Die Landesregierung will bei der Transformation weiter aufs Tempo drücken. Ein weiterer sichtbarer Schritt dazu ist die Berufung eines Beauftragten für Strukturwandel. Gleichzeitig geht die Debatte um den milliardenschweren Transformationsfonds weiter.
Frank Nägele ist das neue Gesicht, das die Ambitionen der Landesregierung in Sachen Strukturwandel unterstreichen und forcieren soll. Dass „der Neue“ von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und Wirtschaftsminister Jürgen Barke (beide SPD) ausgerechnet im Kabinettsaal vorgestellt wurde, kann durchaus symbolisch interpretiert werden. Es ist ein weiterer Schritt in der Strategie, die Ministerpräsidentin Rehlinger bereits in ihrer Regierungserklärung zum Amtsantritt angekündigt hatte, als sie die Einrichtung eines Strukturwandelbeauftragten in Aussicht gestellt hatte. Ebenso wie das Strukturwandelkabinett, das jetzt auch einen koordinierenden Kopf hat.
Frank Nägele hat, wie seine Vita ausweist, umfangreiche Erfahrungen in Wirtschaft und Politik, war Staatssekretär in der Berliner Senatskanzlei sowie im niedersächsischen und im schleswig-holsteinischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie und zuletzt Geschäftsführer der UTB Projektmanagement GmbH Berlin (Projektentwicklung). Der neuen Aufgabe im Saarland sieht er nach eigenem Bekunden „mit ziemlichem Respekt“ entgegen.
Sein Job ist vor allem, die Fäden im Hintergrund zusammenzuhalten, zu koordinieren. „Bei der Fülle und Dynamik der Aufgaben darf nichts unbearbeitet bleiben“, unterstreicht Ministerpräsidentin Rehlinger.
Wirtschaftsminister Barke verweist auf die Gleichzeitigkeit der größten Herausforderungen „seit vielen, vielen Jahren“. Dafür stehen beispielsweise die Nachfolgenutzung bei Ford in Saarlouis, die SVolt-Ansiedlung in Überherrn, sicher auch die Entwicklung am Standort Kraftwerk Ensdorf sowie die jüngsten Entwicklungen bei ZF für eine Zukunft in der E-Mobilität. Dazu etliche Baustellen, die in den Dimensionen zwar nicht so groß, aber mitentscheidend sind für die Entwicklung des Standortes mit mehr Diversität. In den bildhaften Worten von Ministerpräsidentin Rehlinger: „Wir hatten noch nie so viele Bälle in der Luft, da darf keiner runterfallen.“
Womit sie im Grunde die Aufgabenbeschreibung für den neuen Beauftragten formuliert hat. Nägele selbst sieht seine Aufgabe auch darin, dass es bei der Strategie der Landesregierung „mit einer Sprache, in einer Richtung, und zwar schnell“ vorangehen soll.
Ein wichtiges Steuerinstrument ist dabei das sogenannte Strukturwandelkabinett. Darin arbeiten dauerhaft Staatskanzlei sowie die Ressorts für Wirtschaft, Arbeit und Finanzen zusammen, je nach Aufgabenstellungen kommen andere betroffene Ressorts dazu. Die Einrichtung konzentriert sich auf die anstehenden Projekte „abseits der Tagesordnung des Ministerrats“, wie es Rehlinger angekündigt hatte.
Gleichzeitig wird weiter über das zentrale Finanzprojekt der Landesregierung diskutiert, aus dem die Mittel zur Bewältigung der „disruptiven Aufgaben“ (Barke) kommen sollen: der Transformationsfonds. Die Debatte darüber berührt unterschiedliche Ebenen mit teils sehr grundsätzlichen Fragen, in die sich nun auch der Landesrechnungshof in ungewöhnlicher Form eingemischt hat.

