Die neue Dauerausstellung im Berliner Urban Nation Museum widmet sich unter dem Titel „Love Letters to the City“ der Straßenkunst.
Kilroy war da. Kilroy war immer schon da. Kilroys Wesen ist es, immer schon dagewesen zu sein. Dass Kilroy in einem der Ausstellungsräume von Urban Nation mit diesem Blick, der sich nicht entscheiden kann zwischen Neugier und Furcht, über eine Mauer blickt, die keine Mauer ist, sondern nur ein Strich, wundert also nicht. Denn im „Museum For Urban Contemporary Art“ unweit des Nollendorfplatzes geht es um Straßenkunst, also um etwas, dessen Teil Kilroy schon immer war. Zumindest fühlt es sich so an.
Wandmalerei ist Teil der Zivilisation
Überall auf der Welt ist Kilroy aufgetaucht. Nicht nur an Wänden. Generationen von Schülern haben ihn zum Beispiel auf Blocks und in Aufgabenhefte gekritzelt, wenn das, was an der Tafel passierte, mal wieder zu langweilig war: ein Gesicht mit einer länglichen Nase und zwei ovalen Augen, das über eine Mauer schaut, dazu Finger rechts und links, die der Gestalt Halt geben. Mal ist nur dieses Gesicht zu sehen, mal steht dabei, um wen es sich handelt: „Kilroy was here.“
Kilroy ist zum ersten Mal „im Zweiten Weltkrieg aufgetaucht“, erklären die Macherinnen und Macher der neuen Urban-Nation-Dauerausstellung. „Das Meme symbolisiert die Einheit der US-amerikanischen Truppen und ihre Verbindung zur Heimat. Nach dem Krieg wird Kilroy zu einer Ikone der Popkultur und beeinflusst Streetart und Graffiti“, steht direkt am Anfang der Ausstellung unter einer an die Wand gemalten Kilroy-Zeichnung. Das Phänomen ist gut erforscht. „Kilroy was here“ soll erstmals 1939 auf Schiffen und in Militärhäfen in den Vereinigten Staaten gesichtet worden sein. Von dort aus begleitete Kilroy die US-Armee. Unter den Soldaten soll ein Wettbewerb entstanden sein, in dem es darum ging, die Figur und den Slogan an Stellen zu malen, an denen die Armee gerade erst angekommen ist. Das Ganze musste so schnell und unauffällig geschehen, dass der Eindruck entstand: Kilroy war schon da, bevor die Truppen eintrafen. Ein Mythos entstand.
In einer Ausstellung, die sich der Straßenkunst widmet, darf Kilroy also nicht fehlen. Wobei er bei Weitem nicht der Ursprung der Streetart war. „Zeichnerische Setzungen auf Wänden gab es schon vor den ersten Zivilisationen, und sie sind immer ein wesentlicher Teil des menschlichen Ausdrucks gewesen“, heißt es im Museum. In den 70er-Jahren habe sich Graffiti dann in New York entscheidend weiterentwickelt, als neben Häuserwänden auch U-Bahnen „quasi zu Leinwänden“ wurden. In Berlin, erklärt die Ausstellung, sei Graffiti immer schon „eine Mischung aus politischem Ausdruck und Anspruch auf den öffentlichen Raum gewesen“.

„Streetart ist aufgrund von Witterung, Vandalismus und sonstigen Einflüssen stets der Gefahr ausgesetzt, beschädigt, zerstört, überstrichen oder entwendet zu werden. Der Zustand des Vergänglichen ist in vielen Fällen auch Teil des Konzeptes der Arbeiten beziehungsweise eine der Folgen, wenn ungefragt Kunst im öffentlichen Raum angebracht und hinterlassen wird“, begründet das Museum seine Existenz. Denn es wurde 2017 eröffnet, um der „flüchtigen und vergänglichen Kunst der Straße, der Urban Art,“ einen geschützten Ort zu geben und „die Geschichte dieser weltweiten künstlerischen Bewegung erlebbar“ zu machen. Träger des Museums ist die „Stiftung Berliner Leben“, die von der Gewobag, einem der größten Immobilienunternehmen in Deutschland, gegründet wurde.
