Mit seiner Paraderolle als „Lilo Wanders“ machte Ernie Reinhardt bundesweit Fernsehkarriere. Der Mitgründer des Hamburger „Schmidt Theaters“ führt heute Besucher über die Reeperbahn und ist seit 2021 Vorstandsmitglied seiner Stiftung „Come out!“.
Kaum ein Künstler ist so mit seiner Bühnenfigur verschmolzen wie Ernie Reinhardt, der medial eigentlich nur in seiner Rolle als „Lilo Wanders“ wahrgenommen wird: Diese bissige, alternde Diva entstand 1989 in dem von ihm mitgegründeten Hamburger „Schmidt Theater“ und wurde fortan Reinhardts Alter Ego. Lilo Wanders wird seitdem von den Medien als reale Person behandelt: Sie moderiert Fernsehshows und Gala-Abende, schreibt Bücher und kabarettistische Bühnenprogramme, tritt in Filmen und als Sängerin auf oder nimmt zu gesellschaftlichen Problemen Stellung. Fernsehgeschichte schrieb Wanders vor allem mit der kultigen und sogar international erfolgreichen Ratgebersendung „Wa(h)re Liebe“, wo sie ab 1994 als „Sexpertin“ informativ und gar nicht halbseiden Fragen zum Liebesleben beantwortete.
Für Ernie Reinhardt ist „Lilo Wanders“ bis heute die Rolle seines Lebens, Fluch und Segen zugleich. Seine Bühnenfigur sichert ihm einerseits ein gutes Einkommen, das er teilweise in einen großzügigen Bauernhof im Alten Land bei Hamburg investiert hat, wo er mit seiner Familie heute viel Zeit verbringt. Andererseits habe seine Kunstfigur ihn auch eingeengt, weil „man mir nie mehr zugetraut hat. Wenn mein Leben rund wäre, hätte ich gern mehr schöne Rollen gespielt. Damit ich mal zeigen kann, was ich wirklich kann“, verriet Reinhardt 2022 beim Portal „Promipool“. Er hätte sich beispielsweise gut vorstellen können, auch mal eine tragende Männerrolle in einem Fernsehfilm zu spielen, etwa einen ruppigen Schurken, einen stürmischen Liebhaber oder sogar einen „Tatort“-Kommissar. Dennoch war Reinhardt zwischen 1990 und 2015 in einigen Kinofilmen (zum Beispiel in der Reihe der „Werner“-Comicverfilmungen) und Fernsehserien als Schauspieler zu sehen (2001 im „Tatort“, 2012 in „Rote Rosen“). Er hat sich bereits im Jugendalter als homosexuell geoutet, führt aber dennoch seit über zwei Jahrzehnten mit Ehefrau Brigitte eine traditionelle Ehe: „Wir leben mit unseren beiden Söhnen und unserer Tochter ein relativ bürgerliches Leben“, sagte Reinhardt 2022 der „Gala“.
Als „Sexpertin“ bekannt
Die Corona-Beschränkungen bedeuteten auch für Reinhardt den Wegfall von Verdienstmöglichkeiten. Kabarett-Programme und eine Theatertournee wurden abgesagt, auch zaghafte Ideen für ein Comeback von „Wa(h)re Liebe“ fielen der Pandemie zum Opfer. „Aber vielleicht kommt ja ein fernsehschaffender Mensch auf den Gedanken, mich wieder einzusetzen“, so Reinhardt zu einer möglichen Rückkehr als TV-Moderator. Zuletzt war er als Lilo Wanders in der TV-Ratesendung „Gefragt – Gejagt“ als Kandidat zu sehen. Reinhardt ist froh, dass die harte Corona-Zeit hinter ihm liegt und Lilo Wanders wieder ihren Beruf ausüben kann. So tritt sie derzeit mit den Programmen „Endlich 60 – Gaga, geil und gierig“ und „Sex ist immer noch mein Hobby“ bundesweit auf Kleinkunstbühnen auf und spielt noch bis zum Jahresende am Bremer Theater in der als Opern-Parodie inszenierten Operette „Orpheus in der Unterwelt“ die Rolle der Göttermutter Juno: „Die Operette ist ein neues Genre für mich. Und genau das reizt mich“, sagte Reinhardt kürzlich dem „Kölner Stadtanzeiger“. Er habe sogar einen kleinen Gesangspart. Neuland betrat Lilo Wanders zuletzt auch zu Weihnachten 2022 mit dem Podcast „Massengeschnackseln“ und im Oktober 2023 mit einem 14-tägigen Gastspiel auf einem Kreuzfahrtschiff. Schon seit über zehn Jahren führt Wanders aus Verbundenheit zu St. Pauli interessierte Besucher bei ihrer „Tour de Schmidt“ und „Tour de Wanders“ über die Reeperbahn.
„Es war ein tolles Leben“
Wenn Reinhardt auf seine Karriere zurückblickt, zieht er trotz fehlender Rollenvielfalt ein positives Fazit: „Ich habe die ganze Welt gesehen. Es war alles richtig. Es war bisher ein tolles Leben.“ 2021 hat der sozial engagierte Künstler in Erinnerung an seine schwule Jugendzeit die Stiftung „Come-out!“ mitgegründet und gehört seither dem Vorstand an. Ziel dieser Stiftung ist es, queere Jugendliche auf ihrem individuellen Weg zu stärken und ihnen auch auf dem Land geschützte Räume zu bieten. Gerade auf dem Land, wo er lebe, zeige sich eine recht große Aufgeschlossenheit gegenüber den Stiftungszielen. So sei er im kommenden Jahr zu Vorträgen bei den Landfrauen seines Nachbarortes und bei der 7. Klasse einer Schule eingeladen worden. Dass seine Stiftung jetzt in Köln bei der Wirtschaftsnacht Rheinland den Sonderpreis Diversität erhalten hat, unterstütze natürlich deren Arbeit, sodass man schon bald mit der Förderung von Projekten beginnen könne. So wolle man im nächsten Jahr erstmals in einer dörflichen Struktur einen Christopher-Street-Day an den Start bringen. Er sei optimistisch, dass die meisten Mitbürger aufgeschlossen und tolerant seien, Althergebrachtes zu hinterfragen. „Leider sind diese Menschen eher leise. Laut sind die Rückwärtsgewandten, die ihre Machtposition gefährdet sehen“, beklagte sich Reinhardt vor drei Monaten in der „Münchner Abendzeitung“. Trotzdem sei er zuversichtlich, „dass unsere Freiheitlichkeit Bestand haben wird“.