Das vielseitigste Land der Arabischen Halbinsel sucht die sensible Balance zwischen Tradition und Moderne. So konnte sich das Sultanat seinen Zauber bewahren.

Es gibt Menschen, die sind mit einer einzigartigen Aura gesegnet. Sie strahlen Wärme, Weisheit und eine positive Energie aus. Ali Asghar ist einer von ihnen. Der Mittfünfziger hängte vor 17 Jahren seinen Job auf einem Kreuzfahrtschiff an den Nagel und damit bewusst auch etliche Errungenschaften der modernen Zivilisation, deren Werte er immer öfter infrage stellte. Seitdem lebt und arbeitet der charismatische Mann in der Wüste, ist mittlerweile Manager des „Canvas Club Glamping Camps“. „Ein Handy? Ja natürlich, ich habe eines“, sagt Ali und lacht. „Um Fotos zu gucken, wenn ich Sehnsucht nach meinen beiden erwachsenen Kindern habe. Hier draußen in der Wüste gibt es kein Netz, und das ist einer der Gründe, warum ich hier bin.“
Wüste als Ort der Entschleunigung
Zum Sonnenuntergang erwarten Ali und sein Team eine kleine Gruppe aus dem deutschsprachigen Raum. Zeit, die komfortablen Zelte herzurichten, das orientalische Abendessen vorzubereiten und ein Holzfeuer im Wüstensand zu entfachen. Gemüse und Lammfleisch sollen später in der Glut gegart werden.
Im letzten wärmenden Tageslicht kommen die Urlauber stilecht auf Dromedaren daher. Wüste bedeutet für sie maximale Reduktion zivilisatorischer Reizüberflutung, Wegfall von Erreichbarkeit und Alltagslärm, dafür Stille und Entschleunigung sowie die liebenswerte Herausforderung, ein gänzlich anderes Gefühl für Zeit und Raum in einer eigentlich lebensfeindlichen Natur zu entwickeln. Das braucht meist zwei, drei Tage, weiß Ali. Oder, wie es der französische Kultautor und Pilot Antoine de Saint-Exupéry formulierte: „Und dennoch liebten wir die Wüste. Zuerst ist sie nur Leere und Schweigen, denn sie gibt sich nicht zu Liebschaften von einem Tag her.“

Bei einem Drink im offenen Majlis-Zelt, dem „Wohnzimmer“ der Beduinen, lassen die neuen Gäste nach dem Bezug ihrer komfortablen Zelte die ersten intensiven Tage im Oman Revue passieren. Die Reise in das orientalische Weihrauchland beginnt stilvoll, und zwar im mehrfach preisgekrönten Strandresort „The Chedi“ in der Hauptstadt Maskat, in dem der visionäre belgische Architekt Jean-Michel Gathy traditionelle omanische Baukunst mit schlichtem asiatischem Zen-Design verband. Dann die obligatorischen Highlights: königliches Opernhaus, die Große Sultan-Qaboos-Moschee, die verführerisch duftenden Luxusparfümerien und der quirlige Mutrah Fisch- und Gemüsemarkt.
Wer sich bei Gewürzen schon mal im Feilschen geübt hat, ist auf dem Old Souk klar im Vorteil. Das Angebot an Silber- und Goldschmuck sowie echten und angeblichen Antiquitäten, feinen Stoffen und weltbestem omanischem Weihrauch, dem „Schweiß der Götter“, der selbst den Odem des Todes zu vertreiben vermochte, ist schier überwältigend. Die Startpreise sind es allerdings oft auch. Handeln ist Teil der Marktkultur und kann richtig Spaß machen, so man sich auf das Ritual einlässt. Irgendwann einigt man sich in der Mitte und schlägt freudig ein.
Authentische Einblicke