Die neue Dauerausstellung, die bis Mai 2027 zu sehen sein soll, trägt den Titel „Love Letters to the City“. Städte seien „mehr als Beton und Asphalt, sie pulsieren voller Geschichten, Träume und Gefühle“, erklärt die Stiftung den Hintergrund der von Michelle Houston kuratierten Schau. Sie sei „eine Hommage an die Stadt und eine Einladung, unsere urbanen Lebensräume mit einem neuen Blick zu erforschen“. „Love Letters to the City“ zeigt Werke von über 50 internationalen und in Berlin lebenden Streetart-Künstlern.
„Themen wie Urbanisierung, Gentrifizierung, Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit verlangen einen kritischen Diskurs, der die Entwicklung der Gesellschaft im positiven Sinne beeinflussen soll“, sagen die Macherinnen und Macher der Ausstellung – und stellen Fragen: Wie verändert Kunst die Sichtweise auf den öffentlichen Raum? Welche Veränderungen kann Kunst in der Stadt anstoßen? Auf welche Methoden greifen die Künstlerinnen und Künstler zurück, um eine entsprechende Wirkung zu entfalten?
Einmischung durch Straßenkunst
Wobei zu den Methoden auch Werkzeug gehört – zum Beispiel solches, mit dem man die im öffentlichen Raum stehenden Werbekästen und Großleinwände großer Marketingfirmen knacken kann. Der italienische Künstler Hogre zum Beispiel hat dem Design des Online-Handelsgiganten Amazon nachempfundene Plakate mit Waffen, die jeder kaufen kann, wenn er nur das nötige Geld dazu hat, in solche Werbekästen gehängt. „Ammazzo“ hat er die fiktive Firma, die Panzer, Flugzeuge, Bomben und Pistolen anbietet, genannt. „Ammazzo“ bedeutet aus dem Italienischen übersetzt „Ich töte.“
Zu sehen sind neben Großstadt-Straßenkunst aus vielen Teilen der Welt auch kleine Teile der Berliner Mauer. Auch die Mauer war aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler eine große Leinwand. Dass diese Kunst einmal viel wert sein würde, ist ihnen sicher nicht in den Sinn gekommen. Aber bereits im Juni 1990 initiierte das DDR-Außenhandelsunternehmen Limex-Bau in Monaco die erste internationale Versteigerung von bemalten Mauerteilen. Mauerkunst steht inzwischen in Museen und privaten Sammlungen und wird mit Echtheitszertifikaten, die nicht immer seriös sind, auch in winzigen Stücken verkauft.
Gibt es ein Mauerstück mit Kilroy? Ziemlich sicher. Kilroy war überall. Und wenn er nicht als Zeichnung auftauchte, dann als Legende. Der Wissenschaftsjournalist Charles Panati schreibt, dass der Slogan „Kilroy was here“ bereits auf der Fackel der Freiheitsstatue in New York, dem Gipfel des Mount Everest, auf dem Pariser Triumphbogen, der chinesischen Marco-Polo-Brücke und auf Hütten in Polynesien entdeckt worden sein soll. Einer der Amerikaner, die auf dem Mond waren, hat den Spruch angeblich dort in den Staub geschrieben. Charles Panati berichtet auch von einem Vorfall, der sich während der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 ereignet haben soll: Josef Stalin betrat dort eine Toilette, die ausschließlich für ihn selbst, den US-Präsidenten Harry S. Truman und den englischen Premierminister Winston Churchill reserviert war. Als er wieder herauskam, will ein Dolmetscher gehört haben, wie er fragte: „Wer ist Kilroy?“