Die US-Amerikaner fühlen sich erschöpft vom ewigen Krieg zwischen Demokraten und Republikanern. Der steht im Vorwahlkampf wieder am Anfang: in der linken Ecke Joe Biden, in der rechten ein gewisser Geschäftsmann mit vier anhängigen Verfahren, darunter Anstiftung zum Aufstand.
In knapp einem Jahr ist es wieder so weit: Die größte Demokratie der Welt wählt einen neuen Präsidenten. Es treten an: die beiden alten Kontrahenten. Dass die Republikaner in den Vorwahlen einen anderen Kandidaten als Trump wählen, gilt als ausgeschlossen; vorausgesetzt, er ist dann noch auf freiem Fuß. Auch Joe Biden will wieder in den Ring steigen – trotz der arg gequält wirkenden Zustimmung vieler Demokraten, die ihn mittlerweile für viel zu alt halten. Schon wieder, wie noch 2020, haben die US-Amerikaner aus ihrer Sicht nur die Wahl zwischen einem großen oder kleinen Übel. Die Parteipräferenz bestimmt, welcher der beiden Kandidaten welche der beiden Kategorien ausfüllt.
Kulturkampf bis zum Stillstand
Was macht das mit dem Wähler? Er fühlt sich laut einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Pew Research Centers immer öfter erschöpft, wenn er über Politik nachdenkt. Die Mehrheit ist der Meinung, dass der politische Prozess von Sonderinteressen dominiert wird, mit Wahlkampfgeldern überschwemmt wird und in einem Parteikrieg versinkt. Gewählte Amtsträger werden weithin als eigennützig und ineffektiv angesehen. Die parteiliche Polarisierung greift immer tiefer. 86 Prozent der Amerikaner glauben, dass die beiden Parteien eher einander bekämpfen, als dass sie sich um die Probleme der Bevölkerung kümmern.
Die Lüge der Wahlfälschung 2020 vertieft die Gräben zwischen den beiden Parteien nahezu ins Bodenlose, fleißig bearbeitet von beiden Seiten. Sowohl progressive Demokraten, als auch erzkonservative Republikaner treiben mittlerweile ihre Parteien vor sich her. Die Bereitschaft von links, im Vorfeld der Wahlen Geschlossenheit hinter Joe Biden zu demonstrieren, scheint jedoch größer als die von rechts. Die Haltung der Trump-nahen Republikaner zwingt die Grand Old Party (GOP) Farbe zu bekennen – und immer weiter nach rechts zu rücken. Dass sich die Abgeordneten im Repräsentantenhaus darauf einigen können, einen erzkonservativen, evangelikalen Leugner der rechtmäßigen Wahl Bidens als Sprecher des Repräsentantenhauses und damit formal als Nummer zwei in der Amtsnachfolge des Staates zu akzeptieren, spricht Bände.
Auch die Demokraten kämpfen intern um Deutungshoheiten. Nach den scharfen Attacken von Linksaußen im vergangenen Wahlkampf sind die Töne derzeit vergleichsweise moderat. Der Krieg Israels gegen die Hamas aber sorgt dennoch für Missstimmung. Allzu undifferenzierte Unterstützung der palästinensischen Sache seitens einiger Abgeordneter zeigt die gleichen Konfliktlinien links der Mitte wie in Deutschland, während der Präsident „felsenfest“ an der Seite Israels steht. Gleichzeitig setzt sich die Partei mit tiefgreifenden Änderungen in ihrer Wählerschaft auseinander. Obwohl Joe Biden als erster US-Präsident streikende Ford-Angestellte besuchte und sich solidarisch zeigt, wenden sich immer mehr Gewerkschafter von den Demokraten ab und den Republikanern zu. Selbst die überwältigende Mehrheit der schwarzen oder hispanischen Wählergruppen kann nicht mehr eindeutig den Demokraten zugeordnet werden.
Neue Konflikte durch Krieg in Gaza
Das gespaltene Parteiensystem der USA ringt um neue Wählergruppen. Republikaner und Demokraten haben sich als Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen der US-Gesellschaft über die Jahrhunderte immer wieder neu erfunden. Dieser Prozess ist erneut im Gange. Wie er sich in den kommenden Wahlen niederschlagen wird, ist offen. Das US-Center for Politics der University of Virginia hat bereits im Sommer einen „Blick in die Kristallkugel“ geworfen. Bislang befände sich laut einer Untersuchung der Politologen, Biden auf dem Weg zur Wiederwahl. Nach ihrer Einschätzung werden die Wahlen so verlaufen, dass die Staaten 260 Wahlmänner für die Demokraten und 235 für die Republikaner nach Washington schicken werden. 43 Wahlmänner seien aber noch unklar – diejenigen aus Arizona, Nevada, Wisconsin und Georgia. Die unabhängige Wahldaten-Seite „270towin“ zählt mittlerweile auch Pennsylvania zu den noch nicht eindeutig zugerechneten Staaten. 270 Wahlmänner sind nötig, um ins Weiße Haus einzuziehen. Welche Staaten das Zünglein an der Waage werden, entscheidet sich nach einem erwartbar heißen Wahlkampf. Ob dieser die Amerikaner aber begeistern wird, ist mehr als fraglich.