Die Spur eines anderen betörenden Duftes führt ins schroffe Hadschar-Gebirge auf 2.000 Meter Höhe. In jedem Frühjahr verwandeln sich ganze terrassenförmig angelegte Berghänge bei Jabal Akhdar in ein einziges pinkfarbenes Rosenblütenmeer. Hier stellen die Einheimischen seit Menschgedenken hochwertiges Rosenwasser her. Yahya ist einer von ihnen. Mit seinem Krummsäbel sieht er aus, als wäre er einer von Ali Babas 40 Räubern und man weiß nicht so recht, ob man ihm freiwillig im Dunklen begegnen wollen würde. Auch seine kleine rußverschmierte Werkstatt hat so gar nichts mit den schicken Parfümerien und den wohlbetuchten Käuferinnen unten an der Küste in Maskat zu tun, von der er noch nie eine aus der Nähe gesehen hat und vermutlich auch nie sehen wird. Sein edles Extrakt hingegen schon.

Obwohl er Rosenwasser in bester Qualität herstelle, sei der Markt viel schwieriger geworden. Yahya sieht das Problem neben den gestiegenen Kosten seit Corona und dem Ukrainekrieg auch in den preiswerteren synthetischen Düften. Zudem machte ihm das unbeständige Wetter der vergangenen Jahre zu schaffen. Zu lange Trockenphasen, gefolgt von sintflutartigen Regengüssen verhagelten ihm dreimal die Ernte. Also entschieden er und seine Familie, Touristen im eigenen Haus zu bekochen und ihnen bei einem gemeinsamen Abendessen einen kleinen Einblick in ihr Familienleben zu gewähren. Fühlten sich die Besucher aus fernen Ländern anfangs manchmal wie Eindringlinge an, möchten sie sie heute nicht mehr missen. Die Gespräche sind für beide Seiten inspirierend. Für die Urlauber zudem eine authentische Alternative zum noblen „Alila Jabal Akhdar Resort“ und seinen Restaurants, das in direkter Nachbarschaft am Rande eines steil abfallenden Canyons thront.
Das Hadschar-Gebirge bietet zudem fantastische Wanderwege durch tiefe Canyons und abenteuerliche Wadis, die teils recht anspruchsvoll sind und mitunter nach Regenfällen streckenweise sogar schwimmend gemeistert werden müssen. Als schönster gilt der Wadi Hawer, inzwischen ein Hotspot für omanische und internationale Influencer, die oft weit mehr Haut zeigen als im Sultanat normalerweise üblich. An Orten wie diesem wird das toleriert, der Spagat zwischen den tradierten Normen des Islam und den visuellen Stimulanzen der Social-Media-Welt gelingt. Muss er auch, will man doch den internationalen Tourismus behutsam ausbauen. Überlaufen ist es zudem nirgends im Oman. Von Overtourism keine Spur.
Fantastische Wanderwege

Doch das eigentliche Abenteuer wartet ja noch, bevor die Reise mit einem Badeaufenthalt am türkisfarbenen Arabischen Meer ganz im Süden des Sultanats bei Salalah ausklingt: die sagenumwobene Rub al-Chali, die größte Sandwüste der Welt, die sich von den Vereinigten Arabischen Emiraten über Saudi-Arabien bis in den Oman und Jemen zieht und so groß wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen ist. Ort der Verheißung und des Todes. Zumindest früher, zu Zeiten der Baumharzkarawanen, als es noch keine Straßen gab, auf dem Weg zur Königin von Saba und zu den Pharaonen im alten Ägypten. 1.000 Kilometer nur Sand und Himmel, von ein paar Kamelgerippen und minimalem Bewuchs mal abgesehen. Ohne Kompass oder GPS. Bis zu 60 Grad im Schatten, der ohnehin äußerst selten ist, und bis zum Gefrierpunkt in der Nacht. Das Klima hyperarid im Empty Quarter, im Leeren Viertel, wie die Wendekreiswüste auch genannt wird. Mit heftigen Sandstürmen, bei denen man nicht mal mehr die Hand vor Augen sieht. Trotzdem Lebensraum von Wüstenmäusen und Spinnen und Sehnsuchtsziel von Abenteurern weltweit.
Noch ein kurzer Stopp am letzten Shop vorm Leeren Viertel. Mustapha freut sich über jeden Besucher. Viele sind es nicht. Der eine oder andere braucht mal einen Keilriemen, ein paar Chilichips oder Öl für die Pfanne oder den überhitzten Motor. Oder will einfach nur reden, bevor es in die Wüste geht. Diejenigen, die den Weg zu dem Pakistani finden, werden sich sicher eine ganze Weile an das markante Gesicht und sein breites Grinsen erinnern. Mustapha könnte glatt die Nummer 419 aus „Fellini’s Faces“ sein.

