Was macht ein gutes Make-up aus? Welche Schritte bewirken die besten Veränderungen? Und welche neuen Trends gibt es? Die international arbeitende Make-up-Artistin Sam Hill von der Inclover Make-up-Academy in Berlin hat diese Fragen beantwortet – und viele mehr.
Liebe Frau Hill, wie entstand Ihr großes Interesse für Beauty und Styling?
Schon als Kind wusste ich, dass Make-up und Styling meine Leidenschaft sind. Es gab keinen bestimmten Aha-Moment – es war einfach immer da. Besonders fasziniert war ich von Frauen im Fernsehen, die sich schminkten. Es ging mir nie darum, schöner auszusehen, sondern um die Technik dahinter: Wie verwandelt man ein Gesicht? Make-up ist für mich wie Malerei – eine Kunstform. Vielleicht hat diese Leidenschaft auch mit der Arbeit meines Vaters in der Modebranche zu tun. Seit ich denken kann, liebe ich alles, was mit Make-up, Styling und Mode zu tun hat.
Was waren für Sie die Highlights in Ihrer Karriere?
In meiner 16-jährigen Karriere gibt es drei Highlights, die besonders herausstechen. Das erste war mein „Vogue“-Cover – ein natürlicher Nude Look –, und er wurde auf gleich zwei „Vogue“-Covern gedruckt, darunter die bedeutende September-Issue.
Ein weiteres Highlight war eine der Fashion Shows für Lucas Meyer-Leclère. Die theatralischen Haar- und Make-up-Looks erinnern an die Shows von John Galliano und Alexander McQueen. Es war für mich ein kreativer Höhepunkt. Besonders die monatelange kreative Zusammenarbeit und das fünfstündige Bodypainting an einem Balletttänzer. Das dritte Highlight war meine Nominierung beim New York City International Fashion Film Festival, bei dem ich den zweiten Platz belegte. Diese Auszeichnung, gegen Marken wie Gucci, Dior et cetera anzutreten, war ein unvergesslicher Moment. Später habe ich noch weitere Nominierungen und Awards erhalten, aber die erste werde ich nie vergessen.
Wenn Sie anderen von Ihrem Beruf erzählen – welche besonderen Storys und Erlebnisse sind dann immer mit dabei?
Eine Geschichte, die ich nie vergesse, war wie bei einer versteckten Kamera. Ich war für eine weltweite Kampagne einer Taschenmarke gebucht und voller Vorfreude. Doch am Drehtag in einem Waldstück, weit weg von High-End-Stores, lief alles schief: Mein Wecker klingelte nicht, meine Freundin, die auf meinen Sohn aufpassen sollte, verschlief, und dann fehlte mein Hauptkoffer mit der Foundation. Der einzige Ausweg war der „Rossmann“ im nächsten Dorf. Erstaunlicherweise passte die Drogerie-Foundation perfekt, und der Tag war gerettet – eine echte Lektion, dass auch Drogerieprodukte ihren Job tun können!
Eine andere Erinnerung ist ein Dreh mit einer Hollywoodschauspielerin in Berlin. Das ganze Team war super angespannt und sprach plötzlich förmlich, als sie ankam. Doch das Erste, was sie tat, war laut rülpsen und kichern: „Sorry, Jungs, das ist mein Jetlag!“ Sofort war die Anspannung weg. Sie war unglaublich bodenständig und brachte mir jeden Morgen einen Cappuccino mit Schokoherz. Diese Erfahrung zeigte mir, dass auch große Stars total sympathisch und normal sein können.
Was macht für Sie ein gutes Make-up aus?
Ein gutes Make-up muss perfekt verblendet sein und sich nahtlos mit der Haut verbinden – ohne sichtbare Kanten oder Flecken. Besonders bei Lidschatten sind sanfte Übergänge wichtig, und die Lippenkonturen müssen sauber und präzise sein, vor allem bei dunklen Farben. Der Lippenstift sollte gleichmäßig aufgetragen sein, ohne transparente Stellen.
