Wirtschaftlich gesehen ist die E-Sport-Branche auf dem Weg des Erfolges: Steigende Zuschauerzahlen versprechen mehr Fans und neue Geschäftsmodelle – für Fußballvereine und Unternehmen, die langfristig denken, sagen Experten.
Daddelnde Teenies – ein Millionengeschäft? Auf jeden Fall, dachten sich einige Fußballvereine und legten sich eine E-Sport-Abteilung zu: Paris Saint-Germain, Manchester City, Schalke, Wolfsburg, die Hertha und RB Leipzig, sie alle engagieren sich heute im E-Sport. In Deutschland nicht notwendigerweise, weil sie wollen, sondern mittlerweile müssen: Laut DFL gehört es seit 2023 für deutsche Fußballvereine der Ersten und Zweiten Liga verpflichtend dazu, eine E-Sport-Abteilung aufzubauen – eine virtuelle Bundesliga, in der die beliebte Fußballsimulation „EA FC 2024“ gespielt wird.
„Wichtige Aspekte für die Vereine sind die Infrastruktur, Personal, Software und Lizenzen sowie Marketing und Kommunikation. Die Kosten für den Aufbau und Betrieb einer E-Sport-Abteilung können stark variieren, von etwa 50.000 Euro pro Jahr für Einsteiger bis zu mehreren Millionen Euro für Profiteams“, erklärt Lutz Anderie, Professor für Wirtschaftsinformatik und Experte für Management an der Frankfurt University of Applied Sciences. Anderie arbeitet eng mit der Konsumgüter- und Games-Industrie zusammen.
Ein Verein aber hat sich dagegen ausgesprochen: Erstligist Union Berlin verweigert sich dem E-Sport. „Als gemeinnütziger Sportverein betrachten wir es als unsere Aufgabe, den eigentlichen Sport zu fördern, nicht dessen digitale Simulation“, schreibt Union Berlin in einer Pressemitteilung.
Virtueller Sport versus E-Gaming
Prof. Daniel Görlich lehrt seit 2023 an der Hochschule Offenburg „Virtuelle Welten und Game Technologies“. Er sieht hierin eine Diskrepanz „zwischen dem, was E-Sport weltweit so erfolgreich macht, und dem, was der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Deutsche Fußballbund daraus abgeleitet haben“. In den E-Sport-Ligen werden primär Spiele gespielt, die thematisch nichts direkt mit Sport zu tun haben. „Der DOSB hatte deshalb schon vor der Corona-Pandemie eine Unterscheidung zwischen ‚virtuellen Sportarten‘, also Sportsimulationen, und ‚Gaming‘ vorgenommen, also aus Sicht des DOSB allen ‚restlichen‘ E-Sport-Titeln, die statt Sport nur Spiel seien. Diese Unterscheidung ist aus meiner Sicht konservativ und keineswegs hilfreich, was auch die Fußballclubs zu spüren bekommen.“ Tatsächlich sind einige Clubs mit E-Sport sehr erfolgreich. So wie der TSV 1895 Oftersheim, „meines Wissens nach der erste Amateursportverein Deutschlands mit eigener E-Sport-Abteilung“, so Görlich, „aber dort wird eben nicht nur die Virtual Bundesliga gezockt, sondern auch die E-Sport-Titel ‚Counter-Strike‘ und ‚League of Legends‘. Anderen Clubs, die darin für sich weder Mehrwert noch Vereinsziel sehen, jedoch aufzuerlegen, sie müssten E-Sport-Abteilungen etablieren, massiv investieren und dort – womöglich sogar ausschließlich – Sportsimulationen anbieten, halte ich für widersinnig. Insofern kann ich Eisern Union gut verstehen und bewundere sogar ihre Standfestigkeit, aber ich würde ihnen auch empfehlen, von ihrer Formulierung ‚Sportförderung statt Gaming‘ abzurücken und im E-Sport mehr Potenzial als nur Gaming zu sehen.“
E-Sport hat jedoch nicht nur bei allen Bundesligisten Einzug gehalten, sondern auch bei Unternehmen. Die Telekom beispielsweise unterhält eine Technologiepartnerschaft mit dem bekanntesten und ältesten noch aktiven E-Sport-Team SK Gaming, Vodafone unterstützt das Team Mousesports, Red Bull sponsert regelmäßig E-Sport-Events und sucht Talente. „E-Sport ist für Unternehmen mehr als nur ein Imageträger“, sagt Prof. Lutz Anderie. „Es ist ein funktionierendes Sport-Geschäftsmodell mit vielfältigen Möglichkeiten, die zur Steigerung des Markenwerts, der Kundenakquise, der Umsatzsteigerung und der Innovation beitragen können.“ Es gehe dabei um eine junge, technikaffine und kaufkräftige Zielgruppe, die oft schwer durch klassische Werbekanäle zu erreichen sei. E-Sport-Veranstaltungen und Online-Plattformen bieten Unternehmen jedoch die Möglichkeit, mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten. „Durch die Schaffung von exklusiven Erlebnissen und Angeboten für E-Sport-Fans kann die Kundenbindung gestärkt werden. E-Sport kann direkt zur Umsatzsteigerung beitragen, zum Beispiel durch den Verkauf von Merchandise-Artikeln oder Tickets für E-Sport-Veranstaltungen, und über entwickelte Technologien als Innovationstreiber dienen.“ Allerdings sei der E-Sport-Markt noch relativ jung und fragmentiert. Erfolg im E-Sport erfordere daher eine langfristige Strategie und ein tiefgreifendes Verständnis der Szene.
