Die unterschätzte Milz könnte als zentrales Organ für die künftige regenerative Medizin genutzt werden. Chinesischen Forschern gelang es, die Milz von zuckerkranken Tieren so umzuprogrammieren, dass dorthin transplantierte Inselzellen die Insulinproduktion aufnehmen konnten.
Der medizinische Leitgedanke, körpereigene Organe als neue Form von Mini-Bioreaktoren nutzbar zu machen, um dort beispielsweise dringend benötigtes Ersatzgewebe zu züchten oder sogar ganze Organe zu regenerieren, mag noch ziemlich surreal anmuten. Aber erste Schritte hin zu dieser neuen Etappe der regenerativen Medizin wurden bereits vor rund 20 Jahren unternommen: Stichwort „Inselzelltransplantation“, bei der die menschliche Leber die entscheidende Rolle spielt. Es handelt sich dabei um ein derzeit noch experimentelles chirurgisches Therapieverfahren zur Behandlung des insulinpflichtigen Diabetes mellitus, besser bekannt als Typ-1-Diabetes. Wobei es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise die eigenen, für die Insulin-Produktion zuständigen Betazellen angreift und zerstört, die in den sogenannten Langerhans-Inseln, den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, ansässig sind. Die Erkrankung beginnt meist schon im Kindes- und Jugendalter und zwingt die Betroffenen zum lebenslangen Spritzen von Insulin, weil ohne dieses Hormon die Körperzellen keine Glukose aus dem Blutkreislauf aufnehmen können. Das hat gefährlich hohe Blutzuckerwerte, schwere Organschäden und letztlich den Tod zur Folge.
Behandlung von Typ-1-Diabetes
Da die Behandlungsmethode mit Einsatz der Insulininjektionen einen täglichen Balanceakt darstellt, der ständige Wachsamkeit und präzise Dosierung erfordert, wurde Ende des 20. Jahrhunderts die Inselzelltransplantation entwickelt. Bei diesem minimalinvasiven Eingriff werden Inselzellen, die in der Regel aus der Bauchspeicheldrüse eines verstorbenen Spenders entnommen werden, über die Pfortader oder Vena portae in die Leber des Zuckerkranken übertragen. Dort sollen sich die transplantierten Inselzellen einnisten, die natürliche Insulinproduktion ersatzweise für die Bauchspeicheldrüse aufnehmen und damit idealerweise fast so etwas wie eine Heilung des Typ-1-Diabetes herbeiführen. Das Verfahren gilt zwar schon als etabliert und sicher, doch die Ergebnisse sind bislang noch nicht gänzlich zufriedenstellend, weil sich bei den meisten Patienten der anfängliche Therapieerfolg über die Jahre nicht stabilisieren ließ und zudem das körpereigene Abwehrsystem dauerhaft massiv durch Immunsuppressiva unterdrückt werden muss. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Leber nicht unbedingt das ideale Organ für die ersatzweise Ansiedlung der das Insulin produzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse sein dürfte. Denn meist schon wenige Stunden nach der Transplantation in das hepatische Mikromilieu werden bis zu 70 Prozent der Inselzellen durch eine Kombination von Immunreaktion, Sauerstoffmangel und unflexibler Steifheit des Lebergewebes zerstört. Das hat zur Folge, dass viele Empfänger auf Inselzellen mehrerer Spender angewiesen sind. Kein Wunder daher, dass sich die medizinische Forschung inzwischen schon nach alternativen Transplantationsstellen anstelle der Leber umgesehen hat und dabei sogar schon das Auge, aber auch das Muskelgewebe oder die fettgewebsreiche Struktur im Bauchraum namens Omentum majus anvisiert hat. Doch all diese Alternativen würden Komplikationen mit sich bringen, die von invasiven Operationen bis hin zu kaum besseren Überlebenschancen der Inselzellen oder abnormalen Insulin-Abgabe-Mustern reichen.
Milz bisher nicht ausreichend genutzt
Forscher aus dem Reich der Mitte haben nun einen gänzlich anderen Transplantationsort ausgewählt, nachdem es ihnen bereits 2020 gelungen war, dort Leberfunktionen verrichten zu lassen. Die Rede ist von der Milz, einem weithin unterschätzten menschlichen Organ, das als größtes unter den lymphatischen Organen des Menschen die Ausmaße einer Avocado hat, links unter dem Brustkorb, direkt über dem Magen, angesiedelt ist und trotz seiner üblichen Aufgaben wie der Blutreinigung samt Herausfiltern beschädigter Blutzellen und der Unterstützung des Immunsystems seit jeher im Schatten seiner prominenteren Nachbarn wie Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren steht. Die Milz gilt als entbehrlich, weil sie gemeinhin als nicht lebensnotwendig angesehen wird, und viele Menschen, vor allem Erwachsene, auch ohne dieses Organ gesund leben können. Die Milz ist vergleichsweise unterbeschäftigt und weist eine relativ einfache poröse Struktur auf, die aber viel Platz für die Aufnahme von Milliarden von Zellen bietet. Mit ihrer schwammartigen Beschaffenheit, der nährstoffreichen Umgebung und der Nähe zu wichtigen Blutgefäßen wie denen der Leber wurde sie von den chinesischen Wissenschaftlern als geradezu idealer Kandidat für die Gewebekultivierung oder gar Organreifung auserkoren. Zumal die dafür nötige Umgestaltung oder Umprogrammierung der Milz keine Unterbrechung oder Beeinträchtigung wichtiger Körperfunktionen verursachen konnte.
