Pamela Anderson hat sich als Charakterdarstellerin neu erfunden. Im Drama „The Last Showgirl“ spielt sie eine alternde Tänzerin in Las Vegas. Es ist die Rolle ihres Lebens.

Die erotische Revue „The Razzle Dazzle“ lief 30 Jahre lang in Las Vegas mit großem Erfolg. Jetzt soll sie abgesetzt werden. Ein Schock für das fast 60-jährige Showgirl Shelley (Pamela Anderson), die in ihrer Glanzzeit wie ein Movie-Star gefeiert wurde. Für sie bricht eine Welt zusammen. Denn das allabendliche Tanzen im grellen Rampenlicht, die sexy Kostüme, der Flitter und Glitter, der Geruch von Haarspray und Schminke, nicht zu vergessen der Plausch mit ihren Kolleginnen in der Garderobe – das war Shelleys Leben, für das sie viele Opfer brachte. Mit eiserner Disziplin hielt sie sich fit für den aufreibenden Job, hatte nur belanglose Affären und gab sogar ihre Tochter Hannah (Billie Lourd) zur Adoption frei. Denn nur so konnte sie den Traum verwirklichen, als Las-Vegas-Showgirl Karriere zu machen. Und die soll nun ein für alle Mal vorbei sein?
Zerrüttetes Verhältnis zur Tochter
Trost findet Shelley zunächst bei ihrer besten Freundin, der Cocktail-Kellnerin Annette (Jamie Lee Curtis), und ihrer Showgirl-Ersatzfamilie, den jungen Tänzerinnen Jodie (Kernan Shipka) und Mary-Anne (Brenda Song) und dem Casino-Manager Eddie (Dave Bautista). Doch auch sie können ihr die Zukunftsangst nicht nehmen. In ihrer Verzweiflung versucht Shelley – per Voicemail – Kontakt zu ihrer Tochter aufzunehmen, um das über Jahre angespannte Verhältnis zu kitten. Doch die will eigentlich nichts mehr von ihr wissen. Zu tief ist das Trauma, als Kind verlassen worden zu sein. Außerdem schämt sich Hannah auch für den Lebenswandel ihrer Mutter. Der Reality-Check ist bitterernst. Wie soll es weitergehen? Wie soll Shelley – ohne Einkommen – die Miete bezahlen und für ihren Lebensunterhalt sorgen? Und kann sie – wie ihre jüngeren Kolleginnen – in ihrem Alter tatsächlich noch einmal neu anfangen? Als Tänzerin in einer anderen Show? Mutig geht Shelley zum Casting. Doch das Vortanzen endet mit einer schlimmen Demütigung. Sie wird mit rüden sexistischen Kommentaren abgewiesen.

Bei diesem Vortanzen schwingen natürlich auch Pamela Andersons persönliche Verletzungen und Herabsetzungen mit, die sie viele Jahre lang als Playgirl und „Mrs. Baywatch“ erdulden musste. Dieser Schmerz, dieses Sehnen nach Anerkennung spiegelt sich in ihren Augen, liegt wie schweres Make-up auf ihrem Gesicht. Hier löst sie sich mit ihrer verletzlichen und doch so willensstarken Performance aus dem Besetzungs-Coup-Klischee. Und wird zur respektablen Charakterdarstellerin. Pamela Anderson ist Shelley und hat sich über all die Jahre eine gewisse Unschuld bewahrt – die auch ihr großes Idol Marilyn Monroe gelegentlich hat aufblitzen lassen. Pamela Anderson zu erleben, wie sie sich in diesem Film die Seele aus dem Leib spielt, ist wirklich sehenswert. Besonders gelungen ist das Wechselspiel zwischen ihr und der großartigen Jamie Lee Curtis. Man kommt kaum aus dem Staunen heraus, wenn Curtis – als trashiges, mit viel Selbsbräuner gebräuntes Ex-Showgirl Annette – in ihrem viel zu knappen Cocktail-Dress auf einem Casino-Tisch zu Bonnie Tylers „Eclipse from the Heart“ einen lasziven Tanz hinlegt.
Kaleidoskopartige Facetten einer Mutigen

Der Enkelin von Francis Ford und Nichte von Sofia Coppola, Gia Coppola, ist mit „The Last Showgirl“ ein lupenreiner Independent-Film gelungen. Sie inszeniert ihn mit viel Wohlwollen für die Akteure und feinem Gespür für die banalen, aber auch so kostbaren flüchtigen Momente des Lebens. Coppola gelingt es, dem alten Las Vegas mit den neonglitzernden Vergnügungstempeln in der Wüste Nevadas einen authentischen Charme zu verleihen. Als Kontrast zu den glamourös gefilmten Showeinlagen fängt sie mit der wackeligen Handkamera in grobkörnigen Bildern auch die triste Atmosphäre der Strip-Malls, verödeten Parkplätze und abgeschmackten Häuser ein. In ihren besten Momenten gelingt ihr damit eine echte Milieustudie des Working-Class-Las Vegas.
„The Last Showgirl“ hat keine straff organisierte Handlung, die auf einen Plot hinausläuft. Vielmehr erleben wir in vielen kaleidoskopartigen Facetten eine mutige und lebensbejahende Frau, die sich trotz aller Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt. Es ist außerdem ein Film über Menschen, die eine zweite Chance verdienen. Deshalb drücken wir bei dem allzu schönen Happy-End zwischen Shelley, Hannah und Eddie ein Auge zu. Und freuen uns darauf, dass Pamela Anderson noch einmal zu einem allerletzten Tanz antritt und die Leinwand mit ihrem 1.000-Watt-Lächeln zum Strahlen bringt.