Der ehemalige Bahn-Regionalmanager Robert Struger setzt sich seit über 30 Jahren für den Erhalt einer historischen Bahnstrecke im österreichischen Linz ein.

Das Bundesland Oberösterreich unserer südlichen Nachbarn liegt oft im Windschatten des öffentlichen Interesses. Die Heimat Anton Bruckners und Adalbert Stifters punktet als Österreichs Bierproduzent Nummer eins und mit landwirtschaftlichen Produkten wie dem „g’schmackigen“ Leinöl oder dem Karreespeck aus dem Mühlviertel. Dieser wald- und wasserreiche Landstrich hinauf zum Böhmerwald an der tschechischen Grenze ist durch eine historische Eisenbahnlinie mit der Landeshauptstadt Linz verbunden. Sie bringt Ausflügler entspannt und umweltschonend in die nordwestlich gelegene Region sowie Pendler aus dem Oberen Mühlviertel nach Linz und zurück. Die rund 58 Kilometer lange Strecke hat auch noch einen Saurüssel – und das seit 1888. Um mehr zu erfahren, habe ich mich am Linzer Bahnhof Urfahr mit „Mr. Mühlkreisbahn“ verabredet. So wird Robert Struger gern in der örtlichen Presse genannt. Der 72-jährige Diplom-Bauingenieur amüsiert sich ein bisschen darüber, als ich ihn am Bahnsteig so anspreche. Der vormalige Bahn-Regionalmanager für Oberösterreich setzt sich seit über 30 Jahren für den Erhalt dieser Nebenstrecke der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ein.
Der Vorrang Straße vor Schiene war auch in Österreich jahrzehntelang ein Thema. Die Diesellok tutet nun zur Abfahrt und los geht es. „Wir fahren jetzt bis nach Ottensheim entlang der Donau. Das heißt, es ist ziemlich eben und ab Rottenegg steigt die Bahn dann an. Sogar sehr stark, 46 Promille, das ist eine der stärksten Adhäsionssteigungen im Normalspurnetz der Österreichischen Bundesbahnen.“ Bis in die 1960er-Jahre ist die Bahn mit einer Dampflokomotive in den Böhmerwald hinaufgefahren. Dann erst wurde auf Dieseltraktion umgestellt. Bis in die 1980er-Jahre lagen die Gleise teilweise direkt auf der Straße, so wie es im 19. Jahrhundert die sparsamen k. u. k. Beamten aus Kostengründen angelegt hatten. Wer, wie, was, wo ist denn nun aber der Saurüssel oder die Saurüsselbahn? „Die Bahnlinie heißt Mühlkreisbahn. Einige nennen sie wohl scherzhaft auch Saurüsselbahn. Der Saurüssel ist aber nur ein steiles Teilstück, das gleich nach der Donaustrecke beginnt, ein ansteigendes Tal. Warum es den Namen Saurüssel hat, weiß man nicht genau“, sagt Struger und lacht.
Am 17. Oktober 1888, nach nur anderthalb Jahren Bauzeit, wurde die Linie feierlich eröffnet. Fast 20 Jahre hatten sich einflussreiche Wirtschaftsleute des Mühlviertels zuvor bemüht, eine Bahn in die Region mit ihren überaus schlechten Straßen bauen zu lassen. Mitte 1887 ging es dann los mit dem gleichzeitigen Bau der eingleisigen Strecke und den noch heute erhaltenen neun Bahnhöfen – die meisten davon damals mit Bahnwärter-Wohnung, Bahn-Meistereien und Nebengebäuden für den Warenumschlag. Denn die Bahn wurde in erster Linie als Transportbahn erbaut, für die Handelswaren Holz, landwirtschaftliche Produkte und Waren der Textilindustrie aus Haslach, so berichtet Struger aus dem Nähkästchen der Mühlkreisbahngeschichte.
„Bahn muss sympathisch erscheinen“

