Klimawandel, globale Konflikte, Armut, politische Instabilität, neue Technologien. Die Welt verändert sich rasant, und Deutschland tut sich schwer mit diesem Transformationsprozess. Ranga Yogeshwar spricht über Pessimismus, Komfortzonen und Herausforderungen als Chancen.
Herr Yogeshwar, wer verändert, muss mit Widerstand rechnen. Aber der Erfolg gab Ihnen schließlich recht, oder?
Das ist in der Tat so. Wir haben beim Fernsehen neue Formate nicht nur gedacht, sondern auch gemacht, althergebrachte Ideen in Frage gestellt und den Wissenschaftsjournalismus auf eine neue Ebene gehoben. Machen, lautet die Devise und das ist beim Fernsehpublikum gut angekommen. Die Einschaltquoten, wie sie heutzutage über Erfolg und Misserfolg einer Sendung herangezogen werden, gab es in den 80er Jahren zwar so noch nicht. Aber ich gebe gerne zu, dass die vielen Preise und Auszeichnungen für unsere Sendungen auch eine Art Schutzschild für mich waren, Neues machen zu können. Veränderung ist das Salz in der Suppe.
Das in Politik und Gesellschaft leider zunehmend fehlt, so der Eindruck. Da kocht jeder gern sein eigenes Süppchen. Was muss sich ändern?
Ich möchte jetzt an dieser Stelle kein Politik-Bashing machen, aber mir scheint, dass es in der Politik keine langfristige Vision, kein belastbares und nachhaltiges Zukunftsszenario gibt. Es wird zu kurzfristig gedacht und oftmals nur auf Druck von außen reagiert. Es fehlt das Rückgrat, Dinge beim Namen zu nennen und auszuhalten. Alles und jedes zu skandalisieren ist keine Lösung.
Wir befinden uns zurzeit in einer Scharnierphase, einer Phase des Übergangs, ob das nun Klimawandel ist, die Arbeitswelt betrifft oder das Zusammenleben verschiedener Kulturen: Was Jahrzehnte lang Konsens war, ändert sich in rasantem Tempo, und das führt zu einer Verunsicherung in Politik und Gesellschaft gleichermaßen. Erschwerend kommen die vielen globalen Konflikte hinzu.
Wir tun uns in Deutschland sehr schwer, sicher auch mehr als andere Länder, diese Veränderungen anzunehmen und die Chancen darin zu erkennen. Was uns hierzulande fehlt, ist ein erfrischender Ruck durch die ganze Gesellschaft, die Offenheit für Innovationen, selbst wenn nicht alles Neue auf Anhieb klappt, und das Loslassen von Althergebrachtem. Wir brauchen ein gemeinsames Ziel, eine neue Kultur ganz im Sinne Picassos, der „das Wesenhafte des modernen Menschen“ darin sah, dass der „in aller Angst des Loslassens, doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt“.
Demnach sind wir wohl auf dem besten Weg, ein Volk von Angsthasen zu werden. Wo bleibt der Mut?
Politiker sagen uns oft, was wir „müssen“, und viel zu selten, was wir „wollen“. Das vermittelt leider keine Freude und macht keine Lust darauf, etwas zu verändern. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Nur die Risiken zu betonen, macht Angst und das ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Wir müssen raus aus den lähmenden Angstspiralen und ans Gestalten kommen. Nehmen Sie die erste Pisa-Studie aus dem Jahr 1999, die für das deutsche Bildungssystem wenig schmeichelhaft ausgefallen ist. Wir schreiben das Jahr 2024 und die jüngste Studie ist noch verheerender ausgefallen. Ein Vierteljahrhundert haben wir rumgedoktert, gejammert, Veränderungen blockiert, wertvolle Zeit verloren und nichts erreicht. Wo bleibt der Ruf nach Veränderung, der Aufschrei gegen diese Form der Unterlassungssünde? Fehlanzeige. Wir werden uns wohl von den alten Strukturen verabschieden, wenn wir etwas verbessern und Lust auf Zukunft haben wollen. Sagt den so genannten „Rückwärtszählern“ in Wirtschaft, Behörden und Gesellschaft den Kampf an! Das sind all die, die nur noch die Jahre bis zur Rente zählen und Innovationen behindern. Dabei brauchen wir dringend Kreativität.