Ausgangspunkt der Überlegungen des Forscherteams der Wenzhou Medical University, der Nanjing University und der University of Macau unter Federführung von Prof. Lei Dong und Prof. Jian Xiao war denn auch die Frage: Kann man die Milz, ein bislang nicht ausreichend genutztes Organ, durch eine Umgestaltung ihrer Immunumgebung und Gefäßstruktur so präparieren, dass sie Inselzellen-Transplantate aufnehmen und schützen kann? Die Wissenschaftler konnten darauf nach Abschluss ihrer im Fachjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlichten Studie eine sensationelle Antwort geben: „Wir verwandeln die Milz im Wesentlichen in einen Hochleistungs-Bioreaktor. Indem wir die extrazelluläre Matrix verbessern, das Blutgefäßwachstum beschleunigen und Immunangriffe unterdrücken, haben wir eine ideale Nische für das Gedeihen transplantierter Zellen geschaffen.“ Damit konnten die Chinesen einen kompletten Neuansatz zur Behandlung der Typ-1-Diabetes ins Spiel bringen.
Der Clou zur Umgestaltung der Milz war der Einsatz modernster Nano-Technologie. Dafür hatte das Forscherteam biologisch abbaubare Silizium-Nanopartikel entwickelt, die zusätzlich mit einer zuckerartigen Beschichtung aus Konjak-Glucomannan, einer natürlichen Verbindung aus der Wurzel der Konjak-Pflanze, überzogen wurden. Diese winzigen Partikel wurden für die Studie diabetischen Nagetieren und Javaneraffen, bei denen die Ausbildung der Zuckerkrankheit durch die Verabreichung von Streptozotocin ausgelöst wurde, direkt in die Milz injiziert, wo sie im Laufe mehrerer Wochen die molekulare Struktur des Milzgewebes und die lokale Immunität grundlegend veränderten. Sie interagierten perfekt mit Immunzellen und Bindegewebszellen, dämpften lokal das Immunsystem und förderten das Wachstum von Bindegewebe. Die Milz wurde deutlich stärker vaskularisiert, sprich, es kam zur Neubildung kleiner Blutgefäße, und sie wurde immunologisch tolerant, wodurch sie zu einem maßgeschneiderten Ort für das Gedeihen und Überleben von Inselzellen-Transplantaten vorbereitet wurde. Den Nagetieren wurden über zwei Wochen vier Partikel-Injektionen zugeführt, wobei die Wissenschaftler die Milz der Tiere zuvor für einen leichteren Zugang und eine bessere Beobachtung operativ außerhalb der Bauchhöhle verlagert hatten. Bei den Javaneraffen, der bei Tierversuchen gängigsten Affenart, war die vier Wochen dauernde Prozedur deutlich komplexer, weil die Injektionen unter Ultraschallkontrolle in die oberen, mittleren und unteren Milzbereiche eingebracht werden mussten.
Im nächsten Schritt transplantierte das Team aus der Bauchspeicheldrüse von gesunden Mäusen und Ratten mittels sogenannter Kollagenaseverdauung und Dichtegradientenreinigung (den üblichen Standardtechniken) gewonnene Inselzellen in die umgestalteten Milzen der diabetischen Nagetiere. Das Ergebnis war verblüffend positiv. Die Inselzellentransplantate überlebten mindestens 90 Tage lang und konnten ihre Struktur sowie Funktion ohne Anzeichen einer Immunabstoßung beibehalten. Bei Kontrolltieren, deren Milz nicht zuvor mit den Nano-Partikeln umgestaltet worden war, waren die Inselzellen-Transplantate schon nach einer Woche zerstört. Bei den anderen Tieren wuchsen bereits nach wenigen Tagen Blutgefäße in die Transplantate ein. Nach zwei Wochen waren die transplantierten Inselzellen in ein dichtes Kapillarnetz eingebettet, das eine reichhaltige Sauerstoff- und Nährstoffversorgung sichergestellt hatte. Den diabetischen Makaken wurden, unterstützt durch eine Immunsuppression, menschliche Inselzellen in die Milz injiziert. Ihr glykämischer Status wurde durch fortlaufende Blutzuckermessungen, Insulin- und C-Peptid-Bestimmungen sowie Glukosetoleranztests aufmerksam überwacht. Auch hier war das Ergebnis rundum zufriedenstellend, denn die transplantierten Inselzellen überlebten mindestens 28 Tage, blieben während dieser Zeit auch funktionell aktiv und konnten selbst nach einer Reduktion der Immunsuppression eine deutliche Revaskularisierung und Insulin-Sekretion beibehalten.
