Auf dramatische Art und Weise hat der 1. FC Saarbrücken den Aufstieg in die Zweite Liga verpasst. Nun müssen die Wunden geleckt werden.
Gute sechs Minuten lang war der Traum des Drittliga-Dritten 1. FC Saarbrücken real. Als Kai Brünker nach 83 Minuten in Braunschweig das 2:0 erzielte, waren nur noch die 2.000 mitgereisten Anhänger aus dem Saarland zu hören. Wieder einmal war Hoffnung da, etwas Großes erreichen zu können. Doch es wäre nicht der FCS, wenn nicht auch dieser Traum geplatzt wäre. Kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit ließ sich ausgerechnet der erfahrene Außenverteidiger Calogero Rizzuto vom Ex-Saarbrücker Fabio Di Michele Sanchez überrumpeln. Das Laufduell hatte der Routinier bereits verloren, doch er versuchte noch einmal, den Braunschweiger mit dem linken Arm am Trikot zu ziehen.
Es war eine Kleinigkeit, doch FIFA-Schiedsrichter Tobias Stieler zeigte Rizzuto die Ampelkarte. Es war eine harte Auslegung der Regeln, aber vertretbar – und wenig überraschend, wenn man die enge Spielführung des Schiris kennt. Der 43-jährige Jurist gilt als pingelig, mit Hang zur Arroganz. Er ist bekannt dafür, gerne Karten zu zeigen. Ein Fußball-Profi mit Rizzutos Erfahrung hätte das wissen müssen – zumal mit der Vorgeschichte: Unglaubliche achtmal war der Deutsch-Italiener in den vergangenen beiden Spielzeiten gesperrt, handelte sich 19 Gelbe, vier Gelb-Rote und eine Rote Karte ein. Der Feldverweis vom Dienstag war der insgesamt elfte seiner Laufbahn. „Mit Elf gegen Elf gewinnen wir das Spiel. Danach war ein Bruch drin“, sagte Trainer Alois Schwartz.
In Unterzahl rettete sich der FCS in die Verlängerung, kassierte dort aber in der Nachspielzeit der ersten Hälfte den Anschlusstreffer – durch eben jenen Di Michele Sanchez. Die „Molschder“ haderten mit der langen Nachspielzeit. Doch auch hier gilt: Wer Stieler kennt, weiß, dass solche Entscheidungen zu seiner Spielleitung gehören.
Am Ende einer turbulenten Verlängerung traf Rayan Philippe noch zum 2:2. Die Eintracht hielt die Klasse, der FCS stand mit leeren Händen da. Und muss sich nun die bittere Frage stellen: Wäre mehr drin gewesen? „Wir haben es verkackt, wir müssen nicht über den Schiedsrichter diskutieren“, sagte Angreifer Florian Krüger, sichtlich gezeichnet vom Kampf in Braunschweig. Die Winter-Ausleihe war einer derjenigen, die alles investiert hatten. Nun trennen sich die Wege wohl wieder. Für Krüger gibt es einen Markt. Der 1. FC Magdeburg und – pikanterweise – die SV Elversberg sollen interessiert sein. „Es ist heute Abend nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen“, sagte Krüger und fügte in Richtung der Saar-Medien hinzu: „Es tut mir leid für euch.“ Das hörte sich sehr nach Abschied an.
Ergreifende Szenen spielten sich in der Interview-Zone ab. Patrick Sontheimer konnte seine Tränen kaum zurückhalten. Der 26-Jährige hatte seinen Vertrag bereits vor Wochen für beide Ligen verlängert. „Ich hätte den Fans so gerne den Aufstieg geschenkt. Aber wir haben es im Hinspiel verbockt. Heute kann man uns wenig vorwerfen“, sagte „Sonti“. Der merkwürdig lethargische Auftritt der Blau-Schwarzen bei der 0:2-Niederlage im Heimspiel wog schwer. In Braunschweig spielte der FCS eine Halbzeit solide – mehr nicht. Nach dem Wechsel profitierte die Schwartz-Elf von einem überflüssigen Handspiel der Braunschweiger. Krüger traf in der 65. Minute vom Elfmeterpunkt. Es war der erste richtige Torschuss der Saarländer in der gesamten Relegation.
„Saarbrücken hat 150 Minuten nicht aufs Tor geschossen. Von daher kann man nicht sagen, dass sie unverdient gescheitert sind“, sagte Ex-Profi und TV-Experte Thorsten Mattuschka. Coach Schwartz hatte die defensive Marschroute im Hinspiel mit den Worten verteidigt: „Man kann defensiv stabil stehen und dennoch mutig spielen.“ Doch den Mut zeigte der FCS erst in der Schlussphase beider Spiele. Kurioserweise erspielte er sich in Unterzahl mehrere Chancen und spielte richtig guten Fußball. „Man kann nicht immer alles erklären. Am Ende hat ein bisschen was gefehlt“, sagte Sontheimer.
