Der Schauspieler Ottokar Lehrner hat viele Leidenschaften. Im Humboldt Forum kann man ihn in einer seiner Rollen erleben: als Besucherführer.
Der Mann, der Graf Beat von Wettenberg, Hans Lohmeyer, Mortimer, Hamlet und Romeo war, steht vor dem Humboldt Forum in der Kälte und erzählt vom ersten Date mit seiner Frau. Dem ersten echten Date, denn zufällig begegnet ist er ihr ja vorher bereits, wie er sagt. Er zeigt auf den Fernsehturm, der von hier aus gut zu sehen ist. Dort oben im Restaurant in der sich drehenden Kugel habe er sich mit seiner heutigen Frau zum Essen verabredet. Das Kennenlernen sei für ihn etwas schräg gewesen – nicht wegen der Frau, in die er verliebt war und immer noch ist, sondern weil es da einen Alleinunterhalter gab, der auf Englisch sang, aber dabei seinen sächsischen Akzent nicht verbergen konnte. Seine Frau ist taub – was in diesem Fall für sie ein Segen gewesen sei.
„Den Fokus auf den Nachwuchs gelegt“
Einige der Menschen, die ihm zuhören, lachen. Sie sind gekommen, um mehr über den Ort zu erfahren, an dem einst das Berliner Stadtschloss stand, dann der Palast der Republik und nun wieder das Stadtschloss, das – bestehend aus einem originalgetreuen Nachbau und moderner Architektur – seit Sommer 2021 das Humboldt Forum bildet. Ottokar Lehrner arbeitet hier als freiberuflicher Kulturvermittler. Manchmal, sagt er, fragt ihn jemand, ob er Historiker ist. Dann antwortet er: „Nein, ich spiele nur einen.“
Ottokar Lehrner ist Schauspieler. 1990 hat er seinen Abschluss an der Schauspielschule des Wiener Volkstheaters gemacht. Vor den Toren Wiens im niederösterreichischen Mödling wurde er vor 58 Jahren geboren. Die Tage, in denen er unter anderem als Mortimer, Hamlet und Romeo auf Bühnen in Österreich und Deutschland stand, sind schon eine Weile her – seine Hauptrollen als Graf Beat von Wettenberg in der Serie „Alle meine Töchter“ und als Hans Lohmeyer in der Serie „Frühling“ auch. Ottokar Lehrner spielte in vielen Filmen und Serien: „Anwalt Abel“, „Nicht von schlechten Eltern“, „Medicopter 117“, „Die Kommissarin“, „In aller Freundschaft“, „Hallo Robbie!“, „Forsthaus Falkenau“, „Küstenwache“, „Soko Donau“, „Kommissar Rex“ und einigen anderen.
Wegen der Filme und Serien ist er auch nach Deutschland gekommen. „Der Schritt von Wien nach München war ein sehr bewusster: Ich wollte ins Filmbusiness“, erzählt Lehrner. Seine deutsche Agentin habe ihm zum Umzug in die bayerische Metropole geraten. „Ich hatte Geld, um drei Monate in Schwabing zu überleben. Bis dahin musste ich es schaffen, meine Filmkarriere ins Laufen zu bringen“, erinnert er sich. Der Plan ging auf. Er besuchte zusätzlich zu seiner Theaterausbildung in München, Wien und Los Angeles Filmschauspielkurse, studierte Filmregie an der New York Film Academy. Von Bayern aus entwickelte sich eine wundervolle Karriere.
Aber: „München war nichts für mich. Ich wollte das echte Leben. Ich wollte die Straße spüren“, sagt Lehrner. Also ist er zum Feiern immer wieder nach Berlin. Dort sind ihm zwei Frauen aufgefallen, die sich in Gebärdensprache unterhalten haben. Die beiden haben ihm gefallen. Eine davon wurde seine Frau: Tabea. Gemeinsam mit der Schneiderin und Modedesignerin hat er zwei Kinder: Zwillinge. Ottokar Lehrner entschied sich, zuhause zu bleiben. „Ich habe den Fokus auf den Nachwuchs gelegt“, sagt er.
