Nova Gorica in Slowenien ist Europäische Kulturhauptstadt – zusammen mit ihrer italienischen Nachbarin Gorizia. Auch eine Tour durch die benachbarte Weinregion ist ein grenzenloses Vergnügen.

Was es für die Grenzerfahrung(en) an Ausrüstung braucht? Keine Zeitmaschine, auch wenn man gleich Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit reist. „Bequeme Schuhe“ – das aber empfiehlt Museumskurator David Kožuh, bevor es losgeht. Mit Audioguide im Ohr und offenen Augen führt der Spaziergang nicht nur durch eine, sondern gleich durch zwei Städte. „Achten Sie auf Unterschiede“, gibt er Besuchern mit auf den Weg. „Und darauf, was uns in der Mitte Europas verbindet.“
Hier Nova Gorica in Slowenien, dort Gorizia in Italien: Beide Orte zusammen sind neben dem deutschen Chemnitz die zweite, in diesem Fall also sogar binationale Europäische Kulturhauptstadt 2025. Das ist eine Premiere – und so einzigartig wie die Geschichte der beiden Städte, die durch Europas Teilung lange getrennt waren und heute wieder zusammenwachsen. Eigentlich hätte nur Slowenien das Kultur-Event ausrichten sollen, streng genommen dürfte sich nur Nova Gorica im Scheinwerferlicht sonnen. Doch die Organisatoren wollten dem selbstgewählten Motto „Go! Borderless“ gerecht werden und auch die Nachbarn mit einbeziehen. „Nova Gorica und Gorizia sind Zwillinge“, meint Kulturhauptstadt-Direktorin Mija Lorbek. „Man muss Brücken bauen, damit irgendwann auch die Grenzen im Kopf verschwinden.“ Deswegen setzt das Programm seinen Schwerpunkt bei den vielen Hundert Veranstaltungen weniger auf Events, bei denen Sprache eine große Rolle spielt: Ausstellungen, Musik und Tanz verstehen alle gleich gut.
„Man muss Brücken bauen“

Los geht die Stadttour an einem Platz, der bis heute zwei Namen trägt: Hier Trg Evrope, dort Piazza della Transalpina. 2007 wurde groß gefeiert, als Slowenien Teil des Schengen-Raums wurde und es sich für viele so anfühlte, als sei die Grenze zu Italien nur noch eine Markierung auf der Landkarte. 1947, als nach dem Zweiten Weltkrieg die Region aufgeteilt wurde, lief es genau umgekehrt. Zuerst gab es einen Kreidestrich, der nicht übertreten werden durfte. Später wurden Holzpfähle in den Bahnhofsplatz eingelassen. Dann kam der Zaun: Die Häuser der Eisenbahnangestellten lagen nun in Italien, der prächtige Jugendstilbahnhof selbst, ein Stopp auf der alten Strecke von Wien nach Triest, in Jugoslawien. Die neue Grenze trennte ein paar Kilometer weiter auch eine Kuh von ihrem Besitzer, weil sie zwischen Stall und Wohnhaus verlief. Sie zerschnitt einen Friedhof, sodass die Menschen die Gräber ihrer Angehörigen nicht mehr besuchen konnten. Und schlug landauf, landab weitere Wunden, die heute zwar verheilt sind, aber oft noch sichtbar.

Gut 400 Jahre lang wurde die Grafschaft Görz von den Habsburgern regiert und galt als das Juwel im österreichischen Küstenland. Wer durch die Gassen mit Kopfsteinpflaster durchs italienische Gorizia schlendert, sieht unterhalb der Burg zwischen den prächtigen Palazzi mit ihren verwunschenen Innenhöfen deshalb auch überraschend Kirchen mit Zwiebeltürmen und bekommt im Kaffeehaus bis heute leckeren Apfelstrudel. Nach blutigen Kämpfen an der Isonzo-Front fiel die Region nach dem Ersten Weltkrieg an Mussolinis Italien, der die Kultur der Slowenen auszulöschen versuchte. Während des Zweiten Weltkriegs rächten sich dann jugoslawische Partisanen und verübten ihrerseits Massaker. 1947 fiel mit der neuen Grenzziehung der historische Stadtkern mit seiner fast tausendjährigen Geschichte komplett an Italien. Daraufhin wurde in Jugoslawien als bewusster Gegenpol eine sozialistische Modellstadt aus dem Boden gestampft, als neues urbanes Zentrum am Reißbrett entworfen von einem Schüler von Le Corbusier. Nova Gorica wurde zwar nie wie geplant zu Ende gebaut, doch für Architekturfans ist das Zentrum mit den Verwaltungsgebäuden im Stil des Betonmodernismus und den breiten Boulevards seither eine Pilgerstätte.
Ein bunter Mix an Sprachen

So getrennt wie Berlin während der deutsch-deutschen Teilung waren Gorizia und Nova Gorica aber nie: Mit speziellen Ausweisen konnten die Bewohner beider Seiten den Eisernen Vorhang bald überwinden. Entsprechend viel wurde geschmuggelt: Kaffee, Jeans und Schallplatten nach Jugoslawien, Fleisch und Pflaumenschnaps nach Italien. Wie kreativ die Menschen damals vorgingen, erzählen die Schmugglermuseen am einstigen Grenzübergang von Pristava. Heute ziehen Slowenen nach Italien um, weil die Wohnungen dort billiger sind, und die Italiener bevölkern die Restaurants in Slowenien. In der Luft liegt ein bunter Mix an Sprachen, die historische Multikulturalität lebt langsam wieder auf – und die Provinzstadt ist ungewöhnlich kosmopolitisch.

