Die Scorpions feiern am 5. Juli ihr 60. Bandjubiläum mit einem Stadionkonzert in ihrer Heimatstadt Hannover. Prominente Gäste sind Judas Priest und Alice Cooper. Eine Ausstellung am Flughafen und eine limitierte Briefmarke würdigen die Karriere der Weltstars.

Hier hat alles angefangen, ich bin ein paar Jahre später dazugestoßen, als die Schenkers schon an der Kieskuhle am Proben waren.“ So beginnt Klaus Meine seine emotionale Dankesrede an die Stadt Sarstedt, die die Scorpions kürzlich mit einem Eintrag ins Goldene Buch geehrt hat. Auf dem Kopf sein Markenzeichen, das schwarze Käppi, wie immer verkehrt herum. In der Kleinstadt vor den Toren Hannovers startete die Band vor genau 60 Jahren ihre Weltkarriere.
Der gelernte Dekorateur Klaus Meine und der gelernte Starkstromelektriker Rudolf Schenker bilden heute das Herz der Band, gemeinsam mit dem hannoverschen Gitarristen Matthias Jabs, der seit 1979 dabei ist. Die Scorpions haben alles erreicht, wovon Musiker nur träumen können. Sie spielten als erste und einzige deutsche Band dreimal nacheinander im ausverkauften Madison Square Garden in New York, der legendärsten aller legendären Rockarenen. Sie waren mit drei Alben gleichzeitig in den US-Charts vertreten. Sie hatten mit „Wind of Change“ einen echten Welthit und verkauften bis heute mehr als 100 Millionen Tonträger.
„Wir Spielen für drei Generationen“

Klaus Meine könnte sich also mit Fug und Recht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Doch er will keine Ruhe geben und spreizt weiter seine Finger in die Kamera. Dabei wirkt er zuweilen wie gefangen in seiner eigenen Kunstfigur, denn er und seine Kollegen Schenker (76), Jabs (69), Mikkey Dee (61) und Paweł Mąciwoda (58) sind dazu verdammt, wie in einer Endlosschleife immer wieder dieselben Posen abzuspulen. Statt ihre Fans wie in den späten 1990er-Jahren mit Kuschelrock einzulullen, hauen die Senioren ihnen heute wenigstens wieder harte und rhythmusbetonte Songs mit authentischem Rock’n’Roll-Feeling und prägnanten Melodien um die Ohren. Inklusive der grandiosen Gitarren-Riffs von Schenker, der virtuosen Soli von Jabs und der metallisch hohen Stimme des Sängers Meine, die einem die Nackenhaare aufstellt. 1981 hätte er sie beinahe verloren, aber nach einer Operation ertönte sie sogar noch markanter. Böse Zungen behaupten allerdings, sein Englisch klinge nicht besonders überzeugend. In Amerika sieht man das anders. Ein bekanntes Metal-Magazin hat ihm die bei Weitem beste und markanteste Stimme von allen Hard-Rock-Bands der 80er-Jahre attestiert. Meine hört das gern und erzählt aus dem Nähkästchen: „Als wir in Las Vegas unsere erste Residency im ‚Hardrock Hotel‘ mit fünf Shows in Folge spielten, bekamen wir von einem großen Musikmagazin einen Preis überreicht. Jeder andere, der an dem Abend einen Award erhielt, erwähnte die Scorpions und mich als Sänger als Inspiration. Es hat uns selbst überrascht, wie breit das gefächert war. Selbst die ganz harten Kerle nannten uns als Einfluss.“
Billy Corgan von den Smashing Pumpkins preist Klaus Meine als einen der besten Rock-Vokalisten überhaupt. Kirk Hammett von Metallica ist seit seinem 15. Lebensjahr besessen von Songs wie „The Sails of Charon“ aus der Feder von Ausnahmegitarrist Uli Jon Roth, der die Scorpions 1979 verließ. Als Metallica einmal in Hannover spielten, bekamen sie von Meine und Co. eine exklusive Stadtführung.
Klaus Meine feiert im Mai seinen 77. Geburtstag. Der Mann ist so beschäftigt, dass er eigentlich keine Zeit hat, darüber nachzudenken, wie man im Rock’n’Roll in Würde verwelkt. „So lange wie ich auf Tour bin, ist das Alter für mich überhaupt kein Thema“, gibt er mit leuchtenden (blauen) Augen zu Protokoll. „Wir spielen mittlerweile für drei Generationen. In Amerika ist der Altersdurchschnitt etwas höher, das liegt an den Fans aus den 1980er-Jahren, die mit uns zusammen grau werden. Im Rest der Welt ist ein unglaublich junges Publikum dazugekommen. Das hält uns frisch. Wir werden natürlich älter und spüren das hin und wieder auch. Ich glaube, junge Menschen finden es attraktiv, eine Band zu sehen, die sowohl bretthart rockt als auch Songs spielt, bei denen es um Emotionen geht. Wir treffen mitten ins Herz. Das ist der Spirit, der uns am Laufen hält.“
Auch Rudolf Schenker zieht die Rockerkluft Opas Strickjacke vor. Der Gitarrist ist 1,80 Meter groß, meditiert täglich und wirkt für seine 76 Lenze erstaunlich vital. Mit seiner knallblond gefärbten Stachelfrisur, dem Kinnbärtchen, dem drahtigen Körper und der energiegeladenen Bühnenperformance will er dem nicht gerecht werden, was man sich gemeinhin unter einem Altrocker vorstellt. Laut dem „Metal Hammer“ klingen die Scorpions auf ihrer aktuellen Studioplatte „Rock Believer“ so agil wie seit vielen Jahren nicht mehr: „Man spürt förmlich, mit welcher Lust und Frische die Band am Werk war.“
„Wind of Change“ textlich verändert