Auch Sauberkeit spielt eine große Rolle: Augenbrauen und Wimpern sollten gut durchgebürstet sein, damit keine Partikel hängen bleiben. Selbst bei kreativen oder „Edgy“-Looks muss klar erkennbar sein, dass das Make-up bewusst so gestaltet wurde – die Positionierung und die Präzision sind entscheidend für die gewünschte Wirkung.
Creme, Primer, danach Make-up, Puder, Highlighter – benötigt man wirklich so viele Schichten?
Nein, so viele Schichten sind oft nicht nötig. Die Basis eines jeden Make-ups ist eine gute Skin Care. Ob ein Primer verwendet wird, hängt vom individuellen Bedarf ab. Ich verwende Primer nur, wenn er wirklich nötig ist, da viele Foundations ohne besser mit der Haut verschmelzen. Aber Produkte wie Glow Lotions können der Haut einen perlmuttartigen Schimmer verleihen. Poren-verfeinernde Primer kaschieren vergrößerte Poren und feine Linien, müssen jedoch sparsam eingesetzt werden. Korrektur-Primer gleichen Farbunregelmäßigkeiten aus, sind aber nur notwendig, wenn die Haut zum Beispiel starke Rötungen aufweist.
Puder ist ebenfalls nicht immer notwendig. Ein leichtes Abpudern bei starkem Glanz reicht oft aus. Auf dem Augenlid kann transparenter Puder helfen, den Lidschatten länger haltbar zu machen. Highlighter sorgt zwar für Frische, aber eine gut gepflegte Haut strahlt oft von allein und erzeugt einen natürlichen Glow. Letztlich hängt alles von den Vorlieben und dem gewünschten Ergebnis ab – viele Schichten sind oft überflüssig.
Macht Creme vor dem Make-up wirklich Unterschiede beim Ergebnis?
Ja, Skin Care ist die Basis für ein gutes Make-up. Die Haut sollte vor der Foundation gut vorbereitet sein. Für einen natürlichen Glow kann die Foundation direkt nach der Creme aufgetragen werden, ohne zu warten, um einen transparenteren Effekt zu erzielen. Wichtig ist, dass Creme und Foundation gut zusammenpassen, um einen Peel-Effekt zu vermeiden.
Was kann man bei permanent stark glänzender Haut tun?
Viel Puder hilft bei glänzender Haut oft nicht und kann das Make-up fleckig machen. Stattdessen sollte man die Skin-Care-Routine anpassen: Leichte, gelbasierte Produkte, die Feuchtigkeit spenden, aber nicht fetten, sind besser als reichhaltige Cremes, die den Glanz verstärken.
Ein mattierender Primer unter der Foundation sorgt sofort für einen matten Effekt. Leichte, mattierende Foundations sind ebenfalls ideal. Puder sollte sparsam als Fixierpuder eingesetzt werden, um das Make-up zu fixieren und den Glanz zu reduzieren. Powder Papers eignen sich perfekt, um überschüssiges Öl sanft abzutupfen, ohne die Foundation zu beeinträchtigen.
Welche Beauty-Produkte und Make-up-Schritte bewirken die stärksten positiven Veränderungen?
Zu den Produkten mit dem größten Effekt zählen Bronzer und Rouge. Selbst ohne Foundation verleihen sie dem Gesicht Frische und Kontur, besonders im Winter, wenn die Haut oft blass wirkt. Ohne diese Produkte kann das Gesicht schnell konturenlos erscheinen.
Wimperntusche öffnet das Auge und lässt es wacher wirken, besonders in Kombination mit Lidschatten. Augenbrauen, die dezent nachgezeichnet werden, geben dem Gesicht Ausdruck und Struktur. Ein leicht schimmernder Lidschatten in Beige oder Rosé bringt Strahlkraft ins Auge, und sieht natürlich aus. Brow Mascara verleiht den Augenbrauen Glanz und fixiert die Härchen für einen eleganten Look.
Welche Beauty-Produkte finden Sie völlig überflüssig?
