Umzüge zwischen zwei Kontinenten, Kriegsflucht und das Gefühl, nicht gewollt zu sein – diese Erfahrungen macht Yoko Ono schon früh. Auch später bleibt ihr bewegtes Leben eine Gratwanderung zwischen den Welten.
In einem Interview sagte Yoko Ono einmal, sie wolle 100 Jahre alt werden. Das ist jetzt 20 Jahre her. Vor wenigen Tagen, am 18. Februar, feierte die japanisch-amerikanische Künstlerin ihren 90. Geburtstag. Gut möglich, dass ihr Wunsch, hundertjährig zu werden, in Erfüllung gehen wird.
Dabei war ihr Lebenswille nicht immer so stark gewesen. Mit 29 Jahren befand sie sich in einer so schweren Depression, dass sie eine Überdosis Schlaftabletten nahm und für einige Wochen in die Psychiatrie kam. Etwa zehn Jahre zuvor, damals studierte sie in Cambridge an der Harvard-Universität in den USA Musik und Gesang, suchte sie den Psychotherapeuten Richard Rankin auf. Sie hatte Probleme mit einem Englischaufsatz, da der Dozent Schwierigkeiten mit dem „fremdartigen Schreibstil" der jungen japanischen Studentin hatte. So schreibt es zumindest Nicola Bardola in seiner Biografie „Yoko Ono". Bardola zufolge soll Rankin der jungen Frau geraten haben, etwas Authentisches auf einfache Weise zu schreiben. Vielleicht eine Erinnerung aus ihrer Kindheit. Yoko Ono folgte dem Rat des Therapeuten und fing an zu schreiben. Das, was Rankin dann las und hörte, überwältigte den jungen Psychotherapeuten. „Ich war in keiner Weise auf die tiefe Traurigkeit vorbereitet, die sie mir offenbarte. Alle ihre Erinnerungen waren schmerzhaft. Alle." Ihre ganze Kindheit und Jugend hatte sie sich abgelehnt und einsam gefühlt.
Angst davor, einfach wegzufliegen
Yokos Mutter Isoko kam aus der vermögenden und angesehenen Familie Yasuda. Sie brachte ein kleines Vermögen in ihre Ehe mit Eisuke Ono ein, der ein entfernter Verwandter der kaiserlichen Familie war. Nach dem Dafürhalten von Yoko Onos Biografen Bardola handelte es sich mehr um eine Zweckehe als um eine Liebesheirat. Eisuke Ono wollte ursprünglich Pianist werden, studierte auf Wunsch seiner Eltern aber Wirtschaftswissenschaften und wurde Banker. Kurz vor der Geburt seines ersten Kindes Yoko in Tokio musste er für längere Zeit geschäftlich nach San Francisco. Bis das kleine Mädchen fast drei Jahre alt war, kannte es seinen Vater nur von Fotografien. Von der Mutter kaum beachtet, wuchs Yoko in einem palastähnlichen Anwesen mit vielen Bediensteten auf. Den Großteil von Yokos Erziehung übernahm das Personal, während Yokos Mutter unter anderem Künstlersalons organisierte und sich mit Hausmusik verwirklichte. „Ich hatte Angst davor, einfach wegzufliegen, zu verschwinden", sagt Yoko Ono über das Gefühl, das sie als Kind damals hatte. 1935 folgen Mutter und Tochter dem Vater nach San Francisco. Dann werden Yokos Geschwister geboren: 1939 kommt der jüngere Bruder Keisuke auf die Welt und 1941 folgt ihre Schwester Setsuko. Die Familie pendelt dann eine Zeit lang zwischen New York City und Tokio, bis Eisuke Ono eine Stelle im vietnamesischen Hanoi annimmt, während Mutter und Kinder wieder zurück nach Japan ziehen. Yoko Ono musste ihre frühen Jahre auch als Kriegskind erleben. Am 9. März 1945 überlebt sie als Zwölfjährige den letzten großen Angriff der Amerikaner auf Tokio in einem Bunker. Die Mutter flüchtet mit ihren drei Kindern aufs Land. Yoko erlebt dort als Tochter aus reichem Elternhaus Ausgrenzung und Hänseleien durch die Bauernkinder. Trotz des Wohlstandes der Familie Ono kommt es zu mangelhaften Zahlungsströmen und zeitweise fehlt es am Nötigsten. Die Mutter verkauft einige Erbstücke und Yoko muss manchmal betteln gehen.
