In einfachen Verhältnissen wurde Erich Kästner vor 125 Jahren in Dresden geboren. Zum Jubiläum wird der Schriftsteller mit Ausstellungen, Lesungen, Theaterabenden und Aktionen rund um seine bekanntesten Werke gefeiert.
Beine baumelnd sitzt der Junge auf der Mauer, die das Grundstück mit der prachtvollen Villa am Dresdner Albertplatz 1 umgibt. Viele Jahre später, als aus dem kleinen Jungen längst der berühmte Schriftsteller Erich Kästner geworden ist, wird er darüber sagen: „Am liebsten hockte ich auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatz zu. Der Albertplatz war die Bühne. Ich saß zwischen Jasmin und Bäumen, in der Loge, und konnte mich nicht sattsehen.“
Die Villa gehört seinem Onkel Franz, einem Geschäftsmann, der es mit dem Handel von Pferden vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft hat.
Kästner selbst wird nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Seine Eltern, der Sattlermeister Emil Kästner und Franz’ Schwester Ida Augustin müssen sich strecken, um ihrem einzigen Sohn ein gutes Leben zu bieten. Erich wird am 23. Februar 1899 in einer kleinen Mansardenwohnung in der Königsbrücker Straße 66 geboren, nur wenige Gehminuten vom mondänen Albertplatz entfernt. Es war „eine Mietskaserne wie tausend andre auch“, beschreibt Kästner das Haus. Wie sich die Eltern auch abmühen, der Vater als Sattler in einer Kofferfabrik, die Mutter als Heimarbeiterin, das Geld immer knapp. Doch dem Jungen soll es einmal besser gehen. Wie eine Löwin kämpft Ida Kästner für ihren Sohn, den sie mehr als alles andere liebt und für den sie alles tut. Noch mit über 30 Jahren macht sie eine Ausbildung zur Friseurin und kann sich schon bald einen großen Kundenstamm aufbauen.
„Ich las, als wär ich sonst erstickt“
Erich, der 1905 eingeschult wird, ist ein Musterschüler. Obwohl er die Methoden in den „Kinderkasernen“, wie er die Schulen nennt, zutiefst hasst, resümiert er als Erwachsener: „Ich ging sehr gern zur Schule und habe in meiner gesamten Schulzeit keinen Tag gefehlt“. Bücher werden zu seiner Leidenschaft, erschließen dem Kind die Welt. „Ich las und las und las. Ich las, als wär es Atemholen. Als wär ich sonst erstickt.“
Während das Verhältnis zu seinem Vater eher nüchtern ist, passt zwischen die Mutter und Erich kein Blatt. Gemeinsam besuchen beide oft die Theater der Stadt. „Stundenlang warteten wir auf der Straße, um, wenn die Kasse geöffnet wurde, die billigsten Plätze zu ergattern. Meine Liebe zum Theater war die Liebe auf den ersten Blick, und sie wird meine Liebe bis zum letzten Blick bleiben“, schreibt er. Wie es auch die Liebe zu seiner schwermütigen Mutter ist, eine Liebe, die den Jungen oftmals fast zum Verzweifeln bringt. „Leb wohl, mein lieber Junge!“, liest er auf den hastig gekritzelten Zetteln, die Erich nicht selten auf dem Küchentisch findet, wenn er aus der Schule kommt. „Dann jagte ich, von wilder Angst gehetzt und gepeitscht, laut weinend und fast blind vor Tränen, durch die Straßen, elbwärts und den steinernen Brücken entgegen. Ich fand sie fast jedes Mal. Und fast jedes Mal auf einer der Brücken. Dort stand sie bewegungslos, blickte auf den Strom hinunter und sah aus wie eine Wachsfigur.“
Die Zeit vergeht, Erich kann aufgrund seiner glänzenden schulischen Leistungen ab 1913 ein Vorbereitungsjahr am Lehrerseminar belegen. Dort merkt er allerdings schnell, dass er fürs Unterrichten, das einst sein sehnlichster Berufswunsch war, nicht besonders geeignet ist. Zu Hause gesteht er, dass er das Lehrerseminar verlassen, lieber das Abitur machen und studieren möchte. Daraus allerdings wird erst einmal nichts. Im Sommer 1917 wird Kästner eingezogen, wegen einer Verletzung und aufgrund einer Herzerkrankung, die er sich durch den Drill in der Kaserne zugezogen hatte, Anfang 1919 vom Militärdienst befreit. Endlich ist der Weg zum Abitur frei! Erich legt im Herbst des gleichen Jahres ein so glänzendes Abitur hin, dass er ein Goldenes Stipendium der Stadt Dresden bekommt, das ihm ein Studium ermöglicht. Er zieht nach Leipzig, studiert Germanistik, Geschichte, Philosophie, Zeitungskunde und Theaterwissenschaften. 1924 tritt er eine Stelle als Redakteur im Feuilleton der „Neuen Leipziger Zeitung“ an, wird drei Jahre später wegen eines angeblich pornografischen Gedichts entlassen und zieht nach Berlin.
