Christian Lindner will den Deutschen die Aktie wieder schmackhaft machen. Das Altersvorsorgedepot soll mit staatlicher Unterstützung das ungeliebte Riestern ablösen. Verbraucherschützer mahnen vor allem mehr Transparenz und bessere Informationen als bei Riesterverträgen an.
Die Rente sicher zu machen ist eines der zentralen Anliegen der Ampelregierung. Wie diese gestaltet werden soll, ist in der Koalition verabredet. Zunächst treibt Finanzminister Christian Lindner (FDP) seine Pläne zur Stärkung der privaten Altersvorsorge voran. Sein Ministerium legte einen Entwurf zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge vor, deren Kern ein neues Depot ist. Es solle attraktiver werden, privat für das Alter vorzusorgen, geförderte private Altersvorsorgeprodukte sollten „chancenreicher, flexibler und transparenter“ ausgestaltet werden. Angesichts des demografischen Wandels sei es überfällig, die Altersvorsorge auf eine breitere Grundlage zu stellen. Zum Ende des Jahres 2022 existierten rund 15,9 Millionen der ungeliebten und teils unattraktiven Riester-Verträge in Deutschland, deren Zahl sei aber rückläufig, viele werden nicht mehr bespart.
Mithin setzt die Bundesregierung weiter auf die private Vorsorge, doch in einer anderen Form. Ein sogenanntes Altersvorsorgedepot soll laut Ministerium künftig eine neue Vorsorgemöglichkeit mit mehr Ertragschancen geben. Die Depots solle es wahlweise ohne Garantie, mit 80 und 100 Prozent für sicherheitsorientierte Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Danach werden sich voraussichtlich die jeweiligen Renditen bemessen. Das Depot ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Generationenkapital, einem aktienmarktgestützten und mit staatlichen Milliarden ausgestatteten Werkzeug zur Stabilisierung des Rentenniveaus.
Depots mit und ohne Garantien
Wie soll nun jenes neue private Vorsorgedepot aussehen? Das Geld, das auf das Vertragskonto eingezahlt werde, werde vom Anbieter angelegt – einzelne Aktien, Fonds oder ETFs, je nach Wunsch – und vom Staat gefördert. Ausgeschlossen sind besonders riskante Anlageformen wie Derivate oder Krypto-Investments. Die bisher starre Grundzulage in Höhe von 175 Euro soll abgeschafft werden. Stattdessen ist für jeden eingezahlten Euro 20 Cent Grundzulage geplant, bis zu einem Maximalbetrag von 3.000 Euro – dieser soll ab 2030 auf bis zu 3.500 Euro steigen. Für jedes Kind soll außerdem jeder gesparte Euro mit 25 Cent staatlich gefördert werden, so das Ministerium. Die bisher starre Kinderzulage in Höhe von 300 Euro bei Zahlung eines Mindesteigenbeitrages werde ebenfalls abgeschafft. Die Förderung von Menschen mit Kindern könnte künftig bis zu 300 Euro pro Kind bei einem Eigenbetrag von 1.200 Euro betragen. Für jedes Kind soll sich die Zulage um weitere 25 Cent pro gespartem Euro erhöhen. Maximal sollen 300 Euro pro Kind gezahlt werden. Die Förderung solle man ab einer Einzahlung von 120 Euro pro Jahr erhalten, also 10 Euro pro Monat.
Auch für Menschen mit geringem Einkommen und für junge Menschen soll das Depot attraktiv sein, indem für sie eine Bonuszulage oder ein Berufseinsteigerbonus ausgezahlt werden. Wer mit einem Einkommen bis zu 26.250 Euro vorsorgt, soll als Unterstützung zusätzlich eine jährliche Bonuszulage von 175 Euro bekommen. Berufseinsteiger, die zu Beginn des Beitragsjahres das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sollen zusätzlich bis zu drei Jahre den Einsteigerbonus in Höhe von 200 Euro erhalten. Die Beiträge, Grund- und Kinderzulagen sollen als Sonderausgabenabzug bei der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden können. Letztlich soll es auch eine Möglichkeit für Selbstständige geben, sich dieser neuen Förderung anzuschließen, auch wenn sie keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht besitzen. Gelten soll das Paket dann ab 1. Januar 2026.
Für den Finanzminister ist das Paket wichtig auch für den Umgang der Deutschen mit Wertpapieren. „Länder wie Schweden sind uns mit der Aktienrente 25 Jahre voraus“, twitterte Lindner. Es sei Zeit, dass auch Deutschland den nächsten Schritt gehe: „hin zu mehr Wahlfreiheit und mehr Chancenorientierung. Zeit für eine neue Kapitalmarktkultur“. Beim Vergleich mit Schweden jedoch muss klargestellt sein, dass dort auch Renten sinken können, wenn sich der Kapitalmarkt, an dem ein Teil der schwedischen Altersvorsorge angelegt ist, schlecht entwickelt. Die Regierung versuchte dann jeweils steuerfinanziert die Ausfälle auszugleichen.