Von Anfang an gehören nicht nur Sportspiele wie „Fifa“, sondern auch Strategiespiele wie „Starcraft“ oder taktische Ego-Shooter wie der Klassiker „Counter-Strike“ (kurz auch CS:GO) zu den Spielen, in denen heute weltweit Turniere ausgetragen werden. Aktuelle Games, in denen sich Spieler weltweit messen, heißen „Fortnite“, „League of Legends“, „Dota 2“, „Valorant“ und „Player Unknown’s Battlegrounds“ (PUBG).
Kontinuierliches Wachstum
Und der Markt wächst weiter. Das US-Magazin „Fortune“ schätzt, dass er bis 2030 auf 6,7 Milliarden US-Dollar anwachsen wird – Geld, das mithilfe von steigenden Zuschauerzahlen, Lizenzgeschäften, Ticketverkäufen für Live-Events, Sponsoring von Unternehmen und Merchandise für die wachsende Fangemeinde erwirtschaftet wird. Wer Fan ist, kauft in der Regel auch die Spiele, Gaming-Studios und -Publisher wie beispielsweise Riot Games oder Valve profitieren also gleichermaßen von Verkaufszahlen und dem Marketing des E-Sports. Denn die Spiele-Publisher sind diejenigen, die in der Branche den Ton angeben, über Regeln und Austragungsorte entscheiden – denn welches Game der neue E-Sport-Hit wird, entscheidet alleine die Fangemeinde. Ausreichend viele Spieler, die lange andauernd und weltweit ein bestimmtes, oft kompetitives Spiel spielen, sind ein erster Maßstab. Gelingt es dem Studio, die Spielerschaft nachhaltig am Ball zu halten, stehen die Chancen gut, dass sich Gaming-Clans, also Vereinigungen von Spielern, mit dem Phänomen beschäftigen und es in ihr Repertoire aufnehmen, bis es sich als E-Sport-Titel etabliert.
Schneller Tastendruck und Klickfinger vorausgesetzt begeistern Spielerinnen und Spieler – derzeit meistens noch männliche Spieler – die Fans in aller Welt, die erfolgreichsten streichen Millionensummen an Preisgeldern ein. Laut der Statistikseite „esportsearnings.com“ verdiente die bestverdienende Spielerin, die Kanadierin Sasha Hostyn, mit ihren Fähigkeiten im Strategiespiel „Starcraft II“ Preisgelder in Höhe von mehr als 465.500 Dollar. Johan Sundstein aus Dänemark, der unter dem Nicknamen „N0tail“ antritt, führt derzeit die finanzielle Rangliste an: mehr als sieben Millionen Dollar verbuchte er nach Teilnahme an 130 Turnieren und ist damit der aktuell bestverdienende E-Sportler der Welt.
Der erfolgreichste deutsche Vermarkter: Ralf Reichert, Pionier im E-Sport, der Ende der 90er die ersten Turniere in Kellern und alten Lagerhallen ausgerichtet hat. Heute leitet er das Produktionsunternehmen ESL, richtet die größte europäische E-Sportliga aus und macht laut Geschäftsbericht einen Umsatz von 91 Millionen Euro pro Jahr. 2022 verkaufte er die ESL an einen arabischen Investor – für eine Milliarde US-Dollar. Als Urvater des E-Sports aber gilt vielen in der Branche Jens Hilgers, der ursprüngliche Gründer der ESL, heute Tech- und Gaming-Investor.
Dabei ist das mediale System rundherum ein völlig anderes als beim Fußball oder anderen, herkömmlichen und nicht-virtuellen Sportarten. Hierzu zählen vor allem Youtube, der Streamingdienstleister Twitch, aber auch immer häufiger Pay-TV-Kanäle wie Sky. Die Zuschauerzahlen reichen oft nicht an Fußballspiele heran, oft genug aber übertreffen sie sie um ein Vielfaches. 2023 sahen 6,4 Millionen Zuschauer weltweit die „League of Legends World Championship“. Daniel Görlich glaubt, dass sich die Zuschauerzahlen künftig verändern werden: Wo Massenmedien vor allem Massensport wie Fußball übertragen, schaut sich die jüngere Generation E-Sport-Ereignisse auf Online-Plattformen an. „E-Sport ist längst zu einem Massenphänomen geworden, dem nicht nur die heute jungen Generationen weiterhin treu bleiben werden“, so Görlich. Somit sei von kontinuierlich wachsenden Zuschauerzahlen auszugehen und gleichzeitig auch von einer Verschiebung des Generationenunterschiedes, denn auch die jungen Zuschauer werden jedes Jahr ein wenig älter. „Irgendwann wird E-Sport so weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt sein, dass sich auch die etablierten Massenmedien überlegen müssen, in welchem Umfang sie E-Sport aufgreifen wollen.“