Britische Forscher haben herausgefunden, dass Menschen mit ihrer natürlichen Oberflächenspannung die parasitären Plagegeister regelrecht auf ihren Körper ziehen können. Zecken beschränken sich somit also keineswegs nur auf ein passives Warten auf neue Opfer.
Beim sommerlichen Spaziergang durch Wald und Heide pflegt sich häufig das ungute Gefühl einer unsichtbaren Bedrohung einzustellen. Denn die zu den Spinnentieren zählenden und weltweit mit rund 950 Arten verbreiteten Zecken können eine Vielzahl von Infektionskrankheiten übertragen. Der hierzulande am weitesten verbreitete Vertreter ist der sogenannte Gemeine Holzbock oder Ixodes ricinus mit einem Lebenszyklus von zwei bis drei Jahren. Er wird als Wirt oder Überträger der Borreliose, einer Bakterieninfektion, oder der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), einer Vireninfektion, sehr gefürchtet. Er kann sich aber keinesfalls, wie noch immer angenommen wird, von Bäumen auf seine Opfer fallen lassen oder gar aktiv aus der Höhe auf Mensch oder Tier springen.
Zeckensaison ist eigentlich immer
Vielmehr warten die hiesigen Ixodes-Zecken – die allerdings aufgrund des Klimawandels immer mehr Verstärkung durch eingeschleppte Arten erhalten, mit weiteren bakteriellen Krankheiten wie Fleck- oder Q-Fieber – geduldig an exponierten Stellen in Bodennähe auf Grashalmen oder niedrigem Gebüsch darauf, dass ihr unachtsames Opfer ihren Aufenthaltsort streift. Dann können sich die Zecken sofort mithilfe ihrer winzigen Klauen festkrallen und sich dann in aller Ruhe nach einer optimalen Einstichstelle umsehen. Im Unterschied zu Mücken lassen sich Zecken viel Zeit mit ihrem schmerzfreien Einstich, weshalb sie bei rechtzeitiger Entdeckung auch noch problemlos abgestreift werden können. Da die Parasiten schon ab einer Außentemperatur von rund acht Grad aktiv werden können, gibt es hierzulande kaum mehr eine klassische Zeckensaison, sondern selbst an milden Wintertagen ist man inzwischen vor einem Stich nicht mehr gefeit.
Wenigstens ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) das tatsächliche Risiko einer Erkrankung nach einem Zeckenstich vergleichsweise überschaubar. Selbst in den süddeutschen FSME-Risikogebieten tragen nur 0,1 bis fünf Prozent der Zecken FSME-Viren. Und eine Borreliose-Infektion nach einem Zeckenstich konnte lediglich bei 2,6 bis 5,6 Prozent der Betroffenen nachgewiesen werden. Laut RKI verlaufen zudem viele FSME-Infektionen ohne sichtbare oder nur mit milden Symptomen ab. Und nur ein kleiner Teil der von einer Borrelien-Infektion Betroffenen wird laut RKI ernsthaft krank.
Britische Wissenschaftler der School of Biological Science der University of Bristol unter Federführung des Biowissenschaftlers Sam England hatten unlängst überprüft, ob an den sich hartnäckig haltenden Legenden von springenden oder fliegenden Zecken doch etwas dran sein könnte, ob es also neben dem Abstreifen von der Vegetation einen weiteren potenziellen Kontaktzusammenhang zwischen den Parasiten und ihren Opfern geben könnte. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlicht. Die Forscher vermuteten, dass auch elektrostatische Anziehungskräfte im Spiel sein könnten, durch die Zecken Entfernungslücken zwischen sich und einem potenziellen neuen Wirt überwinden können – dass die Parasiten also mittels passiver elektrostatischer Anziehung (der anziehenden Wirkung elektrischer Felder) gleichsam auf ihre Opfer katapultiert werden könnten.