So bitter das Scheitern in Braunschweig auch war, es gibt auch Ansätze, die Mut machen. Die personelle Fluktuation wird sich in Grenzen halten. Mit Torwart Phillip Menzel, Abwehrchef Sven Sonnenberg und Sontheimer kristallisiert sich langsam eine neue Führungsachse heraus. Dass Sontheimer, obwohl nicht Mitglied des bisherigen Mannschaftsrats, am Dienstag die Kapitänsbinde trug, dürfte kein Zufall, sondern eher ein Zeichen gewesen sein.
Schon im Vorjahr zeichnete sich ab, dass die Zeit der „Pokalhelden“ vom 2020 langsam abläuft. Dieser Umbruch muss – und wird – nun weitergehen. Trainer Schwartz ist gefordert, an den Schwächen zu arbeiten, die junge Spieler wie Tim Civeja und Elijah Krahn zweifelsohne noch haben. Spielen sie so wie nach ihrer Einwechslung in Braunschweig, wird ihnen die Zukunft gehören. Gesucht werden unter anderem ein gestandener Innenverteidiger, ein spielstarker „Sechser“ sowie vor allem ein treffsicherer Mittelstürmer.
Die Relegationsspiele haben zudem gezeigt, dass der FCS auf beiden Außenverteidigerpositionen akuten Handlungsbedarf hat. Den besten Auftritt legte bezeichnenderweise Manndecker Joel Bichsel hin, der in der zweiten Halbzeit die Linksverteidigerposition übernahm.
Vom bisherigen Kader sind derzeit noch die Personalien Richard Neudecker, Dominik Becker und Simon Stehle offen. Bei allen dreien stehen die Zeichen eher auf Abschied. Neudecker liegt nach FORUM-Informationen ein Angebot des Absteigers SV Sandhausen vor. Doch unabhängig davon, wie der Kader personell aussehen wird – an anderen Stellschrauben muss gedreht werden.
Mental ist die Mannschaft anfällig. Dass sich der FCS beharrlich weigert, mit einem Sportpsychologen zusammenzuarbeiten, ist kaum zu erklären. Ebenso wenig nachvollziehbar sind die wiederkehrenden Ausfallzeiten von Schlüsselspielern wie Sebastian Vasiliadis. Natürlich war da auch viel Pech im Spiel. Und zu guter Letzt fehlt es an klaren Leitlinien. Nachbar Elversberg macht es vor: Was Ernährung, Freizeitverhalten und den Umgang mit sozialen Medien betrifft, gibt es dort klare Vorgaben.
„Unser Ziel wird es sein, im kommenden Jahr einen der ersten beiden Plätze zu erreichen“, sagte Schwartz in Braunschweig. Damit dies Realität wird, müssen auch die oben genannten Punkte angegangen werden. Dort hat der FCS riesigen Nachholbedarf.
FORUM-Einzelkritik:
Phillip Menzel: Insgesamt ein guter Auftritt, beim ersten Gegentor sah er nicht ganz glücklich aus. Note 3
Calogero Rizzuto: Wie immer engagiert, aber wie so oft einfach zu ungestüm. Note 5
Dominik Becker: Setzte seinen fahrigen Auftritt vom Hinspiel zunächst fort. Später wurde es etwas besser. Note 4
Sven Sonnenberg: Stabiler und sehr überlegter Auftritt. Wirkte endlich wie ein Chef. Note 2
Joel Bichsel: Manchmal leichtfertig, aber unglaublich engagiert. Note 2-
Philip Fahrner: Wie im Hinspiel überfordert. Note 5-
Patrick Sontheimer: Zu Beginn mit einigen Ballverlusten, wurde dann immer stärker und schließlich zum Kopf der Mannschaft. Note 2-
Sebastian Vasiliadis: Gutes und kluges Spiel, wenn auch nicht besonders auffällig. Note 3
Kasim Rabihic: Bemüht, aber zu verspielt. Note 4
Maurice Multhaup: Viel unterwegs, aber nicht wirklich torgefährlich. Note 3
Florian Krüger: Gab alles, hatte zweimal Pech. Note 2
Elijah Krahn: Fügte sich in der Defensive richtig gut ein. Note 2
Tim Civeja: Spielt absolutes Risiko. Nach vorne aber eine Waffe. Note 2-
Kai Brünker: Ein ganz anderer Auftritt als im Hinspiel. Note 2
Patrick Schmidt: Wirkte endlich dynamischer und spritziger. Schöne Vorarbeit. Note 2