Als zweitgrößter Umweltverschmutzer weltweit setzt nun auch die Modeindustrie auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Es gibt bereits zahlreiche Initiativen, vor allem im Bereich der regenerativen Mode.
Wer, wie die internationale Modeindustrie erst einmal auf der Anklagebank sitzt, hat es ziemlich schwer, die passenden Argumente für eine wirksame Verteidigung zu finden. Die reinen Fakten sprechen eine klare Sprache zu Ungunsten der Beschuldigten. Wer von der UN, einer der global höchsten Instanzen, als weltweit zweitgrößter Umweltverschmutzer nach der Erdöl-Branche öffentlich an den Pranger gestellt wurde, kann nicht mehr länger zum Strohhalm der verbalen Ausflüchte greifen oder die Augen vor den selbst verschuldeten Problemen fest zukneifen. Die Fashion-Industrie verursacht jährlich einen CO2-Ausstoß von 1,2 bis 1,7 Milliarden Tonnen und ist damit für mehr schädliche Emissionen verantwortlich als Luft- und Schifffahrt zusammengenommen. Fast fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen entfallen damit heute schon auf die Modeindustrie als Teil der Textilbranche. Bis 2030 wird in Studien ein weiterer Anstieg des CO2-Ausstoßes auf jährlich rund zwei Milliarden Tonnen prognostiziert. Außerdem könnte einer jüngsten Untersuchung der Ellen MacArthur Foundation zufolge, einem der global wichtigsten Vordenker in Sachen einer als notwendig postulierten Kreislaufwirtschaft, die gesamte Textilbranche bis 2050 für bis zu einem Viertel aller globalen CO2-Emissionen verantwortlich sein.
Die schlechte CO2-Bilanz, die vor allem den langen Transportwegen, der Kleider-Weiterverarbeitung an verschiedenen Orten und der Gewinnung von Plastikfasern geschuldet ist, ist allerdings nur eins der Klima-Probleme, vor denen die Modebranche steht. Diese trifft mit einem Anteil von rund 35 Prozent nämlich auch die größte Mitschuld an der weltweiten Verschmutzung der Gewässer mit Mikroplastik. Dieses wird beim Waschen von Kunstfasergeweben freigesetzt – weil inzwischen rund 60 Prozent der Kleidung aus auf der Basis von Erdöl gewonnenem Polyester besteht, dessen Anteil an der Textilverarbeitung bis 2030 neuen Studien zufolge sogar bis auf 85 Prozent ansteigen könnte. Den gewaltigen jährlichen Wasserverbrauch der Bekleidungsindustrie beim Anbau von Baumwolle sowie beim Waschen und Färben der Stoffe nicht zu vergessen, wobei häufig allerlei nicht gänzlich unbedenkliche Chemikalien wie Weichmacher oder Tenside zum Einsatz kommen. Die Branche trägt so mit bis zu 20 Prozent zur industriellen Wasserverschmutzung bei. Last but not least gibt es da auch noch das Problem des den Anbauboden extrem belastenden Einsatzes von Insektiziden und Pestiziden beim Baumwollanbau. Obwohl Baumwolle nur auf rund 2,5 Prozent der weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche kultiviert wird, landen sechs Prozent aller eingesetzten Pestizide und 16 Prozent aller Insektizide auf Baumwolläckern.
Anstieg des CO2-Ausstoßes
Um das desaströse Bild, das die Branche abgibt, zu vervollständigen, gibt es dann schließlich auch noch das aus der jährlichen Überproduktion von mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücken erwachsene Abfallproblem in Höhe von 92 Millionen Tonnen. Das bedeutet, dass jede Sekunde ein mit Klamotten prall gefüllter Müllwagen seine Last auf der Deponie entsorgen muss. Nur ein prozentual verschwindend geringer Anteil des Textilmülls wird recycelt. Gerüchteweise wäre das gerade mal ein Prozent. Einem aktuellen Bericht der Changing Markets Foundation zufolge, einer Stiftung, die sich für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft einsetzt, werden 87 Prozent der Kleiderabfälle entweder verbrannt, auf Deponien entsorgt oder gleich in die Natur gekippt. Ein mögliches Recyceln wird dadurch verkompliziert oder sogar unmöglich gemacht, denn sind viele Kleidungsstücke aus verschiedensten Materialien zusammengesetzt, und einmal recycelte Stoffe können auch nicht mehrfach wiederverwertet werden, sondern wegen des dabei auftretenden Aufbrechens der Molekülstruktur meist nur ein einziges Mal.
„Die Modeindustrie ist leider noch weit davon entfernt, klimaneutral zu arbeiten“, so die renommierte US-Unternehmensberatung Kearney, „Das liegt an ihren Herstellungs- und Vertriebspraktiken, aber noch mehr an der Schnelllebigkeit ihrer Produkte. Der wirksamste Weg, die Kohlenstoffemission der Modebranche zu reduzieren, besteht darin, Kleidungsstücke deutlich länger zu tragen und dadurch weniger zu konsumieren.“ Immerhin haben sich einige Global Player wie der Kering-Konzern oder Burberry durch Beitritt zur Initiative Science Based Targets zum Senken ihrer CO2-Emissionen verpflichtet. Was bei Kering und auch bei Adidas schon deutlich messbare Erfolge gezeitigt hat.
