Inmitten von Feldern und Obstbaum-Plantagen steht im niedersächsischen Krummendeich der Forschungspark Windenergie „WiValdi“. Das Projekt steht unter Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Es dient seit knapp einem Jahr der Entwicklung effizienterer, leiserer und kostengünstigerer Windenergieanlagen für die Zukunft.
Das Bundesland Niedersachsen zählt zu den windreichsten Regionen Deutschlands. Man kann es auch als das Windenergiebundesland Nummer eins bezeichnen. Daher sind Windräder genau hier im Norden der Republik, wo ständig eine steife Brise von der See her weht, die zur Erzeugung von erneuerbarer Energie genutzt werden kann, eigentlich nichts Besonderes. Im Vergleich zu den umliegenden Windparks sieht die Anlage in Krummendeich ziemlich klein aus. Offiziell in Betrieb genommen wurde sie am 15. August 2023 nach mehr als zwei Jahren Bauzeit und mit Kosten von 50 Millionen Euro, die hauptsächlich aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst stammten. Die Gemeinde im Landkreis Stade liegt unmittelbar südlich der Elbe, auf niedersächsischem Terrain. Auf dem gegenüberliegenden Elbufer findet sich die zu Schleswig-Holstein gehörende Stadt Brunsbüttel mit dem inzwischen ausgedienten Atomkraftwerk und dem schwimmenden Flüssiggas-Terminal. Geradezu idyllisch zwischen Feldern und Obstbaum-Plantagen wurde in Krummendeich das ambitionierte Projekt Forschungspark Windenergie „WiValdi“ (Abkürzung für Wind-Validation) ins Leben gerufen.
Zum Forschungspark gehören lediglich drei Windenergieanlagen, die auch schon Strom ins Netz einspeisen. Doch die Energiegewinnung ist eigentlich nur ein vernachlässigbarer Nebenaspekt bei dem Projekt, das unter Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) realisiert wurde. Mit dabei waren Partner aus dem 2013 etablierten und inzwischen aus rund 600 Wissenschaftlern bestehenden Forschungsverbund Windenergie. Diesem gehören neben dem DLR das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (Fraunhofer IWES) und das 2004 gegründete Zentrum für Windenergieforschung „ForWind“ der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen an. Auch der global agierende deutsche Windenergie-Anlagen-Hersteller Enercon wurde mit ins Boot geholt. Das Projekt wurde vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil als „Leuchtturmvorhaben für die Energiegewinnung“ bezeichnet und daher im Sinne einer „strategischen Entscheidung“ mit einem Beitrag von 16,4 Millionen Euro aus dem niedersächsischen Haushaltsbudget unterstützt.
„Einzigartige Großforschungsanlage“
Sein Beitrag zum Erreichen der hochgesteckten Ziele der Energiewende (Klimaneutralität bis 2045) könnte ganz entscheidend sein. Die Bundesregierung möchte bis zum Jahr 2030 bis zu 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien generieren. Dazu soll die Windenergie einen ganz wesentlichen Part beitragen. Allein auf See sollen bis dahin 30 Gigawatt Windenergie am Netz sein, was eine Verdreifachung gegenüber den aktuellen Werten bedeuten würde. Laut vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes war die Windkraft im ersten Quartal 2024 mit einem Anteil von über 38 Prozent an der eingespeisten Strommenge der wichtigste Energieträger Deutschlands und hatte damit die Kohle mit einem Anteil von nur noch 23 Prozent schon weit hinter sich gelassen. Die Windkraft ist damit inzwischen zum Rückgrat der deutschen Stromversorgung geworden (in den Sektoren Wärme und Verkehr haben Erneuerbare Energien allerdings noch deutlich geringere Anteile), was nach vielen Jahren Stillstand in diesem lange Zeit vernachlässigten Bereich doch ziemlich überraschend sein dürfte. Für eine zuverlässige, bezahlbare und umweltschonende Energieversorgung der Bundesrepublik ist aber ein weiterer massiver Ausbau der Erneuerbaren erforderlich, wobei im Bereich der Windenergie einer Erhöhung der Effizienz der Anlagen und deren gesellschaftlicher Akzeptanz durch Verringerung der Schallemissionen die zentrale Rolle zufallen wird. Genau diesem Aufgabenfeld hat sich das DLR mit „WiValdi“ verschrieben, einer laut DLR „weltweit einzigartigen Großforschungsanlage“. Es geht darum, mithilfe von forschenden Wissenschaftlern über einen geplanten Betriebszeitraum von etwa 20 Jahren effiziente, leise und kostengünstige Windenergieanlagen der Zukunft zu entwickeln. Dass es sich bei dem Forschungspark Windenergie nicht um einen konventionellen Windpark handelt, lässt sich allein schon an Äußerlichkeiten erkennen.