Seine Berliner Jahre bis zum Ende der Weimarer Republik 1933 werden zu Kästners produktivster Zeit. Er schreibt für verschiedene Tageszeitungen, publiziert Gedichte, Glossen, Reportagen, verfasst Rezensionen und Filmkritiken und wird zu einem der bekanntesten Intellektuellen. Im Oktober 1929 erscheint mit „Emil und die Detektive“ sein erstes Kinderbuch. Es ist sein Durchbruch zum späteren Weltruhm: Allein in Deutschland wird das Buch millionenfach verkauft und bis heute in mehr als 60 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung 1931 wird ein Kassenschlager. Mit „Pünktchen und Anton“ (1931) und „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) folgen schnell zwei weitere bis heute erfolgreiche Kinderbücher, die, wie schon das erste, vieles aus Kästners eigener Kindheit erzählen.
Seine Heimat Dresden sah er 1946 wieder
Mit seinem 1931 veröffentlichten ersten stark autobiografischen Roman für Erwachsene „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“, zeigt er ein Gesellschaftsbild des Niedergangs der Weimarer Republik am „Vorabend“ der Machtergreifung Hitlers.
Im Gegensatz zu vielen seiner regimekritischen Kollegen emigriert Kästner nicht nach der Machtergreifung der Nazis. Nach den Gründen befragt, wird er später mit einem Epigramm sagen: „Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. Mich lässt die Heimat nicht fort. Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen – wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“ Er habe als Beobachter bleiben wollen, um später einen Roman über das Dritte Reich zu schreiben, den er aber nie schreibt. Und: Er wollte seine depressive Mutter nicht verlassen, sie hätte es nicht überlebt.
Am 10. Mai 1933 steht Erich Kästner als einziger seiner Kollegen unter den Zuschauern auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) und muss miterleben wie seine Bücher von den Nazis als „wider den deutschen Geist“ in die Flammen geworfen werden. Dank eines Freundes, dem emigrierten jüdischen Verleger Kurt Leo Maschler, werden seine Bücher von nun an im von Maschler gegründeten Atrium Verlag in der Schweiz verlegt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht er nach München, wo er bis 1948 das Feuilleton der „Neuen Zeitung“ leitet, später als freier Autor arbeitet, jedoch nie wieder an seine Erfolge anknüpfen kann.
Seine geliebte Heimatstadt Dresden sieht er erstmals 1946 wieder und schreibt erschüttert: „Jahrhunderte hatten ihre unvergleichliche Schönheit geschaffen. Ein paar Stunden genügten, um sie vom Erdboden fortzuhexen. Das geschah am 13. Februar 1945. Was übrig blieb, war eine Wüste.“
125 Jahre nach Kästners Geburt und 70 Jahre nach seinem Tod am 29. Juli 1974 in München, feiert Dresden den bekanntesten Schriftsteller der Stadt das ganze Jahr. Ein erster Flyer unter dem Motto „Alles Kästner“ listet allein bis Juni mehr als 50 Veranstaltungen auf. Beispielsweise in der Villa Augustin, die seit 2000 das Erich Kästner Haus für Literatur beherbergt, das weltweit einzige Kästner-Museum. Zahlreiche Theater und Kinos haben Erich Kästners Werke auf dem Spielplan, im Dresdner Kulturpalast sind zwei Ausstellungen zu sehen, wer will, kann sich eine kostenlose App herunterladen und auf Kästners Spuren durch Dresden auf Entdeckungsreise gehen. Unter dem Motto „Parole Emil“ jagen, wie schon seit vielen Jahren, Drittklässler einen Dieb in der Stadt, und wer möchte, kann mit der Straßenbahn „Lottchen“ durch Dresden reisen und dabei Kästner ganz nahe kommen.