1953 geht sie nach New York City, heiratet drei Jahre später ihren ersten Mann, den japanischen Komponisten Toshi Ishiyangi. In dieser Zeit lernt sie die künstlerische Avantgarde kennen. „Es war ein großartiges Gefühl, zu wissen, dass es eine ganze Künstler- und Musikszene gab, die sich zu dieser Zeit in New York versammelt hatte und von denen jeder auf seine eigene Weise revolutionär war", sagt sie. In dieser Zeit entdeckt sie auch die freie Liebe, sehr zum Unmut ihres Ehemanns, vor dem sie ihre Liebschaften nicht verheimlicht. Es folgen ungewollte Schwangerschaften und Abtreibungen. Anfang der 1960er-Jahre zieht das Paar nach Japan, wo Yoko Ono depressiv wird. Nach ihrem Klinikaufenthalt leben die beiden eine Zeit lang mit Anthony Cox zusammen in einer Wohnung. Der amerikanische Jazzmusiker und Filmproduzent soll einige Zeit später erst ihr Liebhaber, dann im Jahr 1963 der Vater ihrer Tochter Kyoko und schließlich Ehemann Nummer zwei werden. Die Ehe zerbricht, als Yoko Ono den Beatles-Sänger John Lennon kennen und lieben lernt. Die Künstlerin bezeichnet Lennon als das „größte Glück" in ihrem Leben. „Ich habe die Dinge alleine gemacht und mein großes Problem war die Einsamkeit, der einsame Kampf", sagt die Künstlerin. „Und nun machen wir die Dinge gemeinsam, das ist einfacher. Dafür bin ich dankbar."
Mit der Beziehung zu John kommt es zur Scheidung zwischen Ono und Cox, wonach ihr Ex-Mann das alleinige Sorgerecht für Kyoko bekommt. Doch entgegen des gesetzlichen Besuchsrechts taucht Cox 1971 mit der siebenjährigen Tochter unter. „Es war, als ob jemand einen Teil meines Körpers weggerissen hätte", sagte Ono einmal dazu in einem Interview. Yoko Ono wird von ihrer Tochter viele Jahre nichts hören oder sehen. Sie sehen sich erst wieder, als Kyoko längst eine erwachsene Frau ist. Mittlerweile ist Kyoko selbst Mutter und Yoko Ono Großmutter.
Neue Liebe und eine Tochter, die verschwand
1969 heiraten Yoko Ono und John Lennon und trennen sich 1973 schon wieder. Der Auslöser für diese zweijährige Trennung ist Lennons persönliche Assistentin May Pang, mit er eine vorübergehende Liebesbeziehung eingeht. 1975 kommen Yoko Ono und John Lennon als Paar wieder zusammen, und am 9. Oktober 1975 wird ihr gemeinsamer Sohn Sean geboren. In den folgenden Jahren ziehen sich Yoko Ono und ihr Mann weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. John Lennon wird zum Hausmann, der sich hingebungsvoll um Sean kümmert. 1980 wird John Lennon erschossen. Den Tod ihrer großen Liebe verarbeitete sie auf künstlerische Weise: Für das Cover ihres Albums „Season of Glass" im Jahr platzierte sie seine blutverschmierte Brille auf einem Tisch in der gemeinsamen Wohnung. Diese Aktion bringt ihr viel Kritik ein, sie wird als „schwarze Witwe" beschimpft.
Das Verwalten von Johns Lennons Erbe zählt bis heute zu ihren Hauptaufgaben. Zudem ist sie weiterhin als Künstlerin und Friedensaktivistin tätig. Noch im Alter von 85 Jahren bringt sie ihr 13. Solo-Studioalbum heraus: „Warzone" handelt über ein Leben im Kriegsgebiet. Sie hat auch in ihrem Erwachsenenleben viel einstecken müssen. „In den letzten fünfzig, sechzig Jahren wurde ich beschimpft, wurden Lügen über mich verbreitet und Hassbriefe an mich geschickt", erzählte sie in einem Interview. Den Hass habe sie in positive Energie umgewandelt.