Der Flughafen Hannover verwandelt sich anlässlich des Bandjubiläums zum „Hub of the Scorpions“. Und musikalisch soll das Ganze am 5. Juli in der Heinz-von-Heiden-Arena in Hannover gefeiert werden – mit Stargästen wie Judas Priest, Alice Cooper und Bülent Ceylan. Sind Stadionkonzerte für Schenker die Königsklasse? „Ja klar“, bestätigt er. „Mehr als im Stadion aufzutreten geht auch gar nicht, es sei denn, du spielst wie wir bei Rock in Rio vor 500.000 Leuten oder vor 800.000 auf einem Flugfeld in Polen. Das ist dann wirklich die Königsklasse. Man muss natürlich wissen, wie man in einem Stadion performt, sodass die Leute sich auch unterhalten fühlen.“
Doc McGhee, ihr langjähriger US-Manager, organisierte 1989 das Moscow Peace Festival. Neben den Hannoveranern spielten dort Bon Jovi, Ozzy Osbourne und Mötley Crüe. „Bei unserem Auftritt im Lenin-Stadion kam Klaus die Idee zu ‚Wind of Change‘“, erzählt Schenker. „Und das noch vor dem Mauerfall! Aufgrund dieses Songs sind wir dann häufig in großen Arenen in Russland und Asien aufgetreten. Die örtlichen Radiostationen begannen und endeten ihr Tagesprogramm jeweils mit ‚Wind of Change‘. Ich habe Klaus dazu überredet, das Stück in Russisch einzuüben. Und prompt wurden wir vom damaligen Staatspräsidenten Gorbatschow in den Kreml eingeladen. Dort sangen wir es vor ihm und seiner Frau Raissa.“
„Die ganze Welt war einst mit Deutschland verfeindet“, weiß Meine. „Doch auf einmal wurden wir von einer Welle der Begeisterung getragen. Unsere Musik hatte auf subtile Weise in die Herzen der sowjetischen Fans gefunden. Keine Frage, dass das auch politisch eine gewisse Rolle spielte. Deswegen war ja das kommunistische System so kritisch gegenüber Rock aus dem Westen. Wir Deutschen können dankbar sein für unsere friedliche Revolution. Sie war nur möglich, weil Michail Gorbatschow wollte, dass die Deutschen ihr Schicksal selbst bestimmen.“

Seit der russischen Invasion in der Ukraine performen die Scorpions ihren größten Hit nicht mehr in der Originalversion. Meine erklärt, wie es dazu kam: „Zwei Jahre lang haben wir die Ukraine-Version gespielt, die unsere Solidarität mit dem Land ausdrücken sollte. Und im Oktober 2023 geschah der Überfall der Hamas auf Israel. ‚Wind of Change‘ wird in der Welt als Friedenshymne wahrgenommen. Und jetzt heißt es im Text: ‚Listen to my Heart / It still believes in Love‘. Was bedeutet, dass wir nach all dem, was gerade in der Welt passiert, immer noch an das Gute glauben und darauf hoffen, dass der Wind sich dreht.“
Hollywood hat sich die Rechte an dem Stoff gesichert. Das Biopic „Wind of Change“ von der Filmproduktionsfirma ESX Entertainment („American Wrestler“) soll noch in diesem Jahr erscheinen. Warum ist die Geschichte der Scorpions ein Thema für die Traumfabrik? „Weil sie so außergewöhnlich ist“, findet Rudolf Schenker. „Es gab ja auch schon ein Biopic über Mötley Crüe, die ebenfalls eine besondere Geschichte haben mit ihren ganzen Drogen und ihrem Lifestyle. Unser Anderssein ist viel subtiler. Ich wollte, dass wir unsere Musik als Brückenbauer nutzen unter der Devise ‚Love, Peace and Rock’n’Roll‘.“