Knapp ein Jahr vor der Bundeswahl bringen sich die Parteien in Stellung, definieren schon mal ihre Kernthemen. Mit den alten Beschreibungen von links und rechts ist das aber so eine Sache.
Die ein oder andere Kanzlerkandidatur ist bereits geklärt, auch wenn es noch keine offiziellen Parteibeschlüsse gibt. Die nächste Bundestagswahl soll ja auch erst in knapp einem Jahr stattfinden. Die Linke hat bereits eine neue Parteispitze gewählt, die Grünen wollen ihre neue Doppelspitze noch Mitte November wählen, nach dem Rücktritt des bisherigen Vorstands.
Die Linke hat auf ihrem Parteitag erste inhaltliche Pflöcke für den Wahlkampf eingeschlagen, und auch die SPD hat schon mal skizziert, welche Schwerpunkte sie in den Mittelpunkt stellen will.
Dabei hat die SPD der Linken eines ihrer Lieblingsthemen geklaut: 15 Euro Mindestlohn. Die Linke will nun offenbar einen draufsetzen und 17 Euro Mindestlohn fordern, ein Thema, das schon beim vorherigen Bundestagswahlkampf nur bedingt funktioniert hat, zumindest was die Wahlergebnisse beider Parteien angeht. Damals ging es um die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, was die SPD in Regierungsverantwortung auch umgesetzt hat. Wobei die Festlegung des Mindestlohns eigentlich Aufgabe der Mindestlohnkommission und nicht der Regierung ist.
Mindestlohn und Reichensteuer
Durch die zwischenzeitlich galoppierende Inflation ist für die Menschen allerdings wenig übrig geblieben, weshalb sich das Thema nach Ansicht der Parteistrategen für die Profilierung in der Wahlkampfauseinandersetzung durchaus erneut eignet.
Ein weiteres Leib- und Magenthema bei SPD und Linkspartei ist die Einführung einer Reichensteuer. Je nach Lesart sollen ein bis fünf Prozent der Einkommensmillionäre massiv besteuert werden, eine Forderung, die auch nicht so neu ist und immer wieder gern bei Wahlkämpfen auf den Marktplätzen der Republik erhoben wird. An dieser Stelle ist die Linke als dauerhafte Oppositionskraft im Bundestag bei der Glaubwürdigkeit klar im Vorteil. Sie hatte nicht im Ansatz die Gelegenheit, auch nur irgendetwas für die Umsetzung der Reichensteuer zu tun. Bei der SPD wird es da schon schwieriger, immerhin ist sie – mit einer Unterbrechung von 2009 bis 2013 – seit fast 22 Jahren in der Regierungsverantwortung. Doch auch in den vergangenen drei Jahren SPD-Kanzlerschaft haben die Wähler von der Reichensteuer aus der SPD-Bundestagsfraktion nur wenig gehört. Aber als linkes Kernthema darf es auch jetzt bei den Sozialdemokraten nicht fehlen.
Weiterer Baustein in diesem Reigen ist auch die Anpassung der Renten, die laut SPD weiterhin auf Dauer an die Lohnentwicklung gekoppelt bleiben soll. Hier wird es mit dem gerechten, sozialen Gedanken dann schon schwieriger. Deutschland steuert auf ein massives Problem zu. Das Rentenpaket II ist weiter heftig umstritten. Die Frage eines neuen Generationenvertrags bleibt angesichts der demografischen Entwicklung.
Während SPD und Linke ihre linken Claims für die Bundestagswahl abgesteckt haben, steht dies Bündnis 90/Die Grünen noch ins Haus. Mitte November sind die Grünen mit ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden dran. Und auch da sollen neben Klimaschutz auch wieder linke Themen eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jahren. Der neu gewählte Vorstand der Grünen Jugend hat da schon mal vorgelegt und will der Mutterpartei zeigen, was heute links aus grüner Sicht ist. Neben der sozialgerechten Klimatransformation soll es bei den Grünen vor allem um Krieg und Frieden gehen und damit auch um weitere Waffenhilfen für die Ukraine. Die ehemalige Friedenspartei ist diesbezüglich realpolitisch nicht mehr wiederzuerkennen und vertritt heute Positionen, die auch von der Union so getragen werden. Doch das soll nun auf dem anstehenden Bundesparteitag anders werden. Bei den Grünen soll es wieder „Frieden schaffen ohne Waffen“ heißen. Damit würden sie der Linken diesbezüglich in nichts mehr nachstehen. Wobei nicht klar ist, ob die Grünen dann plötzlich weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen würden.