Ein Blick auf die Zahlen der OECD, wie die Forschungslandschaft 2030 auf der Welt aussieht, sagt alles: Auf China entfallen 37 Prozent, auf Indien fast 27 Prozent, auf die USA gut vier Prozent und auf Deutschland etwas mehr als ein Prozent. Die Musik spielt schon längst nicht mehr in Europa, sondern in Asien. Indien ist nicht Mutter Theresa oder der Tiger von Eschnapur. Nur vielen ist das noch gar nicht so richtig bewusst. Die künftige Welt wird eine sein, die nicht zum alten Modell zurückkehrt.
Innovationen sind wichtig und dringend nötig. Doch wem nutzt das alles, wenn die sozialen Ungleichgewichte bleiben?
Die Welt wird immer polarisierter. Wir sollten den Innovationsbegriff hinterfragen. Früher war es so, dass Innovationen von einer weißen Minderheit für eine weiße Minderheit gemacht wurden. Doch was ist mit all denjenigen, die sich Neues gar nicht leisten können? Was machen wir für die? Wo bleibt die globale Empathie? Was ist die Sinnhaftigkeit des Fortschritts? Wir leben in der westlichen Welt über unsere Verhältnisse, konsumieren über Bedarf. Diese Selbstbedienung muss ein Ende haben, sonst drohen weiter globale Instabilitäten, Verteilungskämpfe, Ungerechtigkeiten und Armut. Es kann doch nicht sein, dass Umweltsünder, wie Vielflieger es nunmal sind, durch Anreizsysteme wie miles & more auch noch belohnt werden. Gleiches gilt für die vielen Rabatte nach dem Motto, wer viel abnimmt und verbraucht, für den wird es in der Regel günstiger. Das geht so nicht weiter. Die Veränderung dieser Kultur gilt bei allen Fachleuten als die größte Herausforderung.
Wie wird unsere Zukunft aussehen?
Die Welt verändert sich bereits rasant, ohne dass wir es immer so detailliert mitbekommen. Corona beispielsweise hat unsere Arbeitswelt in so kurzer Zeit verändert, was vorher überhaupt nicht vorstellbar war. Ein alleiniges Zurück in die Firma und das Arbeiten ohne Home Office sind gar nicht mehr denkbar, zumindest bei der jüngeren Generation. Oder das Online-Shopping. Gehen Sie durch Ihre Stadt und stellen sich vor, wie diese in zehn Jahren aussieht. Gibt es dann noch bestimmte Geschäfte wie große Kaufhäuser? Die Mobilität unserer Kinder wird eine andere sein als die, die wir noch praktizieren. Autos fahren autonom, elektrisch oder mit Wasserstoff. Die Energieversorgung wird regenerativ sein. Kinder, die heute geboren werden, erleben höchstwahrscheinlich das nächste Jahrhundert und es ist die erste Generation, die vermutlich mit Maschinen spricht. Nehmen wir die Künstliche Intelligenz (KI): ChatGPT entwirft heute schon Texte, die von Geschichten, die Menschen geschrieben haben, kaum zu unterscheiden sind. Der Gesundheitsbereich inklusive der Versicherungen steht vor revolutionären Veränderungen. Medizinische Fachleute können zum Beispiel weltweit virtuell konsultiert werden. Versicherungsprämien können je nach Risiko individuell gestaltet werden. Allerdings sind auch die Gefahren real, die von KI ausgehen. Eine Solidargesellschaft, wie wir sie sind, sollte die notwendigen Grenzen ziehen. Eine Gesellschaft darf nicht zu einem Produkt verkommen.
Das Fazit: Die Welt wird eine andere sein. Lasst sie uns angstfrei, mutig und mit Freude mitgestalten. Das ist unsere einzige Chance!