Auf den ersten Blick passt Steffen Baumgart sehr gut zu Union Berlin – auch wegen seiner Vergangenheit als Spieler bei den Eisernen. Doch ist er als Trainer wirklich besser als sein Vorgänger? Schon der Januar wird dafür ein Fingerzeig.
Die enorme Popularität, die Steffen Baumgart bei den Fans von Union Berlin trotz seiner nur zweijährigen Profizeit im Club genießt, hat auch etwas mit Marco Rose zu tun. Der heutige Trainer von RB Leipzig war damals Spieler des 1. FSV Mainz 05 und zu Gast bei Union, als Baumgart sein Debüt für die Eisernen gab. „Es gab eine Szene, gleich im ersten Spiel gegen Mainz, da bin ich 20 Minuten vor Schluss reingekommen und habe an dem schönen Häuschen das erste Tackling gemacht – und Marco Rose war mein Opfer“, erzählte Baumgart: „Und danach stand der ganze Block. Danach ist irgendwie eine Liebe entstanden, die nicht mehr weggegangen ist.“ Baumgart trug Union auch nach seinem Abschied 2004 immer in seinem Herzen, und bei den Fans genießt der gebürtige Rostocker noch immer Kultstatus.
Was viele aber vergessen: Es waren längst nicht alle begeistert gewesen von der Verpflichtung des damals 30 Jahre alten Profis. Der heutige Medienchef Christian Arbeit zum Beispiel habe damals gesagt: „Scheiße, jetzt holen wir wieder einen alten Sack.“ Das verriet Baumgart bei seiner Vorstellung als neuer Union-Trainer. Arbeit, der neben ihm auf dem Podium stand, grinste und verbesserte den Coach leicht: „So einen abgehalfterten Bundesligaspieler, habe ich gesagt.“ Warum Baumgart diese Anekdote zum Start bei seinem neuen alten Club erzählte? Weil ihm auch diesmal Skepsis entgegengebracht wird. Schließlich hatte er beim Hamburger SV und auch in der Schlussphase beim 1. FC Köln keine Erfolge als Trainer. Deswegen wäre es „doch schön“, sagte Baumgart, wenn er das Ganze bei Union wieder ins Positive drehen könnte – „nur dass ich jetzt nicht mehr tackle“, schränkte der 53-Jährige lächelnd ein.
Keine Frage: Steffen Baumgart passt angesichts seiner Union-Vergangenheit und auch seiner direkten und unbeugsamen Art zunächst einmal sehr gut zum Club aus Berlin-Köpenick, der sich auch gern als nicht-stromlinienförmig inszeniert. Doch ist er als Trainer wirklich besser als Bo Svensson, der von Union nach nur einem halben Jahr im Amt auf Tabellenplatz zwölf mit 17 Punkten aus 15 Spielen wieder weggeschickt wurde? Da haben einige ihre Zweifel. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb in einem Kommentar von einer „gefährlichen Traumehe“. Die „Berliner Morgenpost“ erinnerte an das überholte Versprechen von Präsident Dirk Zingler, dass bei Union kein Trainer gefeuert werde, nur weil dieser mal ein paar Spiele verliert.
Baumgart dürften die meisten Fans dennoch mit offenen Armen empfangen, weil der frühere Stürmer mit seinen 22 Treffern in 68 Pflichtspielen von 2002 bis 2004 bleibenden Eindruck hinterließ. Und weil er bei mit seiner Schiebermütze und der gehockten Haltung am Spielfeldrand als Trainer ähnlich kultig abgefeiert wird wie der Club selbst. Aber was, wenn das Experiment schiefgeht? Was, wenn sich die Talfahrt unter Baumgart fortsetzt und der Trainerwechsel ohne Wirkung verpufft? Dann dürften nicht nur der neue Coach, sondern auch die Verantwortungsträger in Erklärungsnot geraten.
Viel Zeit bleibt Baumgart nicht. Nach dem Testspiel an seinem 53. Geburtstag am vergangenen Sonntag gegen Ligarivale Holstein Kiel steht am Samstag (11. Januar) schon der Ligastart an. Gegen den 1. FC Heidenheim heißt es: verlieren verboten! Ansonsten ist der aktuelle Tabellen-16. nur noch vier Punkte von Union entfernt. Auch danach stehen in den Partien gegen den FC Augsburg, Mainz 05 und den FC St. Pauli richtungsweisende Duelle im Januar an. Danach ist eine erste Bilanz, ob sich der Trainerwechsel wirklich gelohnt hat, bereits möglich. Baumgart muss also sofort liefern. Die Winterpause ist zu kurz, um wirklich weitreichende taktische Veränderungen vorzunehmen. Baumgart wird versuchen, neue Energie über Gespräche herauszukitzeln und kleinere Rädchen zu drehen, die möglichst das ganz große Rad wieder ins Rollen bringen. „Es wird klare Ansagen geben, wo wir hinwollen“, versicherte der neue Trainer.
