das Anliegen diskutiert wurde.
Stützen können sich Klimaaktivisten und Umweltschützer vor allem auf einen wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor zwei Jahren (März 2021). Das hatte im Kern ein „ökologisches Existenzminimum" betont und daraus eine „Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen" abgeleitet. Ein Beschluss, der durch die Bank als „bahnbrechend" eingeordnet wurde.