Das erste Urteil aus Karlsruhe zur Schuldenbremse hat nicht nur die aktuellen Finanzplanungen vor gehörige Herausforderungen gestellt. Die Schuldenbremse selbst wird in ihrer derzeitigen Konstruktion infrage gestellt.
Reiner Haseloff war sichtlich in Rage: „Sagen Sie dem Kanzler einen schönen Gruß von mir und teilen Sie ihm mit, wir brauchen hier endlich eine klare Ansage von ihm, wie das mit der Schuldenbremse und dem Sondervermögen weitergehen soll!“ Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident ist an prominenter Stelle einfach mal der Kragen geplatzt. Auf der Plenarebene des Bundesrates stellt er den Kanzleramtsminister und engsten Vertrauten von Olaf Scholz, Wolfgang Schmidt (SPD), in aller Öffentlichkeit zur Rede.
Haseloff gilt eigentlich als sehr ruhiger und besonnener Politiker. In den Reihen der Unions-Ministerpräsidenten spielt er politisch gern nur die zweite Geige und drängt sich ungern ins Rampenlicht. Doch für den 69-jährigen Regierungschef aus Sachsen-Anhalt geht es um einiges. Die Finanzierung einer geplanten Chip-Fabrik bei Magdeburg steht auf dem Spiel.
Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, überrascht von dem aufbrausenden Ministerpräsidenten, muss sich an diesem Morgen in der Länderkammer, direkt am Potsdamer Platz in Berlin, auch von anderen Ministerpräsidenten einiges anhören. Nicht nur in der Ampelregierung liegen nach dem Grundsatzurteil aus Karlsruhe die Nerven blank, sondern auch bei vielen Länderchefs und -chefinnen.
Konsequenzen aus Karlsruher Urteil
Schließlich hat nicht nur der Bund Sondervermögen, sondern auch die Länder. Und die könnten nun ebenfalls zur Disposition stehen.
Aber genau kann das derzeit noch niemand wirklich sagen. Der Spruch aus Karlsruhe, oder korrekter: die Begründung für die höchst komplexe Angelegenheit, wird derzeit intensiv analysiert und interpretiert. Gleichzeitig stehen sowohl die Ampelkoalition als auch die Länder unter enormem Druck.
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) bringt es auf den einfachen Punkt: „Die Schuldenbremse darf keine Investitionsbremse sein“, und erntet reichlich Applaus, nicht nur von ihren sozialdemokratischen Amtskollegen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) war einer der ersten in der Unions-Familie, der nicht nur die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form infrage stellt, sondern die Sinnhaftigkeit der seit 2009 geltenden Schuldenbremse überhaupt auf den Prüfstand stellt.
Neues Nachdenken bei CDU
Die Schuldenbremse war eine Konsequenz daraus, dass die Verschuldung öffentlicher Haushalte vieler Länder immer weiter stieg und auszuufern drohte. Die Bankenkrise erhöhte die Sensibilität für das Verschuldungsthema und beschleunigte damit die schon vorher laufende Diskussion um ein Instrument zur Begrenzung. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) entwickelte daraufhin die Idee zur Schuldenbremse. Demnach dürfen Länder zur Finanzierung des laufenden Haushalts keine Schulden aufnehmen, der Bund darf das nur minimal (maximal 0,35 Prozent des Haushalts). Allerdings gab es eine Ausnahmeregelung für den Fall besonderer Notlagen. Dazu zählten beispielsweise die Finanzkrise, die Pandemie oder die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Die Karlsruher Richter haben nun für unzulässig erklärt, dass Mittel, die zur Bewältigung der Corona-Krise vorgesehen waren, umgewidmet wurden für den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Nach Auffassung der Verfassungsrichter ist auch nicht jede Herausforderung, der sich die Politik stellen muss, gleich ein Ereignis von nationaler Tragweite, das die Feststellung einer Notlage begründen kann, was Voraussetzung für zusätzliche Verschuldung wäre.
Nach dem Spruch aus Karlsruhe steht die Schuldenbremse beziehungsweise deren Konstruktion wieder zur Diskussion.
Die Vorschläge reichen von einer Abschaffung bis zu einer Modifizierung, beispielsweise dadurch, dass Investitionen ausgenommen werden könnten. Auch bei der CDU hat eine neue Nachdenklichkeit Raum gegriffen. Während Teile der Partei immer noch auf einer strikten Einhaltung bestehen, können sich die CDU-Ministerpräsidenten vor dem Hintergrund praktischer Erfahrung eine Entschärfung gut vorstellen.