Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) hat zum zweiten Mal die besten Tourismusdörfer gesucht und ausgezeichnet. Deutschland ist nicht dabei. Aber vier davon befinden in unserer Nachbarschaft.
Touristenmassen können nerven. Doch es geht auch anders. So hat sich die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) auf die Suche gemacht nach „ländlichen Tourismusdestinationen“, die „das Wohlergehen der Gemeinschaft in all seinen Aspekten – wirtschaftlich, sozial und ökologisch“ – in Einklang mit dem Gastgewerbe bringen; und als Sahnehäubchen obendrauf das alles natürlich möglichst nachhaltig.
Im Jahr 2021 hatte die Sonderorganisation der Vereinten Nationen zum ersten Mal die „besten Tourismus-Dörfer“ gekürt. Mit der Zweitauflage dieses Wettbewerbs wurden nun im vergangenen Dezember insgesamt 32 Dörfer aus 18 Ländern in den fünf Weltregionen ausgezeichnet.
Die Beispiele zeigten, wie kulturelle und natürliche Werte sowie Produkte und Lebensstile erhalten und gefördert werden können, so die UNWTO, und gleichzeitig schaffe dabei der Tourismus neue Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten.
Insgesamt hatten sich 136 Gemeinden mit maximal 15.000 Einwohnern aus 57 Mitgliedstaaten der UNWTO für die Auszeichnung beworben. Wie schon beim Pilotprojekt von 2021 erhielt kein deutsches Dorf den werbeträchtigen Ritterschlag. Dafür aber vier Dörfer aus der österreichischen und schweizerischen Nachbarschaft.
Wagrain – Österreich
Um die Energiespeicher mit Teigwaren aufzuladen, geht’s am Vorabend zur „Nudelparty“ im „Hotel Guggenberger“. Am nächsten Tag steht dann der „Aerothlon“ an, ein Sportevent besonderer (und in Österreich das einzige dieser) Art: Am 8. Juli 2023 messen sich Athleten in den drei Disziplinen Speed Hiking – also Wandern auf Zeit –, Gleitschirmfliegen und Mountainbiking. Für Freunde des außergewöhnlichen Dreikampfs macht allein dieses Event Wagrain schon mal zu einem ziemlich guten Dorf.
Ein bekanntes Skigebiet habe Wagrain zwar auch, schreibt die Welttourismusorganisation auf ihrer Website anlässlich der Preisvergabe. Doch sei der 3.000-Einwohner-Ort auf 850 Metern Seehöhe rund 80 Kilometer südlich von Salzburg, inmitten des Skigebiets Snow Space Salzburg im Pongau gelegen, „ein zweisaisonales Reiseziel“.
Neben den 210 Skipisten-Kilometern – eine neue Panoramabahn verbindet zwölf Gipfel und fünf Täler – warten abseits der Wintersaison ausgeschilderte Mountainbike-Strecken auf 150 Kilometer Länge und 250 markierte Wanderwege, die zu kristallklaren Bergseen und urigen Almen führen. Ebenfalls beliebt: der Hausberg Öbristkopf (1.411 Meter).
Die UNWTO hebt hervor: „Seit Mitte 2022 ist das Dorf die erste und einzige Destination in Österreich, die mit dem vom Global Sustainable Tourism Council (GSTC) akkreditierten Zertifikat ‚Green Destinations‘ ausgezeichnet ist.“ Erfüllt werden mussten dafür rund 100 Nachhaltigkeitskriterien. So können sich Gäste in Wagrain und der Nachbargemeinde Kleinarl, die sich gemeinsam touristisch vermarkten, anhand einer Nachhaltigkeits-Kennzeichnung orientieren. wagrain-kleinarl.at
Zell am See – Österreich
Wie an einer tropischen Staude hängen die Bananen am Stamm der Fichte auf der Schmittenhöhe. Die Bananenfichte war 2015 Teil einer Open-Air-Ausstellung. Bilder davon geistern noch durchs Netz. Sie ist nur ein Beispiel, wie der Hausberg von Zell am See bespielt wird.
Die UNWTO hebt Österreichs ersten „Kunst- und Kulturberg“ als das „größte Ausstellungsgelände Europas“ hervor. Auf 18 Hektar kann man auf eine zwei Kilometer lange Kunst-Wanderung gehen. Derzeit zu sehen sind 27 meist überdimensionale Werke aus Holz, Stein oder Keramik. Laut „Schmitten“-Website ist die Verbindung von Kunst und Natur der besondere Reiz.
Während solche Projekte eher den Nährboden für Umwelt- und Naturschutz bereiten, wird das Thema Nachhaltigkeit unten im Tal handfester vorangetrieben – was der UNWTO ein Lob wert ist: „Das Ergebnis ist eine Verringerung des Kohlendioxids.“
So ist in der Region ein autofreier Urlaub möglich. Mit der kostenlosen „Mobilitätskarte Pinzgau“ sind viele Ausflugsziele und Attraktionen mit Zügen, Postbussen und der Pinzgauer Lokalbahn rund um Zell am See erreichbar – die Krimmler Wasserfälle oder die Hochgebirgsstauseen zum Beispiel.