Für die Schnelllebigkeit der Produkte ist natürlich vor allem die Fast-Fashion-Industrie mit ihrer aus Preisüberlegungen begründeten Vorliebe für in der Herstellung günstige Kunstfasern wie Polyester verantwortlich. Aber letztendlich auch Verbrauchende, die sich immer mehr Klamotten für möglichst wenig Geld kaufen möchten. Laut einer repräsentativen Kearney-Umfrage besitzt jeder Deutsche durchschnittlich 97 Kleidungsstücke und legt sich jedes Jahr 17 neue Teile zu. Viel zu selten wird auf Qualität statt auf Quantität geachtet, ans Reparieren beschädigter Stücke wird angesichts einer weit verbreiteten Wegwerfmentalität längst nicht mehr gedacht. Und da die Qualität der Kleidungsstücke durch den hohen Polyester-Anteil und anderer Synthetikfasern inzwischen teilweise so schlecht geworden ist, dass sie weder weiterverarbeitet noch neu versponnen werden können, ist die hoffnungsvolle, unter dem Schlagwort „Circular Fashion“ bekannt gewordene Initiative einer Kreislaufwirtschaft als Gegenmodell zur üblichen Linearwirtschaft eben nicht so leicht umsetzbar. Auch wenn drei prominente Labels, nämlich Patagonia, The North Face und Levi’s, sich zur Circular Fashion bekennen, um den Lebenszyklus ihrer Kleidung verlängern zu können – teils durch Recyceln von Alttextilien, teils durch bewusstes Verarbeiten von ökologisch natürlichen Materialien, um von Anfang an deren Einsatz als Rezyklat zu ermöglichen.
Abhilfe durch Zertifizierungen
Viele Modemarken haben sich inzwischen das Recyceln auf die Fahnen geschrieben, allein schon deshalb, um an der ursächlichen Wurzel, nämlich der Überproduktion, nicht rütteln zu müssen. Der Endverbraucher wird nur schwerlich feststellen können, welcher Wahrheitsgehalt sich hinter Marketing-Versprechen wie „nachhaltig“, „umweltfreundlich“ oder „verantwortungsbewusst“ verbirgt. Greenwashing hat daher seit einigen Jahren Hochkonjunktur in der Modebranche. Jede Menge Marken haben sich dabei durch irreführende oder falsche, noch dazu kaum verifizierbare Werbeaussagen ein grünes Mäntelchen umgehängt, um vom Kunden umweltfreundlicher wahrgenommen zu werden, als sie es tatsächlich sind. Da hilft nur das genaue Registrieren von Zertifizierungen wie GOTS (für Baumwolle und sonstige Wolle), LWG (für Leder) und FSC (für Viskose) oder ein Blick in den von Greenpeace herausgegebenen „Einkaufsratgeber Textil-Siegel“. Oder man muss schon den Namen von Labels kennen, die sich explizit zu upgecycelten Textilien in ihrem Design-Prozess bekennen, beispielsweise Collina Strada, Bode, Mara Hoffman oder Chopova Lowena.
Natürlich ist auch der Kauf von Secondhand- oder Vintagekleidung eine nachhaltige Alternative. Mit veganer Kleidung kann man nicht in jedem Fall etwas Gutes für die Umwelt tun, weil dabei häufig auch synthetische Fasern verarbeitet sein können. Auf der sicheren Seite im Sinne von Nachhaltigkeit ist der Endverbraucher hingegen beim Kauf von Produkten, deren Fasern aus ungewöhnlichen Materialien wie Pilzmyzel, Ananas, Orangenschalen oder dem Milch-Inhaltsstoff Kasein gewonnen wurden. Auch Klamotten aus der aus nachhaltiger Forstwirtschaft hergestellten Zellulose namens Modal oder Lyocell können aus ökologischer Sicht empfohlen werden. Was nur bedingt für den weit verbreiteten Stoff Viskose gilt, da dessen Holzfasern nach chemischer Aufarbeitung keine reine Naturfaser mehr sind, sondern bereits ein halbsynthetisches Material darstellen.