Auf diese Weise werden sich also schon mal drei Bundestagsparteien um das linke Wählerpotenzial in Deutschland bemühen. Schaut man sich die jüngsten Umfragen und Wahlergebnisse bei den drei Landtagswahlen im Osten an, geht es damit um ein rein rechnerisch erreichbares Wähler-Klientel von um die 40 Prozent.
Dazu kommt im Linksspektrum dann noch die große Unbekannte, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Beim BSW ist nicht ganz klar, ob es nun links oder nur populistisch ist und wem es nun Stimmen bei einer Bundestagswahl abjagen können wird.
Sind die Grünen links? Und wo ist das BSW?
Bis auf die SPD haben die übrigen drei Parteien im Linksspektrum ein nicht ganz zu unterschätzendes Problem: Wie umgehen mit dem Nahost-Krieg? Alle drei Parteien bekräftigen selbstverständlich immer wieder, dass sie voll hinter dem Existenzrecht Israels stehen und verurteilen den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober vergangenen Jahres. Doch gleichzeitig verstehen sich BSW, Grüne und Linke auch als Menschenrechtsparteien und machen immer wieder auf die Opfer auf der palästinensischen Seite aufmerksam. Das Anliegen ist verständlich in Anbetracht der hohen Opferzahlen unter den Zivilisten und der humanitären Katastrophe im Gazastreifen als Ergebnis von Angriffen der israelischen Armee.
Doch gerade bei den Grünen und der Linken schwingt dann oftmals (unterschwellig oder offen) Verständnis für die Terrorakte gegen Israel durch die Hamas und die Hisbollah mit. Und hier geht es tatsächlich um ein urlinkes Anliegen, sowohl der westdeutsch geprägten Grünen als auch der SED-ostdeutsch geprägten Linken: Solidarität mit den unterdrückten Völkern der Welt und damit eben auch mit den Palästinensern. Doch gerade im aktuellen Nahost-Konflikt rutschen solche Solidaritätsadressen bei Demonstrationen oder Parteiveranstaltungen ganz schnell ab, was dann den Verdacht von Antisemitismus nährt und teilweise auch antisemitisch ist.
Wie konfliktbehaftet das innerparteilich ist, haben gerade die Linken in Berlin vorgeführt. Auf dem Bundesparteitag in Halle fand die neue Parteispitze um Ines Schwerdtner und Jan van Aken eine Formulierung, mit der die Delegierten aller parteiinterner Couleur leben können. Doch dieser Kompromiss „Frieden für Nahost“ wurde vom fundamentalistischen Flügel des Berliner Landesverbandes der Linken nicht mitgetragen. Daraufhin platzte der Landesparteitag und es gab reihenweise Parteiaustritte von auch prominenten Parteimitgliedern, die eine gemäßigte Linie vertreten.
Was all diesen Positionierungsversuchen gemeinsam ist: Es sind Versuche, sich in dem altbekannten Links-Rechts-Schema zu verorten. Das allerdings taugt schon länger nicht mehr dazu, politische Positionen gut zu beschreiben.
Ob die Grünen in der Verfassung der vergangenen Jahre noch als „linke“ Partei zu bezeichnen wären, darüber ließe sich trefflich streiten. Und endgültig klar ist seit dem Auftreten des BSW, dass es auf manchen Politikfeldern klassische linke Themen besetzt, in anderen Positionen vertritt, die auch bei der AfD aufgehoben sein könnten.
Dazu kommt: Bei allen Mühen um inhaltliche Positionierung lehrt alle Erfahrung, dass die Wahlen zunehmend Persönlichkeitswahlen werden. Was nicht heißen soll, dass man sich die Mühe der inhaltlichen Positionierung sparen könnte. Die wird schließlich auch darüber entscheiden, was dann nach der Wahl passiert, wer mit wem kann. Was das bedeutet, zeigt sich derzeit beim Versuch von Koalitionsbildungen nach den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern.