Schottland und Whisky, das gehört zusammen. Aber Bio? Das ist neu. Mit der ersten Öko-Brennerei des Landes versetzt Annabel Thomas die traditionsbewusste Männerbranche in Aufruhr.

Wer an schottischen Whisky denkt, hat oft ein bestimmtes Bild vor Augen: einen gemütlichen Pub in den Highlands. Verregnete Hügel. Alte Holzfässer in steinernen Gebäuden. Falsch sind solche Vorstellungen nicht, doch für Annabel Thomas greifen sie zu kurz. Wenn die britische Unternehmerin an das bernsteinfarbene Getränk denkt, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdient, schießt ihr vor allem eine Frage durch den Kopf: Wie kann das Geschäft nachhaltiger werden?
Die fröhliche 40-Jährige leitet die Nc’nean Distillery, die erste Whisky-Brennerei Schottlands, die ausschließlich in Bio-Qualität produziert. Der kleine Betrieb liegt, wie so vieles in den Highlands, abseits der Zivilisation. Außer ein paar Fischerbooten und vereinzelten Ferienwohnungen gibt es kaum etwas in unmittelbarer Umgebung. Der nächste Lebensmittelladen ist eine halbe Stunde entfernt. Selbst von Glasgow braucht man fünf Stunden mit dem Auto, sofern nicht eine Herde Schafe dazwischenkommt, die die kleine, einspurige Straße blockiert.
Vieles kommt Traditionalisten wie Frevel vor

In dieser Abgeschiedenheit feilt die Jung-Unternehmerin am Whisky der Zukunft – ein Ansatz, der die Branche in Aufruhr versetzt. „Wenn ich als Touristin eine Brennerei besuche, sind die Leute immer extrem auf ihre Tradition bedacht“, erzählt Thomas. „Alles wird so gemacht, wie es angeblich schon immer gemacht wurde.“ Das fange bei den Produktionsmethoden an und höre beim Konsum auf: „Man redet den Leuten ein, dass nur purer Whisky echter Whisky ist. Viele Brenner würden eher tot umfallen, als einen Würfel Eis ins Glas zu tun.“
Annabel Thomas kann das nicht verstehen: „Wie soll ich mir neue Kundengruppen erschließen, wenn ich nur am Althergebrachten klebe?“ Jungen Menschen sei Nachhaltigkeit genauso wichtig wie Experimentierfreude beim Trinken. Deshalb macht die kleine Destille, die erst seit 2020 Whisky verkauft, vieles anders als die Konkurrenz. Auf der Firmenwebsite stehen Rezepte, wie man das Getränk zu Cocktails anrührt – ein Frevel für echte Puristen. Auch die Herstellung ist auf Öko getrimmt: Die Flaschen bestehen aus Altglas, das Kühlwasser stammt aus einem Regenwasserteich hinterm Haus. Statt wie üblich mit Öl oder Gas werden die Brennkessel mit Holzpellets angefeuert. Was nach der Produktion an Bio-Gerste übrig bleibt, wird an Kühe verfüttert.
Und dann ist da noch die Chefin selbst. Eine Frau am Steuer einer Brennerei? Das gab es in Schottland eher in früheren Jahrhunderten, wie die Edinburgh Whisky Academy auf ihrer Homepage anmerkt. Heute hingegen handelt es sich fast ausschließlich um eine Männerdomäne. „Selbst in der Werbung sieht man immer nur Männer“, klagt Thomas. Sie selbst ist keine Schottin, sondern stammt aus England und lebt in London. Nach ihrem Geschichtsstudium in Cambridge hat sie lange als Unternehmensberaterin gearbeitet. „Natürlich wird man da nicht immer ernst genommen“, sagt Thomas. „Noch heute fragen mich manchmal Männer, ob ich überhaupt Whisky trinke.“

