Die Weltschifffahrt will bis 2050 klimaneutral werden. Der Einstieg in den Emissionshandel ist international beschlossene Sache, trifft jedoch auf Widerstand. Kritik kommt von Umweltschützern – und aus den USA.
Das Geheimnis des Geschäfts ist, etwas zu wissen, das niemand sonst weiß.“ So beschrieb der legendäre Reeder Aristoteles Onassis die strategische Bedeutung von Wissen im Schifffahrtsgeschäft – ein Geschäftsfeld, das sich ständig wandelt und in dem sich Erfolg oft an der Fähigkeit bemisst, auf neue Entwicklungen schnell zu reagieren. Auch jetzt steht die Weltschifffahrt an einem fundamentalen Wendepunkt. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), eine UN-Sonderorganisation aus 176 Staaten, hat weitreichende Beschlüsse zur Reduktion der Treibhausgasemissionen gefasst. Mit den neuen Global Fuel Standards (GFS) nimmt sie Kurs auf eine klimafreundlichere Seefahrt. „Ein Riesenerfolg“, kommentierte Bundesverkehrsminister Volker Wissing kurz vor dem Ende seiner Amtszeit.
Globale Treibstoffstandards
Die ab 2027 geltenden Vorschriften betreffen eine Branche, die rund 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs abwickelt – mit enormer Hebelwirkung auf Wirtschaft und Klima. Die IMO-Maßnahmen sollen nicht weniger als eine strukturelle Transformation auslösen: technologische Innovationen, neue Antriebssysteme und ein Wandel im globalen Wettbewerb. Die internationale Schifffahrt ist laut Europäischer Umweltagentur für 3,6 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, jener Anteil ist vergleichbar mit dem des Luftverkehrs.
Drei Instrumente stehen im Zentrum. Erstens verbindliche Treibstoffstandards – schrittweise strengere Grenzwerte für die Treibhausgasintensität von Schiffskraftstoffen. Das Ziel: Schrittweiser Ausstieg aus Schweröl und Diesel hin zu klimaneutralen Alternativen wie grünem Ammoniak, Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen. Zweitens wird eine CO₂-Abgabe eingeführt: Ab 2027 sind 100 US-Dollar pro ausgestoßener Tonne CO₂ fällig, ab 2028 können es je nach Überschreitung bis zu 380 US-Dollar werden. Drittens soll ein globaler Emissionshandel die Emissionsreduktion marktwirtschaftlich fördern – Schiffe mit geringem Ausstoß können Emissionsgutschriften verkaufen.
Die Ziele sind klar definiert: Bis 2030 sollen die Emissionen gegenüber 2008 um mindestens acht Prozent sinken, bis 2035 um 30 Prozent. In einem ehrgeizigeren Szenario spricht die IMO sogar von 21 beziehungsweise 43 Prozent. Bis spätestens 2050 dann das Endziel: Klimaneutralität. Das bedeutet enorme Herausforderungen, aber auch Chancen für Reeder und Technologieanbieter.
Finanziell könnten die Maßnahmen zum Stresstest für die Branche werden. Besonders Reedereien, die auf fossile Antriebe setzen, geraten unter Druck. Die Betriebskosten steigen, der Umstieg auf neue Technologien ist teuer. Während große Konzerne wie Maersk oder Hapag-Lloyd dies noch abfedern können, sehen sich kleinere Anbieter, vor allem aus Entwicklungsländern, mit existenziellen Fragen konfrontiert. Ihre Flotten sind oft veraltet, Investitionskapital fehlt.
Die Branche steht vor einem Spagat: Kurzfristige Belastungen müssen mit langfristigen Perspektiven abgewogen werden. Denn mittelfristig eröffnen sich neue Märkte: Emissionsfreie Schiffe könnten nicht nur von niedrigeren Betriebskosten, sondern auch von höheren Charterraten, regulatorischen Vorteilen und einem besseren Image profitieren. „Alle haben anerkannt, dass es keine Alternative zur Klimaneutralität gibt“, analysiert Martin Kröger, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR).
Trotz positiver Dynamik mahnen andere zur Vorsicht. „Der Elefant im Raum ist wirklich die Dekarbonisierung. Es geht um gleiche Wettbewerbsbedingungen in der globalen Schifffahrtsindustrie“, sagt Nikolaus H. Schües, Chef der Hamburger Reederei Laeisz und Präsident des internationalen Reederverbandes BIMCO. Denn viele klimafreundliche Kraftstoffe sind heute weder marktreif noch flächendeckend verfügbar. Zudem fehlen Häfen mit entsprechender Versorgungsinfrastruktur.
Internationale Experten kritisieren die drohende Ungleichheit der Maßnahmen. Entwicklungsländer, die auf ältere Technologien angewiesen sind, könnten die neuen Regeln kaum erfüllen. Ohne gezielte Unterstützung – etwa über einen Technologietransfer oder spezielle Förderfonds – droht eine Zweiklassenschifffahrt. Die IMO sieht sich deshalb gezwungen, neben der Regulierung faire Übergangslösungen zu organisieren.
Klimaneutralität als Innovationstreiber
Zugleich kritisieren Umweltorganisationen und durch den Klimawandel gefährdete Inselstaaten wie die Marshallinseln die IMO-Beschlüsse als nicht ehrgeizig genug. Sie verweisen auf den wachsenden Anteil der Schifffahrt an den globalen Emissionen und fordern schärfere Grenzwerte sowie höhere Abgaben. Nur so ließen sich die Pariser Klimaziele einhalten. Ein offener Brief von 69 Nichtregierungsorganisationen warnt davor, Biokraftstoffe in die neuen Kraftstoffstandards für Schiffe zu integrieren. Almuth Ernsting von Biofuelwatch, das die industrielle Nutzung von Pflanzenenergie bekämpft: „Wenn die IMO das als ‚klimafreundlichen Brennstoff‘ anerkennt, würde dies zu weiterer Zerstörung von Regenwäldern und Landraub führen und den Klimawandel beschleunigen.“
Politisch steht das Vorhaben auch anderswo auf wackligem Grund: in den USA. Die Regierung unter Präsident Donald Trump lehnt die Maßnahmen ab. Washington befürchtet Nachteile für die eigene Wirtschaft und droht mit Blockadehaltung. Als maritime Großmacht könnten die USA tatsächlich Einfluss auf die Umsetzung nehmen – ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die globale Klimapolitik von geopolitischen Kräften abhängt.
Die endgültige Verabschiedung der IMO-Beschlüsse ist für Oktober 2025 geplant. Bis dahin sind noch viele Fragen offen: Wie werden die Einnahmen aus den CO₂-Abgaben verwendet? Fließen sie in den Klimaschutz oder als Unterstützung an Entwicklungsländer? Wer überwacht die Einhaltung – und mit welchen Sanktionen müssen Regelbrecher rechnen?
Die IMO hat zwar nun mit ihrem Paket für neue Kraftstoffstandards einen historischen Schritt gewagt. Doch die Umsetzung wird nur gelingen, wenn Industrie, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Die Schifffahrt steht vor einer Neuausrichtung, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat.
„Die Technologie ist vorhanden – bis 2045 könnte die Schifffahrt CO₂-neutral sein.“ So optimistisch ist Uwe Lauber, CEO von MAN Energy Solutions SE, die unter anderem Schiffsmotoren herstellt. Entscheidend ist, dass die Reeder nicht nur den neuen Klimakurs kennen, sondern ihn auch konsequent steuern können.