Darf das Land zu diesem Instrument eines „Sondervermögens“ greifen? Finanzminister Jakob von Weizsäcker begründet das knapp zusammengefasst mit den Folgen des Ukraine-Krieges, die das Saarland wegen seiner besonderen wirtschaftlichen Struktur in besonderem Maße treffen. Mit dieser Begründung hat der Landtag mit seiner SPD-Mehrheit eine „außergewöhnliche Notlage“ festgestellt – Voraussetzung für den Sonderfonds. Ein solches Verfahren hat es bereits wegen Corona gegeben, als Voraussetzung für das „Sondervermögen Pandemie“ zur Bewältigung der Folgen. Während dieser Vorgang noch ziemlich im Konsens lag, weil die Rahmenbedingungen recht eindeutig waren, wird jetzt die Frage aufgeworfen, welche zusätzlichen außergewöhnlichen und nicht beeinflussbaren Folgen der Ukraine-Krieg und die Energiepreisexplosion tatsächlich haben, und was Strukturwandelaufgaben sind, die das Land auch ohne diese Entwicklung ohnehin hätte stemmen müssen. Das sei „noch nicht hinreichend herausgearbeitet“, findet nicht nur Rechnungshofpräsidentin Annette Groh. Kritiker sehen in diesem Punkt verfassungsrechtliche Bedenken. Der saarländische Finanzminister hatte zuvor seinen Weg durch externe Gutachten absichern lassen. Nicht auszuschließen, dass dieser Weg in einem juristischen Neuland letztlich auch von Gerichten geprüft wird – wenn es denn einen Kläger gibt.
Instrumente der Transformation
Jedenfalls hat das Saarland mit diesem Vorgehen eine Vorreiterrolle eingenommen und einen Präzedenzfall geschaffen, an dem sich andere ein Vorbild nehmen, zuerst das ebenfalls notleidende Bremen. In anderen Ländern wird die Diskussion sehr aufmerksam verfolgt.
Neben der juristischen Frage ist auch eine intensive politische Debatte entbrannt. Im Kern geht es um Zukunftsoptionen für ein Land in einem massiven Umbruch. Selbst für ein strukturwandelerprobtes Land ist diese Phase eine Herausforderung ganz neuer Qualität, die enorme Anstrengungen erfordert. Das ist unstrittig, und der „gravierende Finanzbedarf“ wird auch vom Rechnungshof anerkannt. In der Risikoabschätzung gehen die Meinungen allerdings auseinander, wie schon die erste Debatte im Landtag über die Haushaltsvorlage der Landesregierung gezeigt hat. Die Kritiker der Pläne weisen auf die enorme Schuldenbelastung hin, die das Land der nächsten Generation aufbürdet. Zu der ohnehin bestehenden Schuldenlast von rund 14,5 Milliarden Euro kommt das „Sondervermögen Pandemie“ (1,4 Milliarden Euro) hinzu. Außerdem hat das Land rund eine Milliarde Schulden der Kommunen übernommen. Und dann eben noch weitere drei Milliarden für den Transformationsfonds. Die geplanten Tilgungen gehen über das Jahr 2050 hinaus. Leicht auszurechnen, wie eng die finanziellen Spielräume bis dahin sein werden, wenn es sie denn dann überhaupt noch geben sollte, warnen Kritiker.
Dem hält der Finanzminister entgegen: Nichts tun wäre noch viel riskanter. Die künftigen Generationen hätten es mit den Folgen des Nichtstuns zu tun, nämlich einer absehbaren Abwärtsspirale. Natürlich gebe es bei Investitionen keine Erfolgsgarantie, deshalb werde man mit dem Transformationsfonds Begleitinstrumente installieren, die „eine hohe Qualität“ bei den Ausgabeentscheidungen gewährleisten. Das heißt konkret, dass unter dem Strich am Ende mehr erwirtschaftet wird.
Unbestrittene notwendige Investitionen könnten auch über den normalen Kernhaushalt dargestellt werden, hält die Opposition entgegen. Für einen auf zehn Jahre angelegten Fonds spricht aus Sicht der Regierung aber, dass Investitionsentscheidungen in der Wirtschaft in anderen zeitlichen Zusammenhängen entschieden werden als die jährlichen Haushaltbeschlüsse im Parlament.
Drei Milliarden Euro für den Landeshaushalt sind eine bedeutende Hausnummer. Damit können Investitionen ganz anderer Größenordnungen angestoßen und flankiert werden. Angesichts der Dimension der Herausforderung werden zusätzliche nennenswerte Beiträge von Bund und EU akquiriert werden müssen. Dafür kann ausgerechnet diese Dimension ein gewichtiges Argument sein. Wenn denn schon das Land mit seiner bisherigen Wirtschaftsstruktur von den aktuellen Krisen besonders betroffen ist, dann ist es auch das ideale Labor, in dem gezeigt werden kann, wie der Wandel von einem Automobil- und Stahlstandort zu einem CO2-neutralen Industriestandort gehen könnte. So argumentiert die Regierungsspitze schon seit geraumer Zeit. Das Argument sollte durch die Ereignisse in diesem Jahr an Gewicht gewonnen haben.