Zytokin-Produktion rückläufig
Eine detaillierte Analyse zeigte eine geradezu dramatische Veränderung der lokalen Milz-Immunumgebung auf. Bei den diabetischen Nagetieren hatten die injizierten Nanopartikel die Milz zur vermehrten Bildung von regulatorischen T-Zellen, sprich Immunwächtern, die Autoimmunität verhindern, und M2-Makrophagen, einem Immunzelltyp, der für Gewebereparatur und -toleranz bekannt ist, angeregt. Gleichzeitig wurden Effektor-T-Zellen, die für aggressive Immunangriffe verantwortlich zeichnen, unterdrückt. Auch die Produktion entzündlicher Zytokine war rückläufig. Kurzgefasst hatte sich das Immunsystem nicht etwa für einen Großangriff auf die Inselzellen-Transplantate gerüstet, sondern sich stattdessen sogar zurückgezogen. Selbst bei den diabetischen Makaken, bei denen die menschlichen Inselzellen-Transplantate eine veritable Artüberkreuzung darstellten, reagierte das Immunsystem vergleichsweise moderat. Es konnte sogar ein deutlicher Anstieg entzündungshemmender Gene und eine Abschwächung der T-Zell-Aktivierung konstatiert werden. Überprüfende In-vitro-Tests ergaben, dass die Nanopartikel die T-Zell-Proliferation dämpften und Makrophagen in ihren heilenden Modus versetzten.
Sowohl bei den Nagetieren als auch bei den Primaten überlebten die transplantierten Inselzellen nicht nur, sondern konnten sogar in ihrem umgestalteten Milz-Milieu bestens gedeihen. Die Inselzellen-Transplantate konnten bei den diabetischen Tieren den Blutzuckerspiegel normalisieren und die Insulin-Produktion aufrechterhalten, ohne dass es dabei zu einem großen Immunangriff gekommen wäre. Die Milz könnte daher künftig zum medizinischen Hoffnungsträger im Kampf gegen Typ-1-Diabetes werden. Bei den diabetischen Nagetieren konnte die Blutzuckerkontrolle jedenfalls schnell wiederhergestellt werden. Der Glukosespiegel normalisierte sich innerhalb weniger Tage und blieb drei Monate lang konstant stabil. Glukosetoleranztests und Insulinuntersuchungen erbrachten Werte, wie sie gesunde Nagetiere aufweisen.
Bei den Makaken konnten die menschlichen Inselzellen-Transplantate die Insulin- und C-Peptid-Freisetzung fast einen Monat lang aufrechterhalten, ein kaum für möglich gehaltenes Resultat unter reduzierter Immunsuppression. Nach einer zur Kontrolle erfolgten Milzentfernung (Splenektomie) verschlechterten sich die Werte geradezu abrupt, ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Inselzellen-Transplantate für die bis dahin herausragenden Ergebnisse verantwortlich gewesen waren.
So könnte die Inselzellen-Transplantation auf Basis der remodellierten Milz am Ende eine echte Alternative zum leber-basierten Verfahren sein. Zudem eröffnet die Idee der Organ-Umprogrammierung nicht nur spannende Erfolgschancen im Kampf gegen Diabetes, sondern womöglich zur Behebung anderer Krankheiten, bei denen Zelltransplantationen hilfreich sein könnten, beispielsweise Hämophilie oder gar Herzleiden. Von daher könnte die Milz mit ihrer Doppelfunktion bei der Blutfilterung und Immunbildung eine anpassungsfähige Plattform für die künftige regenerative Medizin werden. Zwar sind laut den chinesischen Forschern vor einer klinischen Routineumsetzung noch längerfristige Studien und Tests am Menschen nötig, doch die bisher gewonnenen Ergebnisse sind mehr als vielversprechend. Als nächstes Ziel haben sich die chinesischen Wissenschaftler die Züchtung patientenspezifischer Organe aus sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) vorgenommen. „Mit minimalinvasiver B-Ultraschall-geführter Verabreichung könnten wir eines Tages maßgeschneiderte Organe nach Bedarf züchten“, sagt Prof. Lei Dong.