Die Rotorblätter sind mit zahllosen schwarzen Punkten gleichsam übersät. Dazu kommen riesige, in leuchtendem Rot angestrichene Messmasten, die ebenso wie die etwas abseits stehende sogenannte Leitwarte, in der sämtliche ermittelten Daten aufbereitet und weiterverarbeitet werden, auf typischen Windenergieanlagen nicht anzutreffen sind. Ungewöhnlich ist auch die recht nahe Positionierung der beiden zentralen hochmodernen Windenergieanlagen „Opus 1“ und „Opus 2“ zueinander. Das würde in gängigen Windparks so niemals gemacht werden, weil das eine Windrad dem anderen gewissermaßen die Luft abschneidet und dadurch zum einen dessen Wirkungsgrad reduziert und zum anderen zur Bildung von möglichst zu vermeidenden Turbulenzen führen kann. Die Punktfelder, von denen allein im Zentrum der Anlage auf Messmasten, Rotorblättern und Anlagentürmen rund 2.000 Stück angebracht wurden, sind so etwas wie das Herzstück der Forschungsanlage.
Denn bei ihnen handelt es sich um Sensoren, mit deren Hilfe und zusätzlich unterstützt durch auf dem umgebenden Feld installierte Messgeräte („Lidar“, auch auf einem der großen Windräder ist die Laser-Technologie installiert) sämtliche auftretenden physikalischen Größen und Umwelteinflüsse wie Windgeschwindigkeit, Temperatur, Feuchte, Druck, Strahlung, Turbulenzen oder kleinste Verformungen der Rotorblätter registriert werden können. „Diese Parameter spielen eine große Rolle, wie sich das Windfeld vom Boden bis zur Spitze aufbaut“, so Dr. Jan Teßmer, Leiter der DLR-Einrichtung Windenergieexperimente. „Das sich drehende Rotorblatt kann oben eine ganz andere Windgeschwindigkeit oder -richtung erleben als unten.“ Die Wissenschaftler möchten mithilfe der Sensorik einen umfangreichen Datensatz gewinnen, auf dessen Grundlage beispielsweise sogenannte intelligente Turbinen für die Windenergie entwickelt werden können.
Der Forschungspark besteht insgesamt aus drei Windenergie-Anlagen. Die beiden Anlagen „Opus 1“ und „Opus 2“ mit einer Nennleistung von je 4,26 Megawatt stehen in Hauptwindrichtung direkt hintereinander. Die Blattspitzen der beiden Windräder befinden sich in 150 Metern Höhe. Die insgesamt sechs Rotorblätter sind je 57 Meter lang und wiegen jeweils rund 20 Tonnen. Diese beiden Anlagen werden durch einen meteorologischen „Messmast 1“ und ein sogenanntes Messmasten-Array flankiert. Dieses Array verbindet drei Messmasten miteinander, zwei 100 Meter hohe Masten außen und einen 150 Meter hohen Mast in der Mitte. Die auf ihnen angebrachten Sensoren ermitteln haargenau, wie der Wind durch die erste Anlage beeinflusst wird, bevor er auf die zweite trifft, die häufig im Nachlauf der ersten steht und daher mit sehr verwirbelter Luft zurechtkommen muss. Was unter kommerziellen Bedingungen sehr ungünstig ist, interessiert die Wissenschaftler umso mehr. Denn sich vergleichbare Anordnungen lassen sich bei einem massiven Ausbau der Windenergie künftig wohl nicht vermeiden. Deshalb möchten die Forscher gewissermaßen im Originalmaßstab und unter realen Bedingungen mit einem bislang unerreichten Detailgrad untersuchen, was bei dieser Konstellation passiert. Um Erkenntnisse darüber gewinnen zu können, wie eng man Anlagen zukünftig positionieren kann, um den vorhandenen Platz optimal zu nutzen und dabei eine möglichst hohe und für das Stromnetz bedarfsgerecht hohe Ausbeute erzielen zu können. Komplettiert wird der Forschungspark durch die kleinere Anlage „WEA 3“ mit 500 Kilowatt, die vom „Messmast 5“ flankiert wird, und der schon genannten Leitwarte.