Dennoch soll die private Vorsorge mithilfe des Aktiendepots verbreitert werden, entscheidend jedoch: ohne Garantien. Das bedeutet, dass unvermeidliche Fluktuationen am Aktienmarkt auch die dort angelegte Vorsorge beeinflussen können, wie auch in vergangenen Jahren in Schweden geschehen. Die Deutschen zu überzeugen auf dem Aktienmarkt fürs Alter vorzusorgen könnte Lindner also einiges an Überzeugungsarbeit abverlangen. Seit der Dotcom-Blase der 2000er, der kaum erfolgreichen „Volksaktie“ der Telekom, spätestens aber seit dem Bankencrash 2008 gilt der Aktienmarkt in Deutschland bis heute als verpönt. Sicherheit geht vor Rendite. Nach einer Umfrage des Verbandes privater Bausparkassen aus dem vergangenen Jahr ist das meist unverzinste Girokonto noch immer die Verwahrstelle Nummer eins fürs Geld, gefolgt vom Sparbuch, Tagesgeldkonto, Renten- oder Kapitallebensversicherungen und Immobilien. Eine Befragung der Norisbank Ende 2023 kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: Aktien, ETFs und Fonds gelten hier als bevorzugte Anlageform von immerhin 21 Prozent der 1000 repräsentativ Befragten ab 18 Jahren.
Deutsche Skepsis beim Thema Aktienmarkt
In einem ersten Statement fordert der Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV), der sich bereits zuvor kritisch zur Riester-Rente geäußert hatte, einen deutlicheren Systemwechsel bei der privaten Altersvorsorge. Nach Lindners Plänen soll sich auch bei bestehenden Riesterverträgen einiges ändern, zugunsten der Versicherten. „Das Problem sind die viel zu hohen Kosten bei den derzeitigen Verträgen: Hohe Kosten verhindern gute Renditen und damit gute Renten“, sagt Dorothea Mohn vom Team Finanzmarkt des VZBV. „Der Gesetzentwurf gibt keine Antwort darauf, wie das Sparen fürs Alter künftig kostengünstig gelingt. Positiv ist, dass Verbraucher neben einer lebenslangen Rente künftig ihr Riestergeld auch einfach monatlich auszahlen lassen können.“ Bislang galt, dass sich der Versicherte zwischen einer teilweisen Kapitalauszahlung und einer lebenslangen Rente des gesamten angesparten Kapitals entscheiden konnte. Letzteres soll es weiter geben, zusätzlich aber kann man laut den Plänen einen Auszahlungsplan wählen, der bis zum 85. Lebensjahr läuft – ohne eine Restverrentungspflicht.
Der Bund der Versicherten bleibt skeptisch: „Viele Bürgerinnen und Bürger sind weiterhin verloren bei der Frage, welches Altersvorsorgeprodukt und welche Form des Ansparens sie wählen sollen“, sagt BdV-Vorstand Stephen Rehmke. Es gebe gute Ansätze in Lindners Reformplänen: eine Vereinfachungen durch beitragsorientierte Zulagen und mehr Wahlfreiheit mit der Förderung eines selbstorganisierten Altersvorsorgedepots sowie die Abkehr von Garantien und der Verrentungspflicht. Auf eine öffentlich-rechtlich organisierte Lösung, etwa durch einen breit angelegten Fonds als Standard, habe man indes vorerst verzichtet. „Damit werden hauptsächlich diejenigen profitieren, die gut informiert sind und die Herausforderungen finanzieller Eigenvorsorge selbständig meistern können. Ein öffentlich organisiertes Standardprodukt hätte auch denen geholfen, für die Geldfragen und Altersvorsorge eine echte Hürde darstellten.“
Die Verbraucherschützer warnen auch bereits vor windigen, überteuerten Angeboten, die vor allem jene vor Probleme stellen, die weniger gut informiert sind. Die deutschen Versicherer sehen klar positive Signale, fordern jedoch ihrerseits den Fokus auf einige Zielgruppen. „Es ist gut, dass die Förderung einfacher werden soll. Das senkt die Zugangsschwellen”, so Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Versicherer (GDV). „Gleichzeitig ist es wichtig darauf zu achten, dass auch weiterhin Geringverdiener, Alleinerziehende und Familien mit Kindern besonders von der Förderung profitieren. Diese Zielgruppen sollten der Kern der geförderten privaten Altersvorsorge sein.“