Nicht nur in Nova Gorica und Gorizia betont man inzwischen das Verbindende, sondern auch in der heute geteilten historischen Weinregion vor den Toren der Zwillingsstädte. Was in Slowenien Brda genannt wird und man in Italien als Collio kennt, heißt auf alten Karten noch Görzer Hügelland – in allen Sprachen dieselbe nüchterne Beschreibung. Dabei entpuppt sich die Region als ein opulentes, von den Alpen zur Adria hin auslaufendes Schlaraffenland voller terrassierter Weinparzellen, aufgelockert durch Gärten mit Kirschbäumen und Kakipflaumen, Olivenhainen und Feigenplantagen, gekrönt von winzigen Dörfern mit riesigen Wehrtürmen. Hand aufs Herz: Die Toskana ist auch nicht schöner!
„Wir stehen hier oft mit einem Fuß in Slowenien und mit dem anderen in Italien“, lacht Vesna Valentinčič. „Man erkennt es meist nur am anderen Straßenbelag.“ Im Örtchen Šmartno gibt es bei der sympathischen Entrepreneurin E-Bikes zu mieten und verschiedene Sorten Olivenöl zu verkosten. Wer nicht nur auf den beschilderten Wegen des Alpe-Adria-Trails unterwegs sein will, der die Region quert, streift mit Wanderführerin Vesna auf alten Schmugglerpfaden durch Brda und Collio. So geht es mit ihr vorbei an vielen Kapellen und Winzerhöfen zum Renaissanceschloss Dobrovo, in dessen restauriertem Gewölbekeller die edelsten Tropfen der Winzerkooperative Klet Brda verkostet werden.
„Ars Sine Finibus“ – Kunst ohne Grenzen – heißt ein Projekt, das die Weinregionen Brda und Collio in diesem Jahr in ein Freilichtmuseum verwandeln will. 30 Künstler unter 35 Jahren aus Italien und Slowenien werden bald als gemischte Tandems Installationen und Skulpturen aus recycelten Materialien herstellen, um sie dann in den Weinbergen auszustellen. Geschaffen werden soll nicht nur ein gemeinsamer Raum für neue Kreativität: Es geht den Organisatoren auch darum, eine neue Generation an Künstlern zu fördern, die sich als Europäer fühlt.
Erster gemeinsamer Wein über die Grenze

Initiiert haben das Projekt Matjaž Četrtič aus Slowenien und Robert Prinčič aus Italien. In ihrem Tagesgeschäft huldigen die beiden Winzer jeder für sich der weißen Rebula-Traube, die bei kleinem Ertrag große Weine hervorbringt. Der magere Opoka-Boden und der Kontrast aus Adriasonne am Tag und kalter Alpenluft in der Nacht sind Grundlagen für Weine mit Finesse und Mineralität. Für ein Herzensprojekt haben sich die beiden vor ein paar Jahren zusammengetan, um einen der ersten grenzüberschreitenden Weine Europas zu kreieren.
Die Geschichte von Rebolium Sinefinis ist ziemlich prickelnd. „Unsere Trauben wachsen auf Feldern, die oft nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. Doch hier ist eben Slowenien, dort schon Italien. Weil wir daraus einen gemeinsamen Wein keltern, ist das laut Vorschrift ein Makel“, erzählt Winzer Matjaž Četrtič. „Was für ein Quatsch: Schließlich ist das hier eine gemeinsame Weinregion, die Grenze kam erst viel, viel später“, meint sein Kollege Robert Prinčič. Ihr Endprodukt darf weder als Wein aus Brda noch aus Collio verkauft werden, sondern nur als Verschnitt aus Weinen aus der Europäischen Union – in diese Kategorie fällt auch manche üble Tetrapak-Plörre vom Discounter.
Doch wen kümmert beim Rebolium Sinefinis das Label? Der Schaumwein aus Rebula-Trauben, nach der traditionellen Methode zwischen drei und fünf Jahren in der Flasche gereift, ist die besondere Alternative zum bekannten Champagner. Und der lateinische Name hält, was er verspricht. Sinefinis: Dieser Wein kennt nicht nur keine Grenze mehr – er ist auch grenzenlos köstlich!