Die Kinder wurden groß, Lehrner wollte in seinen Beruf zurück – aber: „Die Filmbranche hat erstaunlicherweise nicht auf mich gewartet.“ – „Du darfst nichts anderes machen“, das sei für viele Schauspielerinnen und Schauspieler eine eiserne Regel, erklärt Lehrner. Er habe „diese Scheu abgelegt“ und sei „vom Kopf in den Körper gekommen“: Er hat eine Ausbildung zum „Sex-Coach“ absolviert und berät seitdem Männer und Paare – erst in gemeinsamen Sitzungen und Workshops, seit Corona vor allem Online. Er arbeitet freiberuflich für das von zwei Österreicherinnen gegründete Unternehmen „Best Lovers“. „Klingt etwas schräg, ist aber eine gute Sache“, versichert Lehrner.
Aus dem Schauspieler wurde nicht nur jemand, der Menschen berät, sondern auch ein Kurator und Organisator von Festivals wie „Sexolution“ und „Liebeskunstfestival“. Die Arbeit habe ihn durch die halbe Welt gebracht. Sie ist Teil seines „Flickenteppichs“, wie er sagt. Die anderen beiden Teile sind die Schauspielerei und die Kulturvermittlung im Humboldt Forum.
„Freiheit, etwas nicht machen zu müssen“
Das Humboldt Forum ist nicht nur selbst an einem historischen Ort errichtet worden. Es beherbergt das Ethnologische Museum, das Museum für asiatische Kunst und die Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums. Außerdem betreibt die Humboldt Universität dort ein „Labor“. Das Humboldt Labor versteht sich als Ideenwerkstatt, die Spitzenforschung zu Krisen der Natur und der Demokratie präsentiert. Besucherinnen und Besucher können dort Einblicke in die Vielfalt und Relevanz von Wissenschaft bekommen. Das fand und findet Ottokar Lehrner spannend. Also hat er sich beworben. „Ich habe nichts von alldem studiert“, sagt er, aber er eigne sich die Dinge, die er wissen muss, so an, wie sich ein Schauspieler eine Rolle aneignet.
Darüber hinaus leiste er sich auch mal einen Film, der kein Geld bringt, Hochschulprojekte zum Beispiel, und widme sich eigenen „Herzensprojekten“ – etwa dem eigenen Theaterstück, das er über den Marquis de Sade geschrieben hat. Das alles zusammen bringe ihm „die Freiheit, etwas nicht machen zu müssen“– nämlich die Dinge, die ihm keine Freude bereiten. „Ein Gefühl der Freiheit“ sei es auch, „dass es keine Niederlage für den Schauspieler Ottokar Lehrner ist, wenn er etwas anderes macht“.
Er kenne das von Kolleginnen und Kollegen: „Wenn die kein Engagement haben, sagen sie: Ich habe etwas in der Pipeline. Ich sage: Ich mache Führungen.“ Und einen Workshop mit Jugendlichen zu machen, „die dann rausgehen und merken, dass das Leben mehr ist, als das, was sie bisher gedacht haben“, sei sicher nicht schlechter, „als den 97. Fernsehkrimi zu drehen“.
In einem ist er nun aber doch wieder zu sehen: Im Kieler „Tatort“ mit dem Titel „Borowski und das hungrige Herz“, der am 12. Januar gesendet wird, spielt Ottokar einen, wie er sagt, „mordverdächtigen Gehörlosen, der sexuell aufgeschlossen ist“. Die Rolle passe zu ihm – auch weil er wegen seiner Frau die Gebärdensprache gelernt hat. Es habe Spaß gemacht mit Axel Milberg, dem Borowski-Darsteller, und dessen Team zu drehen. Auch weil er selbst inzwischen „in die Weisheitsphase“ gekommen sei. Was für ihn bedeute: „Das Lampenfieber ist weg. Ich liebe, was ich tue und habe keine Angst mehr – nicht vor dem Publikum und nicht vor der Kamera.“ Und er sei „ein Geschichtenerzähler und nehme einen Lacher gerne mit“. Deshalb erzähle er den Besucherinnen und Besuchern des Humboldt Forums auch nicht nur recht respektlos von der Geschichte dieses Ortes, sondern auch davon, wie das mit dem ersten Date im Fernsehturm war.