Ein Beauty-Produkt, das ich persönlich für überflüssig halte, sind die Brow Soaps, die den laminierten Augenbrauen-Effekt erzeugen. Die Handhabung ist schwierig, und oft bleiben unschöne Rückstände auf den Augenbrauen und der Haut zurück, die besonders in der Beauty-Fotografie auffallen. Wer definierte, hochgekämmte Brauen möchte, sollte lieber zu einem starken Augenbrauengel oder Haargel greifen. So lassen sich die Augenbrauen vorher mit Lidschatten definieren und danach in Form kämmen, was einen schönen 3D-Effekt erzeugt. Die Härchen wirken natürlich und glowy, und der Look ist viel feiner als bei Soap Brows.
Ein aktueller Trend ist Glass Skin – gläsern wirkende Haut. Wie bekommt man diese hin?
Der Glass-Skin-Trend sorgt für eine stark durchfeuchtete, strahlende Haut und funktioniert am besten bei guter Beleuchtung. Für diesen Look ist eine gründliche Hautvorbereitung entscheidend: Ein Enzym-Peeling, Augen- und Feuchtigkeitsmasken sowie ein Hyaluron-Serum und eine reichhaltige Creme sorgen für die nötige Basis.
Eine Glow Lotion oder feuchtigkeitsspendende Foundation bringt den gewünschten Glow, während flüssige Highlighter auf Wangen, Nasenrücken und Augenwinkeln für zusätzliche Strahlkraft sorgen. Wichtig ist, alles gut zu verblenden, um weiche Übergänge zu schaffen. Ein besonderer Trick ist die Verwendung von Face Gloss auf den Wangen und Augeninnenwinkeln. Glossige Lippen mit Lippenöl oder Lipgloss runden den Look ab.
Für extrem glasige Look wie bei Maison Margiela kann eine Peel-off-Maske aufgetragen werden – dieser Effekt eignet sich allerdings eher für Shootings.
Manche sind nicht glücklich mit ausgeprägten Nasolabialfalten oder tiefer Tränenrinne, möchten aber nicht gleich einen Beauty-Eingriff in Betracht ziehen. Gibt es Möglichkeiten, diese mit Make-up & Co. wirklich zu kaschieren?
Make-up kann tiefer liegende Bereiche wie Nasolabialfalten oder Tränenrinnen kaschieren, indem man sie optisch aufhellt, aber dabei sollte man vorsichtig sein, um den Fokus darauf nicht ungewollt zu verstärken. Ein Concealer, der eine Nuance heller ist als die Foundation, eignet sich gut für Nasolabialfalten. Er wird um die Nasenflügel und leicht in die Falte verblendet, aber nicht zu stark in Richtung der pralleren Wangen, um den Schatten nicht zu betonen.
Bei Tränenrinnen wird der Concealer nur gezielt in die Vertiefung aufgetragen, nicht flächig, um einen Tränensack-Effekt zu vermeiden. Etwas Helligkeit im Augeninnenwinkel kann das Auge frischer wirken lassen, sollte aber bei auseinanderstehenden Augen nicht verwendet werden.
Ein weiterer Trick ist, das Rouge höher auf den Wangenknochen zu platzieren und es Richtung Schläfe zu verblenden, um den Blick von den Nasolabialfalten abzulenken.
In manchen Make-up-Tutorials arbeitet man hier anscheinend mit Tapes – kann man damit wirklich Falten glattziehen oder sind da eher Instagram-Filter im Spiel?
Ja, diese Techniken, insbesondere das Arbeiten mit Tapes, sind real und werden häufig angewendet, vor allem, um Gesichtspartien zu straffen. Allerdings sind die Tapes bei genauerem Hinsehen sichtbar und können nicht komplett überschminkt werden. Diese Methode stammt aus dem Theaterbereich. Dabei werden Streifen, die Tesafilm ähneln, an den Schläfen befestigt und an den Hinterkopf gezogen, um einen Lifting-Effekt zu erzeugen. Diese Techniken sind jedoch eher für Shootings oder Bühnenauftritte gedacht, da die Tapes in der Realität erkennbar sind.
Ein Tipp: Man könnte kleine Zöpfe an den Schläfen flechten und diese nach hinten ziehen, was einen ähnlichen Effekt bietet – allerdings kann das auf Dauer Kopfschmerzen verursachen. Auch Tapes im Nacken, die unter offenen Haaren oder einem hohen Kragen versteckt werden, können ein Hals-Lifting bewirken.
