Ein Kommentar zum Interview mit Ministerin Streichert-Clivot
Deutschlandweit spricht man von „verschütteter Milch“, ist Unschönes nicht mehr rückgängig zu machen. Saarlandweit sagt man pointiert-rustikal: „Der Käs is gess“. Über Deutschland hinaus hat die Documenta 15 in Kassel für Schlagzeilen gesorgt. Über das Saarland hinaus hat die Absage der Ausstellung von Candice Breitz im Saarlandmuseum für Schlagzeilen gesorgt. Warum darüber weiter sprechen und schreiben? Zum einen, weil der Fall in Kassel anders liegt als der in Saarbrücken. Zum anderen, weil Schlüsse für die Zukunft zu ziehen sind.
In Kassel wurde ein Kunstwerk ausgestellt und als antisemitisch kritisiert. In Saarbrücken wurde das Werk einer Künstlerin nicht gezeigt, weil sie sich „nicht klar gegen den Terror der Hamas positioniert“ habe. Man durchforstete die Social-Media-Kanäle der Künstlerin. Im Kuratorium der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz kam es daraufhin zu einer „Diskussion über das politische Engagement“ von Breitz. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz erklärt, dass „Künstlerische Positionen und politische Haltung nicht voneinander zu trennen sind“. Das ist – wohlgemerkt – eine grundsätzliche Aussage mit weitreichender Ansage für die Zukunft.
Sind Person und Werk eins? Die Breitzsche Videoinstallation „TLDR“ (2017) zum Thema Sexarbeit in Johannesburg bringt als künstlerische Position mutmaßlich eine politische Haltung zum Ausdruck. Aber über das Kunstwerk, dessen Ausstellung in Planung war, diskutierten die Entscheidungsträger nicht, sondern über das politische Engagement der Künstlerin. Der Fall in Kassel stellt sich demnach anders dar als der in Saarbrücken.
Dass, wie von der Kulturministerkonferenz im März gefordert, „sichergestellt sein muss, dass öffentliche Gelder nicht dazu missbraucht werden, antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Kunst- und Kulturprojekte zu finanzieren“, steht außer Frage, und wirft gleichzeitig Fragen auf: Inkludiert das, herauszufinden, welche politische Haltung jemand vertritt? Wer definiert Antisemitismus? Die IHRA – International Holocaust Remembrance Alliance – hat eine Definition herausgegeben.
Eine Woche nach dem Interview mit Ministerin Streichert-Clivot hat der Deutsche Bundestag am 7. November einen Antisemitismus-Antrag mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und AfD gegen die Stimmen der Gruppe BSW und bei Enthaltung der Gruppe Die Linke angenommen. Eine Forderung: „Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awareness-Strategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.“ Jüdische Intellektuelle kritisieren sowohl die Resolution als auch die IHRA-Definition in einem offenen Brief.
Einmal unabhängig von der Tatsache, dass Candice Breitz Jüdin ist und sich damit eine neue Frage auftut, nämlich „Kann eine Jüdin Antisemitin sein?“, gebe ich zu bedenken: Wenn Person und Werk eins sind, müssen alle Werke von Emil Nolde abgehängt werden. Er war Antisemit.
Lesen ist ein kreativer Prozess, auch das Lesen eines Interviews. Freilich sieht man, dass sich die Ministerin in einer Lose-lose-Situation befand. Hätte sie die Videoinstallation ausstellen lassen, wäre Protest wegen der Person Breitz gefolgt. Nach der Absage – die die Ministerin nicht so nennt – kommen jene auf den Plan, die um die Kunst- und Meinungsfreiheit besorgt sind und künftig eine moralisch-politische Durchleuchtung von Künstlern erwarten. Der Käs ist noch lang nicht gess …