Für Schottland selbst ist das Hochprozentige ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. 148 Brennereien gibt es in den Highlands, sie produzieren 1,6 Milliarden Flaschen Single Malt pro Jahr. Dass neben bekannten Marken wie Talisker oder Johnny Walker ein Start-up überhaupt existieren kann, hängt nicht zuletzt mit dem Alleinstellungsmerkmal zusammen: Zwar schwört der Branchenverband, die Scotch Whisky Association, man werde bis 2040 klimaneutral produzieren. Einen Betrieb, der dies schon heute tut, gab es bis dato aber noch nicht.
„Nc’nean geht voran“
Annabel Thomas wäre es lange selbst nicht in den Sinn gekommen, eine Brennerei zu eröffnen. Nachdem ihre Eltern sich ein altes Gut in Schottland als Altersruhesitz gekauft hatten, kam sie ins Grübeln: Warum das Gelände nicht zur Whisky-Herstellung nutzen? „Am Anfang war es mehr ein Hobby, das ich neben meinem Hauptberuf betrieben habe“, erzählt Thomas. „Aber mir wurde schnell klar, dass ich mich entweder ganz reinknien oder die Idee aufgeben muss.“ Denn – auch dies eine leidvolle Erkenntnis – ohne viel Geld wird es nichts mit der Bio-Whisky-Revolution. „Also habe ich meinen Job gekündigt, Businesspläne geschrieben und über 800 potenzielle Investoren kontaktiert.“ Viele hielten ihre Ideen für verrückt, doch längst nicht alle. Am Ende kamen 8,6 Millionen Euro zusammen.
Heute arbeiten 22 Personen bei Nc’nean. Pro Jahr verkauft das Unternehmen rund 300.000 Flaschen – ein kleiner Betrag im Vergleich mit den Platzhirschen. Auch schreibt die Firma nach eigenen Angaben bisher keine schwarzen Zahlen. „Mithilfe der Deutschen könnte uns das aber schon bald gelingen“, sagt Annabel Thomas und lacht. Neben Großbritannien sei Deutschland ihr wichtigster Absatzmarkt. „Die Leute bei euch sind sehr abenteuerlustige Trinker“, findet Thomas. Whisky mit Schokolade? Whisky als Longdrink? Anders als in Schottland falle in Deutschland niemand vom Glauben ab, wenn man solche Dinge probiere. Auch der Gedanke der Nachhaltigkeit stoße hier auf Wohlwollen.

Doch ist Nc’nean in diesem Punkt wirklich so einzigartig, wie es die umtriebige Chefin beschwört? Oder handelt es sich dabei vielleicht auch um einen geschickten Marketing-Trick? Niall MacKenzie, Professor an der Strathclyde Business School in Glasgow, beobachtet die Branche schon lange. „Auch andere Brennereien bieten manche ihrer Whiskys inzwischen als Bio-Variante an“, sagt MacKenzie. „Das Besondere bei Nc’nean ist, dass sie nichts anderes machen.“ Was den Produktionsprozess angeht, gesteht er den schottischen Brennereien durchaus einen Willen zur Veränderung zu. „Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft hat es in den letzten Jahren positive Entwicklungen gegeben“, findet der Ökonom. „Immer mehr Firmen füllen ihre Getränke in Recyclingflaschen oder verpacken sie mit Recycling-Papier.“ Nc’nean macht beides, geht also erneut voran.
„Nicht tun wollen, sondern tun“
Bleibt die Frage, ob andere dem Beispiel folgen und den Single Malt vermehrt in ein Öko-Produkt verwandeln. MacKenzie ist da skeptisch: „Natürlich wäre es besser für die Umwelt“, sagt der Professor. Doch er bezweifelt, ob die Kundschaft – abseits einer kleinen Nische – im großen Stil bereit für Bio-Whisky und dessen Preise ist. Eine Flasche Talisker ist im deutschen Handel bereits für knapp über 30 Euro erhältlich. Der Nc’nean-Whisky kostet fast das Doppelte. „Ob es dafür wirklich einen Markt gibt, wird sich zeigen“, gibt MacKenzie zu bedenken.
Annabel Thomas lässt sich von solchen Prognosen nicht unterkriegen – Skepsis ist sie gewohnt. Wenn die Branche langfristig überleben wolle, müsse sie sich einfach ändern. Sie selbst nimmt sich davon nicht aus. „Ich habe noch einige Ideen, wie wir nachhaltiger werden könnten“, sagt sie. Sie schwärmt davon, wie man die übriggebliebene Gerste in Bio-Kohle verwandeln und das CO2 darin speichern könne. Doch dann hält sie inne. „Viele reden vor allem darüber, was sie irgendwann einmal tun wollen, statt es wirklich zu tun“, sagt die Geschäftsfrau. Genau diesen Fehler will sie vermeiden. Schließlich spreche der Bio-Whisky für sich. Schmeckt er eigentlich anders als sein konventionelles Pendant? „Ja“, antwortet Thomas und lacht. „Noch besser.“