„Magnetisch“ angezogen
Schließlich ist eine elektrostatische Aufladung auch beim Menschen durchaus nichts Ungewöhnliches, nachweislich kann der Homo sapiens eine Oberflächenspannung von bis zu 30.000 Volt aufbauen. Davon dürfte jeder schon mal eine Ahnung bekommen haben, der nach dem Laufen über einen Teppichboden in Schuhen mit Gummisohlen in Kontakt mit etwas Metallischem gekommen ist und dabei durch die Entladung der aufgebauten Spannung einen kleinen Elektroschock verpasst bekommen hat. „Aber diese elektrostatische Aufladung geschieht auch bei Tieren in der Natur“, so Sam England, „wenn sie sich an Gegenständen in ihrer Umgebung wie Gras, Sand oder anderen Tieren reiben. Diese Aufladungen sind erstaunlich stark und können Hunderten, wenn nicht Tausenden von Volt entsprechen – mehr als Sie zu Hause aus Ihren Steckdosen herausbekommen.“ Durch den Aufbau der Ladung entstehen elektrische Felder, in denen statische Ladungen anziehende oder auch abstoßende Kräfte auf andere statische Ladungen ausüben können. „Wir haben uns gefragt“, so England, „ob die statischen Ladungen, die Säugetiere, Vögel oder Reptilien auf natürliche Weise ansammeln, hoch genug sein könnten, um parasitäre Zecken durch elektrostatische Anziehung durch die Luft auf diese Tiere zu ziehen und so ihre Effizienz bei der Suche nach Wirten verbessern zu können.“
In einer ersten Versuchsanordnung testeten die Forscher ihre Hypothese, indem sie statisch aufgeladene Kaninchenfelle und andere Materialien wie eine Acrylplatte, die mithilfe der Kaninchenfelle durch Reibung aufgeladen worden war, in die Nähe von Zecken brachten, die sich vornehmlich im Nymphenstadium befanden (auf dem Weg zur erwachsenen, geschlechtsreifen Zecke durchlaufen die Parasiten drei Stadien: Ei-, Larven- und Nymphenstadium). Es wurden aber auch Untersuchungen mit gleichen Resultaten an Larven und erwachsenen Zecken durchgeführt. Ergebnis: Die Zecken mit ihren winzigen Beinchen wurden nicht nur wie magnetisch angezogen, sondern geradezu auf die aufgeladenen Oberflächen katapultiert, wobei sie problemlos Distanzen von mehreren Millimetern oder auch Zentimetern zurücklegen konnten. Übertragen auf menschliche Maßstäbe würden diese Distanzen mehreren Treppenabsätzen oder der Höhe eines mehrstöckigen Gebäudes entsprechen.
Um herauszufinden, welchen minimalen Schwellenwert eine elektrostatische Ladung haben muss, um Zecken anziehen zu können, verfeinerten die Wissenschaftler ihre Versuchsanordnung durch Austausch der Kaninchenfelle gegen eine regulierbare Elektrode. Indem sie deren Ladung schrittweise erhöhten, konnten sie die minimal erforderliche elektrische Feldstärke bestimmen. Die Zecken wurden bei dem Versuch auf einer elektrisch geerdeten Aluminiumplatte direkt unterhalb einer kugelförmigen Stahlelektrode platziert. War die Elektrizität zwischen Kugel und Platte gleich null, konnten sich fast alle Zecken einer Anziehung erfolgreich widersetzen. Erst bei einer elektrischen Feldstärke von 258.000 Volt pro Meter erwies sich die Elektrode als perfekter Zeckenmagnet. „Dieser Schwellenwert ermöglicht eine Hochrechnung auf kleinere und größere Spannungen und Abstände“, so das Team. „Soll beispielsweise eine Zecke über einen viel kleineren Spalt von 0,1 Millimetern angezogen werden, so ist eine viel geringere Spannung von etwa 26 bis 29 Volt erforderlich.“ Bei der durchschnittlichen menschlichen Oberflächenspannung von bis zu 30.000 Volt könnten Zecken daher sogar über mehrere Zentimeter hinweg geradezu magisch angezogen werden.
Mehrere Zentimeter möglich
„Daher ist es wahrscheinlich, dass Zecken auch in der Natur durch statische Elektrizität zu ihren Wirten hingezogen werden“, so das Resümee der britischen Wissenschaftler. Sie weisen auch darauf hin, dass sich die Zecken bei der Versuchsanordnung entgegen der Schwerkraft bewegen mussten, was in freier Natur häufig nicht vonnöten sein dürfte, weshalb für die Anziehung dann sogar noch geringere Feldstärken ausreichend sein könnten. Die Forscher äußerten die Vermutung, dass sich ein ähnlicher Effekt der elektrischen Anziehung auch auf Milben, Flöhe oder Läuse übertragen lassen müsste. Wie die Zecken auf die elektrischen Felder potenzieller Wirte aufmerksam werden, ist laut den Wissenschaftlern noch eine offene Frage. Möglicherweise seien Reize wie Vibrationen, Strahlungswärme, ein plötzlicher Abfall der Lichtintensität oder auch ein typischer Wirtsgeruch dafür verantwortlich.
Die britischen Forscher wiesen darauf hin, dass die Ergebnisse ihrer Studie wertvoll und hilfreich für die künftige praktische Umsetzung von Anti-Zecken-Maßnahmen sein könnten. So regten sie beispielsweise die Entwicklung antistatischer Sprays oder antistatisch beschichteter Outdoor-Kleidung an. „Bis jetzt hatten wir keine Ahnung, dass ein Tier auf diese Weise von statischer Elektrizität profitieren könnte“, so England. „Das eröffnet uns völlig neue Denkansätze, wie viele unsichtbare Kräfte Tieren und Pflanzen helfen könnten, ihr Leben zu leben.“