Die meisten E-Autos lassen sich heute in einer halben Stunde aufladen. Der chinesische Hersteller BYD will diesen Wert drastisch unterbieten. Noch sind aber Fragen offen. Insbesondere fehlt dafür derzeit noch die komplette Infrastruktur.
Bescheiden war BYD noch nie. Die Abkürzung des weltgrößten Elektroautoherstellers steht für „Build Your Dreams“ („Erschaffe deine Träume“). Zwar waren in Deutschland die Verkaufszahlen für BYD bislang ein Albtraum. Eine neue Erfindung hat aber das Zeug, die Karten in der Branche neu zu mischen – wenn sie denn so gut ist, wie die chinesische Firma behauptet. Das verheißungsvolle Versprechen: „Aufladen so schnell wie Tanken“.
Ermöglichen soll das eine neue Batterie, die mit einer Leistung von bis zu einem Megawatt laden kann. Laut BYD wird sie demnächst in der Limousine „Han L“ und in dem SUV „Tang L“ verbaut. Als Firmenchef Wang Chuanfu das Vorhaben im März im chinesischen Shenzhen vorstellte, schwelgte er in Selbstlob. „Diese neue Technologie wird dazu beitragen, den größten verbleibenden Kritikpunkt (…) von Elektrofahrzeugen zu beseitigen“, sagte Chanfu laut einer Pressemitteilung des Unternehmens. Man wolle eine „Öl-Elektro-Parität“ bei den Geschwindigkeiten erreichen. Konkret sollen 400 Kilometer innerhalb von fünf Minuten nachgeladen werden. Sollte diese Ankündigung stimmen, würde BYD die etablierte Konkurrenz tatsächlich in den Schatten stellen. Der Kia EV6, ein Vorreiter beim Schnellladen, benötigt 18 Minuten – im Idealfall, wohlgemerkt. Viele ältere E-Autos – und auch so manche neue – brauchen gut eine halbe Stunde, bis ihre Akkus wieder zu 80 Prozent gefüllt sind. Im Winter, wenn die Batterien kalt sind, dauert es häufig noch länger.
Bei BYD wiederum will man das superschnelle Laden mithilfe einer sogenannten Flash Charging Battery ermöglichen. Der LFP-Akku (Lithium-Eisenphosphat) verfügt über einen ultraschnellen Ionenkanal von der Anode zur Kathode. Da herkömmliche Ladestationen solche Stromstärken nicht verkraften, will BYD selbst entsprechende Geräte aufstellen. Allein in China sollen 4.000 „Blitzlader“ gebaut werden, teilt das Unternehmen mit.
Mal eben 400 Kilometer in fünf Minuten tanken
Doch wie gut funktioniert die Technologie in der Praxis? Und kann sie in Ländern wie Deutschland überhaupt sinnvoll eingesetzt werden? Spricht man mit Fachleuten, wird schnell klar, dass viele von ihnen die Ankündigung für durchaus glaubwürdig halten. Das liegt schon an der Firmengeschichte: BYD ist in erster Linie ein Batteriehersteller, und das schon seit Langem. Erst seit 2003 produziert das Unternehmen zusätzlich Autos. Die Expertise ist also vorhanden.
Bei der technischen Umsetzung hingegen sind noch viele Fragen offen. „Es ist auf jeden Fall ein großer Schritt nach vorne“, erklärt der Batterieforscher Joachim Sann von der Uni Gießen im Podcast „Geladen“. 400 Kilometer in fünf Minuten: „Das ist aus meiner Sicht schon ein großer Schritt“, analysiert der Wissenschaftler. Am Versprechen „Laden so schnell wie Tanken“ sei man bei solchen Werten tatsächlich „sehr nah dran“.
Das Problem: Noch fehlt es an entsprechenden Ladestationen, die so viel Power überhaupt zur Verfügung stellen können. Aktuelle Modelle schaffen in der Regel maximal 400 Kilowatt. Gerade auf Autobahnen in Süd- und Westeuropa sind solche Leistungen aber noch immer die Ausnahme. Selbst an deutschen Raststätten findet man häufig noch Relikte mit einer Ladeleistung von maximal 50 Kilowatt.
Doch auch dafür hat sich BYD offenbar schon eine Lösung überlegt. So sollen bestehende Ladestationen aufgerüstet werden können. Wie genau das technisch funktioniert, verrät das Unternehmen noch nicht. Nur so viel: Um die volle Ladeleistung von einem Megawatt zu erreichen, kann man auch zwei Ladekabel gleichzeitig ins Auto stecken. „Dual Gun Charging“ – Laden mit zwei Pistolen – nennt das die Firma. Aber selbst mit einer heute üblichen 400-kW-Ladesäule wären die neuen BYD-Modelle wesentlich schneller geladen als die Konkurrenz. Selbst Spitzenmodelle wie der Porsche Taycan schaffen aktuell höchstens 320 kW, und auch dies nicht über den gesamten Ladevorgang – je voller die Batterie, desto geringer die Ladeleistung.
Mal eben 400 Kilometer in fünf Minuten nachtanken? Das wäre nach aktuellem Stand ein Alleinstellungsmerkmal. Batterieforscher Sann sieht darin vor allem eine Chance für diejenigen, die zu Hause keine eigene Lademöglichkeit besitzen. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass BYD mit diesen extremen Schnellladestationen vorzugsweise in die Ballungsräume geht, wo die Leute dann einmal pro Woche schnell für fünf Minuten an den Lader gehen“, sagt der Wissenschaftler. In solchen Situationen sei man ohnehin mehr im Zeitstress als auf der Langstrecke, wo man nach zwei, drei Stunden Fahrt auch mal in Ruhe einen Kaffee trinken wolle.
„Andere werden schnell nachziehen“
Eine gewisse Skepsis scheint dennoch angebracht. Im Gespräch mit dem Technikportal Golem.de rechnet Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer der Netze BW GmbH, exemplarisch vor, wie teuer der Anschluss einer Raststätte ans Hochspannungsnetz wäre: „Das kostet pro Standort etwa 20 Millionen Euro, multipliziert mit 450 Standorten sind das neun Milliarden Euro.“ Hinzu komme der Zeitfaktor: Planung, Genehmigung und Bau könnten sich acht bis zehn Jahre hinziehen. Die Alternative: bestehende Ladeparks mit Pufferbatterien nachrüsten, die konstant geladen werden. Doch auch dies kostet extra. Schon heute schrecken öffentliche Ladestationen mit unverhältnismäßig hohen Preisen ab. Wie teuer ein Stopp an einer künftigen Super-Strom-Tanke wäre, ist eine von vielen offenen Fragen.
Frank Schwope von der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld schätzt die Lage vorsichtig optimistisch ein. „Für BYD ist das ein großer Fortschritt“, sagt der Automobilexperte gegenüber tagesschau.de. Aber: Bislang fehlten nicht nur die passenden Ladestationen, sondern auch kompatible Autos. Dass BYD der Konkurrenz mit den neuen Blitzladern nun endgültig enteilt, glaubt Schwope indessen nicht. Der Wettbewerbsvorteil sei vorübergehend, andere würden schon bald nachziehen, glaubt der Experte. Und ergänzt: Dem Verbrennungsmotor müsse man bald „keine Träne mehr nachweinen“.