Mehr Radikalität im Handeln und mehr Tempo fordern Unternehmer wie Josef Brunner. Die gelähmte deutsche Wirtschaft brauche eine neue Einstellung. Saarlands Finanzminister Jakob von Weizsäcker plädiert für eine europäische Kapitalmarktunion.
Deutschland habe sich zum Erfolg hingeschlafwandelt, sich in den vergangenen Jahren wohlgefühlt im Nichtstun. Das sagt Josef Brunner, Unternehmer aus München und Seriengründer von Startup-Unternehmen. Jakob von Weizsäcker, Finanz- und Wissenschaftsminister des Saarlandes und Mitarchitekt des 500-Milliarden-Fonds der angehenden schwarz-roten Koalition in Berlin, fordert eine europäische Kapitalmarktunion, damit private Investoren in vielversprechende Bereiche und Startups hierzulande investieren.
An Geld scheint es derzeit wohl nicht zu mangeln, allerdings an vernünftigen Lösungswegen, um die strukturelle Wachstumsschwäche in Deutschland zu überwinden. Wie das trotz aller geopolitischen Unwägbarkeiten und politischen Meinungsverschiedenheiten gelingen könnte, darüber diskutierten Brunner und von Weizsäcker vor Vertretern der saarländischen Wirtschaft Mitte März in Saarbrücken. Moderatorin war die Wirtschaftsjournalistin Nena Brockhaus.
Nicht nur Schuld bei der Politik suchen
Soziale Marktwirtschaft gepaart mit Freihandel galt lange Zeit als Erfolgsrezept der deutschen Wirtschaft. Aber die geopolitischen Verwerfungen, der mangelnde Wille, den Strukturwandel ernsthaft anzugehen, die hohen Ansprüche an den Staat sowie der Glaube, mit Geld alle Probleme lösen zu können, bringen die Wirtschaftsnation Deutschland derzeit ins Wanken. Egoismus, Feindseligkeit und Bequemlichkeit tun ihr Übriges. Ohne spürbare Veränderungen wird Deutschland nicht wieder auf den Erfolgspfad zurückfinden, denn die Wettbewerber aus Asien, die aktuellen Bedrohungen des Freihandels durch die USA und die zunehmenden Konflikte nehmen keine Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten und setzen der Wettbewerbsfähigkeit hierzulande massiv zu.
Ob der Staat mit unvorstellbaren Subventionssummen das Ruder herumreißen kann, da ist Josef Brunner eher skeptisch. Seiner Meinung nach ist die Gefahr groß, dass mit den gigantischen Milliardensummen zunächst die eigene Klientel versorgt und weniger die Effizienz solcher Subventionen hinterfragt werde. Geld versickert schlechterdings im ineffizienten Staatsgebilde, sagte Brunner. Als ausgewiesener Gegner von Subventionen ist er klar der Meinung, dass Unternehmen, die nur durch staatliche Förderung überleben können, sowieso vom Markt verschwinden, das gelte nicht nur für die „old economy“, sondern auch für Startups. „Solche Unternehmen braucht niemand, und dass der Staat ein schlechter Unternehmer ist, ist empirisch belegt.“ Wohingegen staatliche Unterstützung für Bildung, Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Zukunftsthemen sinnvoll und notwendig sei. Die Politik aber solle sich aus Wirtschaftsunternehmen heraushalten und lieber für bessere Rahmenbedingungen sorgen.
Für die derzeitige Wirtschaftsmisere will Jakob von Weizsäcker nicht nur die Schuld bei der Politik suchen. „Investitionen, so dringend sie notwendig sind, kommen in der Politik leider immer optimiert am Schluss.“ Die Frage sei, ob wir uns trauten, diese Logik zu durchbrechen. Denn immer wenn es um Subventionsstreichung gehe, schrien die Betroffenen auf – wie beispielsweise beim Agrardiesel. Nach dem Motto: Sollen doch erst einmal andere sparen! „Wir alle müssen uns ändern, unsere eigenen Anforderungen an den Staat hinterfragen und gegebenenfalls zurückschrauben oder mehr leisten, denn so, wie es derzeit läuft, kann es nicht weitergehen. Der massive Sanierungsstau bei der Infrastruktur duldet keinen Aufschub mehr.“
Den Vorwurf mangelnder Transparenz von Subventionen wollte der Finanzminister allerdings so nicht akzeptieren. Schließlich könne die Mittelverteilung in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen nachgelesen werden. Die Benutzerfreundlichkeit lasse zugegebenermaßen noch zu wünschen übrig.