Irgendwann heißt es raus aus den klimatisierten SUVs und aufsatteln. „Die letzten Kilometer hoch oben auf dem Rücken eines Dromedars ist die perfekte Einstimmung auf das Empty Quarter.“ Camp-Manager Ali spricht aus jahrelanger Erfahrung.
Im wärmenden Abendlicht erspäht die Gruppe das Zeltlager zwischen zwei langgezogenen Dünen. Ali und seine Mannen bereiten ihren Gästen einen herzlichen Empfang. Jeder soll sich wie zu Hause fühlen. Oder besser. Die Nacht bricht schnell herein in der Wüste, im Handumdrehen kühlt es empfindlich ab. Küchenchef Faheem verteilt seine hölzerne Glut im Wüstensand, sodass die Funken nur so stieben. Das sei der beste Ofen der Welt, da ist sich Faheem sicher.
Die Hobby-Abenteurer werden ihm später unisono Recht geben, denn die orientalisch abgerundeten Auberginen, Paprikas und das zarte Lammfleisch sind einfach göttlich, die Vorspeisen aus Hummus, Tabouleh und Co. sowieso. Das fand wohl auch eine Wüstenmaus, die sich völlig ungeniert und ohne jegliche Scheu über die Essensreste auf den Tellern im vollbesetzten Zelt hermachte. Futter ist schließlich knapp da draußen in der Wüste und so ein Mensch eh viel zu langsam, um wirklich gefährlich zu sein.
Zwischen Tradition und Veränderung

Ali beschreibt die Optionen der kommenden Tage. Faulenzen, Lesen des Buches, das man schon ewig lesen wollte, intensive Gespräche, für die er und sein Team jederzeit bereit stünden, ausgedehnte Dromedar-Ausritte in die endlose Weite, schweißtreibende Wanderungen auf Dünen, die so hoch seien wie die Fernsehtürme in Europa bis hin zum Sandboarding oder Dune-Bashing mit Jeep.
Später, die ersten Urlauber träumen längst in ihren gemütlichen Betten, beginnt Ali freudig im kleinen Kreis, Anekdoten aus der Wüste und von Freunden zu erzählen. Sie zeichnen das Bild eines sich verändernden Sultanats, das die sensible Balance zwischen Tradition und Moderne sucht. Nur bei seiner eigenen Geschichte dämpft sich Alis Stimme: Als er dem autoritären Vater in jungen Jahren die Liebe seines Lebens vorstellte, versagte dieser seine Zustimmung. „Wenig später verheirateten mich meine Eltern mit der Kindesmutter, die ich zwar schätze und achte, aber nicht liebe, nie geliebt habe. Scheidung ist leider noch immer keine Option.“
Nach ein paar Sekunden der Stille, die sich endlos anfühlen, klingt Alis Bariton wieder kraftvoll und optimistisch. „Aber das Sultanat heute, fast vier Jahrzehnte später, ist ein anderes. Viele Omanis studieren in Europa und Amerika. Sie kehren mit liberalen Ideen zurück und dem Mut, auf neuen Wegen unseren orientalischen Zauber aus 1001 Nacht zu bewahren.“