Es rüttelt und schüttelt uns gerade in unserem Bahnabteil und es quietscht geradezu ohrenbetäubend. Robert Struger erklärt sofort, ganz korrekter Bahnfachmann: „Was hier so quietscht, ist der Spurkranz der Räder, der an den Schienen reibt, weil die Kurven so eng sind auf dieser Bahn. Die Kurvenradien betragen nur 110 Meter hier in den engen Flusstälern, für normalspurige Bahnen ein sehr kurzer Radius.“ Und so quietschen sie denn, die Waggons vom älteren Typ 5047, wie die offizielle Reihenbezeichnung lautet. Die kürzeste Fahrtzeit beträgt rund anderthalb Stunden rauf nach Aigen-Schlägl in 564 Metern Höhe. Nach dem Überwinden des „Saurüssels“ und des Pesenbachtals wird der erste Hochpunkt der Strecke mit 556 Metern beim Bahnhof Neuhaus erreicht. Danach fällt sie ab bis ins Tal der Großen Mühl, das im Bahnhof Neufelden erreicht wird. Laut tutend fährt dort der Zug am steilen Waldabhang oberhalb des Mühlstauwerks entlang. „Hier beginnt eigentlich der schönste Teil der Strecke im Mühltal. In einem unverdorbenen, landschaftlich wunderschönen Tal, wo neben der Bahn kein Verkehrsweg durchführt, wo man auf einen ursprünglichen Fluss schauen kann, der übrigens beste Wasserqualität hat und zu jeder Jahreszeit anders aussieht, das ist der Abschnitt hier von Neufelden nach Haslach“, meint der in Linz geborene Bahnspezialist. „Also für mich ist Bahn nicht nur Verkehrsmittel, sondern auch Erlebnis. Es hat etwas Beruhigendes, diese vorbeigleitende Landschaft. Genau dieses gilt es, in die Köpfe und in die Herzen der Menschen zu bringen. Bahn muss sympathisch erscheinen. Man soll gern mit der Bahn fahren.“ Da ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten, weiß Struger. Auch heute noch holen die Gemeinden den Verkehrsexperten bei ihren Planungen gern dazu. Gerade starten sie gemeinsam ein sogenanntes „Leader-“, also durch die EU gefördertes Projekt für die Mühlkreisbahn, wobei es um die Vernetzung von Bahn und Tourismus und das Problem der „Last Mile“, also des Anschlusses bis zum Wohnhaus, geht. Vorbild für den Bahnfachmann sind die Schweizer mit ihren alpinen Bahnstrecken und der entsprechenden touristischen Vermarktung.
An vielen der neun Bahnstationen im Mühlviertel kann man, wie hier in Neufelden, gleich zu Fuß oder mit dem Rad in die Natur starten – oder Spitzengastronomie im 1689 erbauten Mühltal-Gasthof genießen. „Ich bin kein Bahn-Nostalgiker, sondern ich sehe hier ein großes touristisches Potenzial, gerade für den Tagestourismus von Linz aus. Die grenzüberschreitende Region nach Tschechien mit dem Nationalpark Sumava, wie der Böhmerwald dort heißt, wird immer wichtiger.“ Auf dem Weg nach Haslach dürfen wir dem Lokführer Alfred ein wenig über die Schulter schauen in seinem Führerstand. Zu meiner Begeisterung wird fleißig getutet. „Wichtig auf dieser Linie ist das Signalgeben“, erklärt Alfred freundlich. „Also nicht Hupen oder Tuten, sondern Pfeifen.“ So also heißt das bahntechnisch korrekt. Wird nun an jeder engen Kurve gepfiffen? „Ganz so schlimm ist das nicht. Nur an den Übergängen, also zum Beispiel über die Straßen. Dort stehen die Pfeiftafeln oder eben die Gruppenpfeiftafeln, bei mehreren unbewachten Übergängen. Sehen Sie da? Was so aussieht wie ein Streichholz mit der roten Farbe oben, das ist dann das Pfeifende“, sagt der Lokführer und lässt noch mal ein besonders schönes – bitteschön – Pfeifen ertönen.
Einst mussten Passagiere nebenher laufen

In Haslach verlassen wir den Zug, wenden uns aber nicht dem bekannten Textil-Museumszentrum in einer ehemaligen Leinenfabrik zu, wo Handtücher gewebt wurden (und werden), die vielleicht schon der Komponist Bruckner zum Händeabtrocknen benutzte. Wer Bahn fährt, soll auch wandern, ganz im Sinne des sanften Tourismus, und dann auch gut speisen. Und so machen wir uns auf den Weg, vorbei an der historischen Haslacher Ölmühle, wo seit bald 650 Jahren das „g’schmackige“ Leinöl gepresst wird, entlang der Steinernen Mühl bis nach Helfenberg, wo uns Peter Haudum in seinem Familiengasthof erwartet, zu traditionellem Leberschädelbraten und Leinöl-Erdäpfel-Salat.
Der Schweinespezialist, eine gewichtige Persönlichkeit mit eigener Speckwerkstatt, hat seine ganz eigene Interpretation zur Saurüsselstrecke der Mühlkreisbahn. „Der Name kommt vom Sauwald. Wannst’ im Mühlviertel stehst und schaust drüber, dann ist der Sauwald der Berg nach’m Böhmerwald rauf und die Bahnstrecke hat sich da entlang gezogen, das war dann der Saurüssel und so ist der Name entstanden.“ Nun, um den Ursprung des Namens rankt sich sicher noch manches hübsche Histörchen. Und so fährt sie, die Mühlkreisbahn, seit 1888 die lange Steigung des Saurüssels hinauf, wo die Passagiere einst in schneereichen Wintern aussteigen und nebenher laufen mussten bis zum Scheitelpunkt, hinauf zum Böhmerwald.
Mr. Mühlkreisbahn, nach seiner Pensionierung ehrenamtlich tätiger Verkehrsfachmann, ist einer, der sich engagiert – „die MKB ist mir eine Herzensangelegenheit“. „Da ich überzeugt bin, dass die Zukunft der Mobilität im Wesentlichen einer Stärkung des ÖV bedarf, engagiere ich mich auch dafür. Nur wenn ich mich aktiv betätige, kann ich etwas bewegen. Es gibt genügend Menschen, die nur kritisieren, aber nichts beitragen.“