Auch an der neuesten nachhaltigen Initiative namens regenerative Mode, die bislang noch in keinem hiesigen Fashion-Magazin oder -Portal vorgestellt wurde, mischt der Kering-Luxus-Konzern wieder an vorderster Front mit. Dabei hat er sich allerdings bislang darauf beschränkt, in Partnerschaft mit Conservation International, einer US-amerikanischen gemeinnützigen Umweltorganisation, einen Fond von fünf Millionen Euro bis zum Jahr 2025 zur Unterstützung innovativer Projekte der regenerativen Landwirtschaft mit Fokus auf der Gewinnung von Leder, Baumwolle, sonstiger Wolle und Kaschmir zur Verfügung zu stellen. Auch Patagonia hatte schon 2020 eine Kampagne gestartet, um in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Vorteile einer regenerativen Landwirtschaft gerade auch für die Bekleidungsherstellung zu wecken. Was offenbar auch das Nobelhaus Chanel beeindruckt hatte, das sich ebenfalls 2020 in seiner „Chanel Mission 1.5“ die Förderung regenerativer Landwirte zum Ziel gesetzt hatte, um dadurch hochwertige Materialien für seine Luxusprodukte beziehen zu können. Noch früher, 2017, hatte The North Face in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen US-Organisation Fibershed Wollmützen auf Basis von Materialien aus regenerativer Landwirtschaft auf den Markt gebracht. Timberland möchte bis zum Jahr 2030 noch wesentlich weiter gehen und in seiner gesamten Kollektion nur noch Klamotten anbieten, die zu 100 Prozent aus natürlichen Materialien der regenerativen Landwirtschaft hergestellt sein sollen. Auch Richard Mallone darf nicht unerwähnt bleiben, weil er sich erfolgreich dafür engagiert hat, unfruchtbare Landflächen in gesunde Böden für eine regenerative Landwirtschaft zu verwandeln.
Regenerative Mode ist weit mehr als die Verarbeitung von Bio-Baumwolle. Ihre Basis ist die regenerative Landwirtschaft, die im Unterschied zur Biolandwirtschaft nicht nur auf den Einsatz diverser Pflanzenschutzmittel verzichtet. Bei ihr geht es um viel mehr, nämlich um die Rehabilitierung und Verbesserung des gesamten Ökosystems, wobei der Hebung der Bodengesundheit ein zentraler Stellenwert eingeräumt wird. Es ist eine biodynamische Anbaukultur, bei der die verwendeten Ressourcen auch durch optimales Wassermanagement verbessert werden sollen – statt sie komplett auszuschöpfen oder schlimmstenfalls zu zerstören. Schätzungen zufolge geht jährlich etwa ein Prozent des weltweiten Mutterbodens durch Erosion verloren, wofür größtenteils die traditionelle Landwirtschaft verantwortlich ist. Der Aufbau gesunder Böden muss daher auch im Interesse der eng mit dem Agrarsektor verbundenen Fashion-Industrie sein und hat durchaus das Potenzial, ein wichtiges Puzzleteil zur Lösung der Klima-Problematik zu werden. Schon allein deshalb, weil gesunde Böden gigantische Mengen an CO2 aus der Atmosphäre speichern können.
Verschiedene Anbautechniken
Die regenerative Landwirtschaft setzt auf verschiedene Anbautechniken wie Fruchtfolge, geringe bis keine Bodenbearbeitung (zur Erhöhung des Humusgehalts), Agroforstwirtschaft (Integration von Baumbeständen), Deck- und Zwischenfrüchte sowie auf natürlichen Kompost. All das zusammen trägt dazu bei, Kohlenstoff zu binden, die Biodiversität und das Wassersystem zu verbessern und letztlich den Boden mit Nährstoffen anzureichern.
Große Modemarken könnten durch Investitionen in dieses Wiederherstellungssystem natürlicher Ressourcen, bei dem die kalifornische gemeinnützige Organisation Fibershed durch Forschungsvorhaben und den Aufbau eines großen, von Landwirten und Viehzüchtern bis hin zu den Fashion-Designern reichenden Netzwerkes so etwas wie die Vorreiterrolle übernommen hat, ihre Umweltbilanz nicht nur in Richtung klimaneutral, sondern sogar gen klimapositiv verändern. Was inzwischen beispielsweise auch Stella McCartney, Hugo Boss, der Sportschuh-Hersteller Vans, der Fair-Trade-Brand Eileen Fisher oder das Nachhaltigkeits-Label Reformation erkannt haben. Noch beschränken sich die meisten Marken in ihrem Sortiment auf ausgewählte Posten, die aus regenerativen Quellen stammen, aber künftig könnte regenerative Mode ein festes Standbein oder auch ein wichtiger Imagebaustein werden, der sich neben der obligatorischen Bio-Zertifizierung auch an der zusätzlichen Zertifizierung als Regenerative Organic Certified (ROC) ablesen lässt (alternativ gibt es die Kennzeichnung als Climate Beneficial TM).
Natürlich werden in der regenerativen Landwirtschaft ausschließlich Naturfasern kultiviert und Tiere zur Wollproduktion, etwa von Kaschmir oder Lammwolle sowie zur Schließung des Nährstoffkreislaufs gehalten. Bei etwa einem Drittel der Materialien, aus denen Kleidung hergestellt wird, handelt es sich um Naturfasern. Wobei die Baumwolle, ein nachwachsender und biologisch abbaubarer Rohstoff, mit rund 25 Millionen Tonnen pro Jahr die Spitze behauptet, weit vor Hanf oder Leinen. In der regenerativen Landwirtschaft wird ausschließlich Bio-Baumwolle hergestellt, und zwar nicht in der die Böden auslaugenden und in der industriellen Landwirtschaft üblichen Monokultur, sondern im Fruchtwechsel-Rhythmus. Bio-Baumwolle ist wegen des Verzichts auf Pflanzenschutzmittel und auf gentechnische Veränderungen sowie wegen des geringeren Wasserbedarfs deutlich umweltfreundlicher als die klassische Baumwolle.