Konkret geht es dem DLR mit „WiValdi“ darum, in Zusammenarbeit mit diversen Wirtschaftsunternehmen neue Technologien aufzuspüren, um die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit der Windenergie zu verbessern. So wird beispielsweise an „intelligenten Rotorblättern“ mit optimierter Form, neuer Struktur, Bauweise und Materialzusammensetzung namens „Smart Blades“ geforscht, die sich an den Wind anpassen können. Wobei besonders Komponenten wie aktive oder passiv-adaptive Vorder- und Hinterkantenflügel auf den Prüfstand gestellt werden sollen. Auch die in den Smart-Blades-Blättern implementierte sogenannte Biege-Torsionskopplung soll hier auf Herz und Nieren erprobt werden. Die Durchbiegung der Rotorblätter kann sowohl mechanisch durch sogenannte Dehnmessstreifen als auch optisch mittels einer faseroptischen Dehnmesstechnik überprüft werden. Die exakte Bewegung des Blattes wird von zahlreichen Beschleunigungssensoren aufgezeichnet. Ein sogenanntes piezoelektrisches Sensornetz kann frühzeitig etwaige Schäden oder eine Überlastung am Rotorblatt erkennen. „Einfach ausgedrückt, erkennt man durch dieses Structural Health Monitoring frühzeitig“, so das DLR, „wie es dem Material geht und wann etwa der perfekte Zeitpunkt für einen Austausch einzelner Teile oder Materialien ist.“
Neue Technologien aufspüren, die die Effizienz steigern
Doch nicht nur rein mechanischen Komponenten gilt das Interesse der Forscher, sondern auch neuen Regler-Algorithmen, mit deren Hilfe die Windenergieanlage jeweils auf die aktuelle Windsituation perfekt reagieren kann. Damit soll nicht nur ein Mehr an Energieausbeute erzielt werden, sondern auch die gesamten Strukturen sollen möglichst weit entlastet werden, um so eine längere Lebensdauer der Anlage zu gewährleisten. Auch durch Verbesserungen im Anlagenbetrieb und in der Wartung kann die Effizienz natürlich erhöht und können Ausfallzeiten minimiert werden, weshalb an Fortschritten in der Fernüberwachung und an vorausschauenden Wartungssystemen gearbeitet wird. Schließlich zählt auch die Reduktion von Störphänomenen mit den Schallemissionen an der Spitze zu den wichtigsten Forschungszielen im Rahmen von „WiValdi“. Die Lärmbelastung kann möglicherweise durch die neuen Rotorblatt-Formen, durch Veränderung des Kippwinkels der Rotorblätter oder auch durch eine Drehzahloptimierung verkleinert werden. Auch die Konstellation der Windräder zueinander spielt bei der Entstehung der Schallemission eine wichtige Rolle. Die DLR will jedenfalls in Sachen Lärmreduktion „neben hardware-technischen Modifikationen auch software-technische Betriebsführungsprozesse untersuchen“. Last but not least bietet „WiValdi“ der Wissenschaft die einzigartige Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt von am Computer erstellten Simulationsmodellen, die häufig beim Entwurf von neuen Windanlagen benutzt werden, im Betrieb einer realen Anlage zu überprüfen. „Die Ergebnisse einer solchen Simulation lassen sich hier im realen Maßstab validieren“, so das DLR. „Damit können die Simulationswerkzeuge verbessert und mögliche Schwachstellen aufgedeckt werden. So können in Zukunft noch genauere Prognosen getroffen werden, ohne dass kostenintensive Experimente durchgeführt werden müssen.“