Faire Löhne für die Arbeit – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Geht es nach den Unternehmensverbänden, bräuchte es dafür kein Gesetz mehr. Und dennoch plant die Bundesregierung eines, um die Tarifbindung zu stärken.
In 14 von 16 Bundesländern ist es bereits Landesgesetz, jetzt soll es auch im Bund verabschiedet werden: ein Tariftreuegesetz. Wieder unnötiger Papierkram und eine Verkomplizierung des ohnehin bereits geltenden Rechts, sagen die Unternehmensverbände. Das Gesetz unterstütze eine klarere Vergabe öffentlicher Aufträge und sorge für korrekte Bezahlung, so die Befürworter. Nach dem Willen der SPD-Fraktionschefs in Bund und Ländern soll daher noch in dieser Legislaturperiode das Bundestariftreuegesetz beschlossen werden, um die Tariftreue von Unternehmen zu stärken, heißt es in einer von den Fraktionschefs beschlossenen Erklärung: „Für den Bund und alle Länder muss gelten: Unternehmen, die Aufträge vom Staat oder Land erhalten, müssen nach Tarif bezahlen.“ Unternehmen müssten Löhne zahlen, die für ein selbstbestimmtes Leben auskömmlich sind, fordern die SPD-Fraktionschefinnen und -chefs. Sie unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bestreben, die Tarifbindung zu stärken und Tariftreue gesetzlich zu verankern. Außerdem wollen sie sich weiterhin in ihren jeweiligen Ländern, wo noch nicht vorhanden, ebenfalls für entsprechende verbindliche Regelungen einsetzen.
Tariftreuegesetz wird verhandelt
Mit dem Bundestariftreuegesetz soll die Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden. Anfang September erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der ARD, Tarifverträge brächten den Beschäftigten höhere Löhne als der Mindestlohn: „Durchschnittlich ist der Stundenlohn bei Tariflöhnen 4,50 Euro besser.“ Im Monat seien das bei Vollzeitjobs 700,50 Euro mehr. Der Staat habe eine Vorbildfunktion.
Im Vergaberecht des Staates ist jedoch festgelegt, dass ein Auftrag der öffentlichen Hand an den günstigsten Anbieter gehen muss. Dabei sind seitens der Auftragnehmer und ihre Subunternehmer Lohn- und Sozialdumping möglich, damit sie an einen solchen Auftrag herankommen. Dem soll das Gesetz einen Riegel vorschieben. Die Tatsache, dass ein Gesetz pro Branche gelten soll, liegt an den unterschiedlichen Bedingungen in den Branchen. Diese haben ihrerseits Tarifverträge abgeschlossen, in denen die Arbeitsbedingungen eigentlich schon geklärt sind. Die Bindung an Tarifverträge aber ist deutlich gesunken – von 76 Prozent 1998 auf heute 51 Prozent im Westen, im Osten liegt sie bei nur 44 Prozent. Diesen Trend soll das neue Gesetz nun helfen umzukehren.
Warum aber noch ein Gesetz, wenn die Tarifvertrags- und Arbeitsbedingungen doch schon an anderer Stelle geklärt wurden, so die Kritik der Unternehmensverbände. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Industrie (BDI), bezeichnete es in der „Augsburger Allgemeinen“ als „Tarifzwangsgesetz“, das die unternehmerische Freiheit gefährde. Wettbewerb solle in der sozialen Marktwirtschaft gefördert, nicht behindert werden, so Kampeter in einem Beitrag im sozialen Netzwerk Linked In. „Wenn der Staat anstelle der Tarifpartner festlegt, wie Löhne und Arbeitsbedingungen auszusehen haben, wird das bewährte System der Tarifautonomie ausgehöhlt“, so Kampeter.
„Ein erheblicher Aufwand“
2021 startete die neue saarländische SPD-Landesregierung ihr Tariftreue- und Fairer-Lohn-Gesetz. Der saarländische Unternehmensverband VSU hält bis heute an seiner Kritik fest und kann nichts Positives an dem Gesetz erkennen. „Tariftreuegesetze untergraben nicht nur die Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sie belasten auch die öffentlichen Haushalte durch den Wegfall des Wettbewerbs, da Unternehmen bewusst von der Teilnahme an Ausschreibungen ausgeschlossen werden“, so Peter Wollschläger vom VSU. „Das belastet vor allen Dingen die Kommunen als wichtigen Auftraggeber für öffentliche Investitionen. Sie können ihren Zuschlag nun nicht mehr nach dem Prinzip der guten Haushaltsführung vergeben, sondern müssen erst mit erheblichem bürokratischem Aufwand prüfen, ob die jeweils vorgegebenen Tarifkriterien eingehalten werden.“ Das gleiche gelte für Unternehmen, die nun sehr aufwendig ermitteln müssten, ob sie auch bei einer Tarifbindung die von der Politik beliebig gewählten Teilaspekte eines Tarifvertrags erfüllen. „Vor allem gilt dies für Unternehmen, die sich in wirtschaftlich angespannter Lage befinden und mit der Gewerkschaft einen Sanierungstarifvertrag abgeschlossen haben. Diese Firmen, die dringend auch auf öffentliche Aufträge angewiesen wären, sind nun davon ausgeschlossen.“
Das entscheidende Argument der Unternehmensverbände: Das Gesetz erfülle nicht seinen Zweck, die Tarifbindung zu erhöhen. „Weder sind Unternehmen zusätzlich in den Arbeitgeberverband eingetreten, noch ist uns bekannt, dass die Gewerkschaften signifikante Mitgliederzuwächse verzeichnen“, so Wollschläger. Daher sei das Gesetz überflüssig.
Die Politik antwortet darauf: Das Gesetz ist notwendig, weil es durch das Vergaberecht noch Schlupflöcher gab. Das soll sich nun ändern. Die SPD pocht auf faire Bezahlung und die gewerkschaftlich geforderte Tarifbindung. So wie beispielsweise 2021 im Saarland. Seither ist in diesem Bundesland ein Tariftreue- und Fairer-Lohn-Gesetz in Kraft. Aus Sicht der Gewerkschaften sind diese Gesetze unterlässlich, Verdi bezeichnet es als „wichtigstes Projekt“ der Bundesregierung. Seit Jahren sinke in Deutschland die Tarifbindung, immer mehr Unternehmen scheren aus und stechen so immer häufiger tarifgebundene Unternehmen im Wettbewerb um Aufträge aus. Das geplante Bundestariftreuegesetz soll, so die Dienstleistungsgewerkschaft, „nicht mehr und nicht weniger als die Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes beseitigen“. Die FDP blockierte bislang das Gesetz, bis klar war, wie man Unternehmen an anderer Stelle entlasten könne. Etwa durch die Wachstumsinitiative, im Kabinett beschlossen, aber noch nicht vom Bundestag verabschiedet. Nun beginnen in Berlin die Anhörungen der Verbände zu dem Gesetz, bevor es in den Gesetzgebungsprozess gelangt. Mit scharfem Widerstand darf weiter gerechnet werden.