Winston Churchill gilt als bedeutendster britischer Staatsmann des vergangenen Jahrhunderts. Den Grundstein zu seiner unvergleichlichen politischen Karriere legte er in jungen Jahren als Kriegsberichterstatter im Zweiten Burenkrieg – und mit einer spektakulären wie filmreifen Flucht aus der Gefangenschaft.
Wer sich heute damit beschäftigt, was den zweimaligen britischen Premierminister zu dem machte, der er war, stößt schnell auf eine Episode, die von Winston Churchills Rolle als Kriegsberichterstatter im Zweiten Burenkrieg handelt. Dieser Konflikt zwischen dem British Empire und den beiden Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Südafrikanische Republik dauerte von 1899 bis 1902 und drehte sich vor allem um Land und Bodenschätze. Bei Kriegsbeginn war Churchill gerade einmal 24 Jahre alt. Zuvor hatte er bereits Kriegserfahrungen als Soldat in Kuba, Indien und im Sudan gesammelt.
Von diesen Kampfhandlungen berichtete er nebenbei für die „Morning Post“. Das Schreiben habe ihm immer als Schutz vor der Depression gedient, sagte Churchill später einmal. Den Ausbruch des Zweiten Burenkriegs hatte er kommen sehen und sich deshalb als Journalist der „Morning Post“ nach Südafrika einschiffen lassen. Der Vertrag mit der Zeitung sicherte ihm seinerzeit einen außerordentlich lukrativen Verdienst zu. Allerdings währte seine Zeit als Kriegsberichterstatter nicht sonderlich lange: Am 14. Oktober stach Churchill von Southampton aus in See, Mitte November bereits wurde er zusammen mit einigen britischen Soldaten von der Gegenseite, den Buren, gefangengenommen.
Diese glaubten ihm nicht, dass er Zivilist sei, und internierten ihn als Kriegsgefangenen in Pretoria, damals Hauptstadt der unabhängigen Südafrikanischen Republik, auch Transvaal genannt. Aus heutiger Sicht muss man den Kontext betrachten, in dem all dies geschah. Zum einen tat sich das mächtige britische Imperium in diesem Krieg viel schwerer als gedacht. Man hatte auf Seiten der Briten eigentlich geglaubt, mit den Buren schnell fertig zu werden. Zum anderen war Churchill auch nicht irgendwer, sondern Sohn des berühmten Lord Randolph Churchill, selbst Politiker, der als Autor viel gelesener militärkritischer Bücher in Erscheinung trat.
In dieser Situation, die der deutsche Historiker und Churchill-Biograf Sebastian Haffner als „tiefe Niedergeschlagenheit“ in England beschrieb, gelang dem jungen Winston ein Husarenstück: Er entkam der Gefangenschaft der Buren und schlug sich ins 500 Kilometer entfernte Mosambik durch. Nachdem er alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um als Journalist freigelassen zu werden, aber nichts fruchtete, entschloss er sich zusammen mit einem Mitgefangenen zur Flucht. Als Erstes passte Churchill den richtigen Moment ab, in dem die Wachen ihm den Rücken zudrehten. Dann kletterte er auf die Gefängnismauer – nicht schlecht für jemanden, dem später das Zitat „No Sports“ in den Mund gelegt wurde. Zu Unrecht, wie man heute weiß. Sein Flucht-Komplize folgte ihm allerdings nicht. Mutmaßlich hatte ihn in letzter Sekunde der Mut verlassen. Churchill war auf sich allein gestellt.
Reaktivierung als Offizier
Sein gesamter Besitz belief sich in diesem Moment auf vier Tafeln Schokolade und 75 Pfund Sterling – das entsprach immerhin der heutigen Kaufkraft von etwa 10.000 Euro. Ohne Kompass musste er sich am Sternbild Orion orientieren. Wie in vielen Abenteuergeschichten der damaligen Zeit konnte der Journalist auf einen vorbeifahrenden Güterzug aufspringen – ohne genau zu wissen, wohin ihn dieser bringen würde. Da er fürchtete, tagsüber entdeckt zu werden, versteckte er sich am Tage in der Wildnis und lief nachts Richtung Osten, um in die portugiesische Kolonie Mosambik zu gelangen.
Die Buren setzten ein Kopfgeld von 25 Pfund auf ihn aus und druckten Steckbriefe mit seinem Foto. Doch das Glück half Churchill: Auf einem Abstellgleis entdeckte er einen Güterwaggon mit der Beschriftung Lourenço Marques: Das war damals der Name für die mosambikanische Hafenstadt Maputo. Er versteckte sich zwischen Säcken und schlief kaum – aus Angst, sein Schnarchen könnte ihn verraten. Eigentlich rechnete er mit einer Reisezeit von 36 Stunden, doch sein Waggon wurde an der Grenzstation Komati Poort für 18 Stunden auf ein Abstellgleis geschoben, was Churchills Tortur unnötig verlängerte. Er rechnete zu jeder Sekunde damit, dass sein Waggon durchsucht werden würde, was aber nicht geschah. „Müde, schmutzig, hungrig, aber wieder frei“, wie er es selbst beschrieb, kroch er letztlich in Lourenço Marques aus seinem Versteck.Dort suchte er den britischen Konsul auf, wusch sich, kaufte sich frische Kleider und ließ sich von einem Trupp bewaffneter Engländer zum Hafen begleiten – für den Fall, dass ihn einer der dortigen „Buren-Agenten“ entführen wollte. Ein Dampfer startete noch am selben Abend in Richtung Durban. Statt nach diesen Strapazen schnurstracks nach England zurückzukehren, stürzte Churchill sich also wieder ins Kriegsgeschehen. Erstaunlich an der gesamten Geschichte ist, dass Churchill-Biograf Sebastian Haffner eine andere Darstellung der Flucht überliefert: Demnach versteckte sich Churchill in einem Bergwerk, wo ihm ein englischer Ingenieur zur Flucht in einem Kohlenzug verhalf.
Wie auch immer: Die Nachricht seiner gelungenen Flucht schlug in England ein wie eine Bombe. Da sonst nur negative Meldungen über den Burenkrieg auf die Insel gelangten, konnte dieses „prächtige Husarenstück eine ganz unverhältnismäßige Bedeutung gewinnen“, wie Haffner es kommentierte. Für Churchills weitere Karriere sei die gelungene Flucht ein Wendepunkt gewesen: „Es gab so etwas wie einen Knalleffekt, eine große Verwandlungsszene: den Durchbruch.“ Noch heldenhafter erschien dann wohl auch die Tatsache, dass sich der junge Journalist nicht erst einmal zu Hause erholen wollte. Im Gegenteil, Churchill schrieb weiterhin Kriegsberichte und ließ sich sogar als Offizier reaktivieren.
Als sich dann das Schicksal langsam zugunsten Englands wandte, steigerte sich der Ruhm des späteren Premierministers ins schier Unermessliche. Haffner beschreibt es so: „Als im Juli 1900 Pretoria genommen wurde, war er bei der ersten Vorauspatrouille, die tollkühn einritt – die Stadt war noch nicht gefallen – und die englischen Gefangenen aus dem Lager befreite, aus dem er damals entflohen war. Glänzender ging’s nicht. Das ganze Land sprach immer noch von ihm.“ Der Grundstock für seinen politischen Aufstieg war gelegt.