Kein Risiko, sondern eine Chance
Einen Vorgeschmack darauf gab auch die Pressekonferenz bei der offiziellen Vorstellung, bei der Baumgart ein wahres Sprüche-Feuerwerk abfeuerte. „Wir wollen das Ding anzünden. Und ich weiß, wie man das Ding anzündet“, sagte er beispielsweise. Nach seiner Entlassung beim Hamburger SV im November sprüht der Coach nur so vor Energie. „Ich hatte sechs Wochen Pause. Das reicht“, sagte er: „Ich bin hier, um es ins Laufen zu bringen.“ Damit meinte er aber nicht direkt seine Spieler, denn konditionell müsse er keine Nachjustierungen vornehmen: „Die Mannschaft ist topfit.“ Woran es bei Union hapert, hat Baumgart auch aus der Ferne gut mitbekommen: an der harmlosen Offensive. In den bisherigen 15 Ligaspielen traf Union nur 14-mal – es ist die Bilanz eines Absteigers. „Wir müssen den Weg nach vorne finden“, weiß Baumgart. Als erste Amtshandlung verweigerte der Coach daher auch Stürmer Ivan Prtajin einen längst geplanten Winter-Wechsel. Der 28-Jährige, der beim 1. FC Köln, Hertha BSC und Hannover 96 hoch im Kurs gestanden haben soll, bekommt nun eine neue Bewährungschance. Auch andere Offensivkräfte wie der lange verletzte Ex-Nationalspieler Kevin Volland erhoffen sich nun bessere Perspektiven.
Angst, seinen noch tadellosen Ruf bei Union durch ein womöglich missglücktes Trainer-Engagement zu versauen, hat Baumgart nach eigener Aussage nicht. „Nach den zwei Jahren stand ich dem Verein sehr nahe. Ich sehe es nicht als Risiko, sondern als Chance“, sagte er. Auch wegen dieser Einstellung ist er bei Union gelandet. Man habe mit einigen Trainern als mögliche Svensson-Nachfolger gesprochen, verriet Sportchef Horst Heldt: „Von Steffen waren wir am meisten überzeugt.“ Dessen Vergangenheit bei Union sei bei der Trainerfindung ein klares Plus gewesen: „Es ist ein Vorteil, mit einem Trainer zu arbeiten, der alles kennt.“ Und der auch seine Chefs kennt. Heldt hatte Baumgart schon 2021 zum 1. FC Köln geholt – doch wirklich lange zusammengearbeitet haben die beiden nicht. „Nachdem ich Steffen verpflichtet habe, war ich vier Wochen später meinen Job los“, sagte Heldt. Er scheute sich aber nicht, es erneut mit diesem Trainer zu versuchen. „Ich bin optimistisch, dass das jetzt nicht wieder nicht passiert“, scherzte Heldt.
Um Entlassungen zu vermeiden, sind bekanntlich Siege das beste Rezept. Und die gab es unter Svensson zuletzt nicht mehr. Dass er auf ein – sinnbildlich gesehen – sinkendes Schiff gekommen ist, glaubt Baumgart nicht. Union sei „mittlerweile kein Underdog mehr in der Bundesliga, sondern ein gestandener Verein“, betonte er. Das erste Mal überhaupt habe er ein Angebot von einem Club erhalten, der kürzlich noch in der Champions League gespielt habe. „Und wenn Sie da mal ein Angebot kriegen und sagen ‚nein‘ – das fällt schwer“, sagte Baumgart bei der Vorstellung in Richtung der Journalisten. Seine Sympathie für den Club und den Berliner Stadtteil Köpenick hätten dabei angeblich überhaupt keine Rolle gespielt. „Das hat nichts mit Köpenick zu tun“, betonte Baumgart vehement, „sondern das hat etwas mit meiner Arbeit zu tun. Auch mit den Zielen, die ich als Trainer habe. Ich bin mir relativ sicher, dass ich bei einem sehr, sehr guten etablierten Bundesligisten gelandet bin.“