Welche Farben erwarten uns im Winter 2024 bei Make-up?
Die Make-up-Trends für den Winter 2024 bieten eine spannende Mischung aus klassischen und gewagten Farben. Roter Lippenstift, von Knallrot bis Kirschrot, liegt im Trend und setzt ein starkes Statement. Smokey Eyes kommen in einer grungigen, etwas unordentlicheren Variante zurück, mit Brauntönen oder dunklem Blau als sanftere Alternativen.
Metallische Farben wie Silber und Kupfer sind ideal für festliche Looks und können dezent oder intensiv getragen werden. Experimentierfreudige werden pinke und rosa Lidschatten und Eyeliner lieben, die besonders in kreativen Szenen auffallen.
Pastellfarben, besonders pudriges Hellblau, bleiben angesagt und harmonieren gut mit dunklen Lippen. Rouge wird höher auf den Wangenknochen platziert, um einen frischen, winterlichen Look zu kreieren, der in Kombination mit dunklen Lippen edel und stilvoll wirkt.
Welche neuen Make-up-Trendthemen wird es geben?
Ein möglicher Trend, der sich abzeichnet, sind die dünnen 90er-Jahre-Augenbrauen. Ob dieser Look jedoch flächendeckend zurückkehrt, bleibt abzuwarten.
Viel wahrscheinlicher ist, dass die ausschattierte Lippenkontur populär wird. Bei diesem Trend wird die Lippenkontur zum Beispiel mit einem Bronzer und einem kleinen Pinsel umrandet, anstatt mit einem Lipliner. Der Bronzer wird leicht über die natürliche Lippenform hinaus aufgetragen und nach innen verblendet. Ein Lipgloss sorgt anschließend für den finalen Touch. Das Ergebnis sind vollere Lippen mit einer weichen, natürlichen Kontur.
Können Sie Tipps für tolle Winter-Make-ups geben?
Im Winter ist Skin Care besonders wichtig, da die Haut durch kalte Luft und trockene Heizungsluft strapaziert wird. Ein regelmäßiges Peeling entfernt trockene Hautschüppchen und sorgt für eine glatte Basis, damit sich die Foundation nicht in trockenen Bereichen absetzt.
Feuchtigkeit ist essenziell, um die Haut geschmeidig zu halten, und auch Lippenpflege sollte nicht vernachlässigt werden. Lipgloss ist oft besser als Lippenstift, da er spröde Stellen kaschiert.
Cremige Texturen spenden Feuchtigkeit und wirken natürlich. Pudrige Lidschatten sind ideal, da sie sich weniger in Lidfalten absetzen. Ein Hauch von Glow, durch Glow Lotions oder Liquid Highlighter, bringt zusätzlich Strahlkraft. Tipp: Liquid Glow vor der Foundation auftragen für einen subtilen Glanz.
Wie sieht Ihre eigene Beauty-Routine aus – unterwerfen Sie sich morgens im Bad einer ausgiebigen Pflegeroutine oder genügen Ihnen fünf Minuten?
Meine Beauty-Routine legt großen Wert auf Hautpflege. Morgens starte ich mit einem Feuchtigkeitsserum, gefolgt von Hyaluron-Serum und Augenpflege. Danach kommen Feuchtigkeitslotion und Tagescreme, um die Haut optimal zu hydratisieren.
Bei der Foundation setze ich auf glowige Texturen, die ich oft mit Hyaluron-Serum mische, um ein transparentes Finish zu erzielen. Ein Muss ist für mich der Eyeliner – ob dezent oder dramatisch, je nach Anlass. Wimperntusche und betonte Augenbrauen runden meinen Look ab, dazu etwas Bronzer für einen frischen Teint.
Lidschatten verwende ich nur zu besonderen Anlässen, ansonsten reicht ein Hauch schimmernder Lidschatten für den Alltag. Lippenstift lasse ich aus, stattdessen ist Lippenpflege ein Muss. Einfach, aber effektiv – das ist meine Routine.