Es sei aber nicht nur eine Frage des Geldes, von Subventionen, mit denen die Wirtschaftsprobleme in Deutschland regelrecht zugeschüttet würden, sondern auch eine Frage der Einstellung, sagte Brunner. „Im Laufe der Jahre haben wir es uns sehr, sehr bequem gemacht in der Wohlfühloase der sozialen Marktwirtschaft.“ Inflexibilität und mangelnde Bereitschaft zur Veränderung seien die Folgen. „Wir brauchen mehr Radikalität im positiven Sinne und mehr Tempo im Handeln, schließlich kommen die Probleme immer schneller auf uns zu und das von allen Seiten.“ Kriselt es im Betrieb, überdenkt und verschlankt der Unternehmer die Prozesse, der Staat dagegen stelle ein und bilde erst einmal eine Kommission, die oft ergebnislos in der Versenkung verschwinde, sagte Brunner. Mit dieser Langsamkeit könnten die Probleme nicht gelöst werden und sorgten für Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern. „Es fehlt an Leadership, und das war einer der Hauptgründe für das Scheitern der Ampelregierung.“ Die Politik sei aufgefordert, politisches Vertrauen wiederherzustellen und den Bürgerinnen und Bürgern unmissverständlich klarzumachen, dass der Staat nicht für alles geradestehen könne, dass man Verantwortung auch für sich selbst übernehmen müsse. Dazu gehöre allerdings auch ein ehrlicher Umgangston ohne ständige Vorwürfe und Beleidigungen, wie man es in den Parlamenten vielfach erlebe. Die Vorbildfunktion des Umgangs miteinander werde dort mit Füßen getreten.
Zu langsam und zu ineffektiv
Auch der Finanzminister beklagte den zunehmenden rüden Umgang untereinander, verwies aber auch auf die Vielfalt in den Parlamenten, die zu einer Demokratie dazugehöre. „Es gibt solche und solche Politiker, genauso wie es gute und schlechte Unternehmer gibt.“ Das Dilemma der Politik liege oftmals darin, dass vielversprechende Projekte nicht zügig umgesetzt werden könnten, wie das Beispiel der Erweiterung des Cispa (Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit) auf dem Campus der Universität des Saarlandes gezeigt habe. Zeitverlust und Kostensteigerungen seien die Folge der neuen Standortsuche, das sei zum Ärger vieler Mitmenschen kaum vermittelbar und würde als Verschwendung und Inkompetenz wahrgenommen. „Politik ist eben komplizierter als viele denken.“
Wenn schon Geld am Kapitalmarkt aufgenommen werden soll, um die Transformation der Wirtschaft und zukunftsträchtige Bereiche sowie Startups mit privaten Investitionen zu finanzieren, dann wäre eine europäische Kapitalmarktunion ein wichtiges Instrument. „Die Ersparnisse in der EU, allen voran der Deutschen mit einer überdurchschnittlich hohen Sparquote, sind vorhanden, doch ein Großteil dieser Gelder fließt leider in die USA“, gibt von Weizsäcker zu bedenken. Es gebe lukrative Tech-Bereiche in Europa, in die es sich zu investieren lohne. Eine europäische Kapitalmarktunion, wie sie deutsche und französische Zentralbanker seit langem fordern, würde notwendiges Kapital in Europa mobilisieren. Aber auch hier fehle es an Tempo.
Ist nun der Staat oder der Markt der bessere Unternehmer? Für Unternehmer eine rhetorische Frage. Tatsache ist, dass Deutschland vor über fünf Jahren, noch in der Ära von Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, eine damals sehr umstrittene Industriepolitik auf den Weg gebracht hatte. 2024 ist Deutschland mit rund 67 Milliarden Euro an Finanzhilfen und Steuervorteilen Europameister bei Beihilfezahlungen für die Wirtschaft – eine Verdoppelung in fünf Jahren. Mehr Markt oder Staat ist eine ordnungspolitische Frage. Es dürfte wie so oft in der Praxis um die richtige Balance gehen. Um Ausgewogenheit mit Augenmaß.