Im Sinne des Österreichischen Umweltzeichens üben sich Tourismusbetriebe in Energiesparmaßnahmen bei Wasserverbrauch und Heizung oder bei der Müllvermeidung. Gäste sollen möglichst nachhaltig mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen und bekommen Frühstück mit Bio- oder regionalen Lebensmitteln serviert.
Der Stadtmarkt Zell am See, wo regionale Lebensmittel angeboten werden, ist der UNWTO ebenso eine Erwähnung wert wie „der wunderschöne See“ – als Wintersport-Ort ist Zell am See ohnehin bekannt. Der nahe Nationalpark Hohe Tauern (https://hohetauern.at/de) sei eine der „spektakulärsten Hochgebirgslandschaften der Erde“, schreibt die UNWTO. 15.000 Tierarten leben dort, ein Drittel aller in Österreich vorkommenden. Ranger bieten geführte Touren an. zellamsee-kaprun.com/de
Murten – Schweiz
Woher der Name kommt? Darüber wird gerätselt. Denkbar ist, dass sich „Murten“ vom lateinischen „murum“ ableitet, was „Mauer“ bedeutet. Es würde zumindest passen.
Murten im Kanton Freiburg ist nämlich von einer fast vollständig erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer umgeben. Sie ist die einzige begehbare Ringmauer der Schweiz: Der Blick über den Murtensee Richtung Mont Vully und Jura ist herrlich. Und wer sich umdreht, genießt den Blick auf die Altstadtdächer des Ortes, dessen Geschichte mehr als 6.000 Jahre zurückreicht. Das Museum in der alten Wassermühle dokumentiert sie.
„Bei einem Spaziergang durch die Altstadt kann man die Arkaden bewundern, aber auch die vielen schönen Brunnen, die die Straßen schmücken“, schreibt die UNWTO: Stadtgeschichte zum Anfassen, Nachhaltigkeit, wie sie Historiker lieben.
Murten liegt in direkter Nachbarschaft zum „Gemüsegarten der Schweiz“, dem Seeland in der Talebene. „Diese Attraktion bietet Besuchern die Möglichkeit, die Einzigartigkeit der Bio-Felder im größten Gemüsegarten der Schweiz zu entdecken“, unterstreicht die UNWTO. Nachhaltiger Tourismus und biologische Landwirtschaft gingen hier Hand in Hand.
Gemüsepfade für Wanderer und Radler führen an Feldern, Hecken und Kanälen entlang. Im Frühjahr duftet es nach Rhabarber und Spargel, über 60 Gemüsearten werden kultiviert. Landwirte laden auf ihren Höfen zu Führungen ein.
Eine weitere Besonderheit: Speziell für Inline-Skater wurden auf 90 Kilometern Pisten eingerichtet. Die Radwege addieren sich auf 170 Kilometer. In gut zwei Stunden lässt sich im Sattel der Murtensee umrunden, der im Sommer schon früh mit angenehmen Badetemperaturen lockt.
Andermatt – Schweiz
„Mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste.“ Mit diesem Zitat, das Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben wird, werben die Tourismusverantwortlichen auf der Website von Andermatt. Ende des 18. Jahrhunderts sei der Dichter dreimal in der Gegend am Gotthard gewesen.
Ob Goethe auch deshalb so oft vorbeischaute, weil das Tal zu Füßen des Bergmassivs im Herzen der Schweizer Alpen dank zentraler Lage und guter Wege so gut erreichbar ist? Jedenfalls nicht nur! Die UNWTO betont: „Andermatt ist gesegnet mit einer großen Vielfalt an alpiner Flora und Fauna, Bergseen, Bächen, Quellen und unberührter Bergwelt.“ Acht Alpenpässe oberhalb des Urserentals im Kanton Uri locken Tourenliebhaber – eine selbst für die Alpen ungewöhnliche Vielfalt.
Am Gotthardmassiv entspringen gleich vier Flüsse, laut „Schweiz Tourismus“ sieben Prozent des Alpenwassers. Die Schweizer Wanderroute 49, der Vier-Quellen-Weg, verbindet die Quellen von Rhein, Reuss, Rhône und Ticino über 85 Kilometer miteinander.
Der Wasserreichtum wird auch vor Ort genutzt: So betreibt das Elektrizitätswerk Ursern Wasserkraftwerke und Windkraftanlagen. „In Andermatt werden die natürlichen Energiequellen nachhaltig genutzt, anstatt Energie aus dem Ausland zu importieren“, unterstreicht die UNWTO.
Weithergereiste Gäste sieht man trotzdem gern. Sie erleben die Bergwelt im Winter auf 100 Kilometern ausgeschilderter Schneeschuh-Trails oder in den Skigebieten der SkiArena Andermatt-Sedrun mit Genusspisten für Familien und den Steilhangabfahrten am Gemsstock.
Im Sommer kann man mit Ziegen, die das Gepäck transportieren, zu Bergseen, kleinen Gletschern und Seitentälern losziehen. Zu den Top-Attraktionen zählt die Schöllenenschlucht mit der berühmt-berüchtigten Teufelsbrücke. Stufen und Stege bauten einst Menschen aus dem Tal. Doch für die atemberaubende Brücke brauchten sie der Sage nach Hilfe. Der Teufel bot sich an – und konnte zum Glück überlistet werden. www.andermatt.ch