Das Projekt Micromobility Grid Solutions, kurz „MiGriS“, setzt mit Mikromobilitätslösungen für leichte Elektrofahrzeuge (LEVs) und einem flexiblen Netzwerk schwer auf Wechselakkus. Die Männer hinter MiGriS, Martin Thomas Schlecht (TU Berlin) sowie Hans Constin, Ingenieur, Industriedesigner, Unternehmer und Erfinder seit 35 Jahren, stellten sich unseren Fragen.
Herr Constin, Herr Schlecht, was unterscheidet MiGriS, Micromobility Grid Solutions, vom Mobilitätsdienstleister Better Place, der mit seinen Batterietausch-Stationen für Pkw in Israel und anderen Ländern vor bald 20 Jahren schon sehr weit war?
Constin: Die in unserem Projekt verwendeten Wechselakkus sind mit neun bis zwölf Kilogramm leichter und besser handhabbar, da sie von Hand getauscht werden können. Die damit betriebenen Fahrzeuge sind Pedelecs und Leichtfahrzeuge der Klassen L1e bis L7e und damit abgegrenzt vom herkömmlichen Pkw.
Schlecht: LEVs, das sind Light Electric Vehicles, sollten nach unserer Auffassung in der Zukunft den Verkehr entlasten und die Lebensqualität steigern, ohne dabei auf individuelle Mobilität verzichten zu müssen.
Hat Sie Better Place inspiriert?
Constin: Nein, die Inspiration für MiGris ist auf die Entwicklung des Greenpack-Akkus aus dem Jahr 2006 zurückzuführen. Der Greenpack-Akku war bereits zu diesem Zeitpunkt als Tausch-Akku für LEV konzipiert. Seitdem haben sich sowohl die Akku-Technologie als auch das Portfolio von Fahrzeugen, die auf Wechsel-Akkus setzen, stark verbreitert.
Schlecht: Bei MiGris haben wir die drei gängigsten modularen Batterien getestet, zudem haben wir ein Fach für Akkus mit USB-C Anschluss integriert.
Kleine E-Fortbewegungsmittel feiern gerade einen Siegeszug in Indien, das damit seine Luftverschmutzung bekämpfen will.
Constin: Die erste Entwicklung von der Firma Constin zum Thema Leichtfahrzeug war das KickTrike, ebenfalls aus dem Jahr 2006. Damit war das Fahrzeug dem Trend leichter E-Fahrzeuge wie E-Tretrollern bereits zeitlich weit voraus. LEVs haben erstaunliches Potenzial, Luftverschmutzung sowie Verkehrsaufkommen zu reduzieren und dabei die Aufenthaltsqualität zu steigern.
Werden Sie nur die Tauschstationen oder auch die Fahrzeuge anbieten?
Schlecht: Unser Ziel ist, ein Netzwerk aus verschiedenen Anbietern und Entwicklern von Fahrzeugen, Batterien und Wechselstationen zu etablieren, die einen einheitlichen Akkustandard nutzen. Dadurch soll die Austauschbarkeit der Batterien gewährleistet werden.
Wie sollen Nutzer an Fahrzeuge mit solchen austauschbaren, standardisierten Akkus kommen? Sollen sie wie E-Roller bei Bedarf am Straßenrand zu mieten sein?
Constin: Es wird verschiedene Szenarien geben, wobei Sharing nur einen kleinen Teil ausmacht. Wichtiger ist das Battery-as-a-Service-System, bei dem die Batterie nur noch gemietet und nicht mehr erworben wird. Dadurch werden Fahrzeuge ohne Batterie kaufbar werden, was zu geringeren Preisen führt. Die Batterie wird stattdessen gemietet und von einem Serviceanbieter betreut.
Aktuell gibt es große Probleme, flächendeckend genügend Ladestationen für E-Fahrzeuge zu finden. Dürfte es nicht ungleich schwieriger werden, zur rechten Zeit die passenden Batterietausch-Stationen für Leichtbau-Fahrzeuge anzutreffen? Oder hilft da Künstliche Intelligenz?
Constin: Ein breites Netz kann helfen. Wenn nur jede zwanzigste Tankstelle in urbanen Gebieten eine Wechselstation hätte, wäre das Problem gelöst. KI kann in diesem Szenario eine wichtige Rolle spielen. Etwa bei der Routenplanung, die bereits den Akku-Wechsel mit einbezieht. Und die sogar dafür sorgt, dass Batterien dort, wo man sie braucht, tatsächlich verfügbar sind.
Haben die Nutzer in Ihrem Pilotprojekt immer zur rechten Zeit eine Batterietausch-Station gefunden, wenn Ihnen der Strom ausging?
Schlecht: Da die im Projekt verwendeten Szenarien einen täglichen Akku-Wechsel vorsahen, wurden die Pilotrouten immer so geplant, dass die Akku-Station Teil der Route war. Somit gab es keine Probleme beim Wechsel.
In welchem Umfang soll Ihre Lösung verkehrsbedingte Emissionen in den Städten reduzieren? Wie viel Luftverschmutzung lässt sich mithilfe von MiGriS vermeiden?
Constin: Da die Fahrzeuge vollelektrisch sind, entstehen keine Emissionen. Gleichzeitig ist die Nutzung von grün erzeugtem Strom aufgrund der geringeren Energiekapazitäten der Batterien und LEV-Fahrzeuge ungleich effizienter und leichter. Dadurch kann die künftige Leichtfahrzeug-Mobilität komplett emissionsfrei sein.
Hat Ihr Pilotprojekt ergeben, dass mithilfe Ihrer Lösung das Klima und das mentale Wohlbefinden eine Verschnaufpause anstelle eines Stress-Parcours in der Rush-Hour einlegen können?
Constin: Wir befinden uns aktuell noch in der Auswertung der im Projekt erhobenen Daten und können hierzu nach dem angepeilten Projektabschluss eine genauere Aussage treffen. Dadurch, dass die LEVs agiler sind, gehen wir davon aus, dass der Stress der Fahrzeugfahrenden reduziert wird.
Könnten Sie Ihr Urban-Mobility-Projekt ohne Förderung durch die EU umsetzen?
Schlecht: Nein, die Einstiegsinvestitionen übersteigen die Mittel der Projektpartner. Das heißt, wir hätten ohne Förderung nicht starten können.
Träumen Sie davon, dass MiGriS-Leichtfahrzeuge Kult werden? So wie Vespas im Italien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Kult waren?
Constin: Es ist nachgewiesen, dass Nostalgie und eine emotionale Bindung einen wesentlichen Anteil an Verkäufen von Fahrzeugen haben. Aus diesem Grund ist es auch unser Ziel, den Nutzer auf einer emotionalen Ebene abzuholen und so noch stärker für die Produkte zu begeistern.
Sehen Sie eine Chance, Ihre Batterietausch-Lösung in Deutschland auf Pkw auszuweiten? Die Automobilkonzerne müssen sich ja gerade neue Anreize einfallen lassen, um die Nutzer zur E-Mobilität zu bewegen.
Constin: Die im MiGris-Projekt eingesetzten Batterien eignen sich nicht für normale Pkw. Wechselstationen können im Allgemeinen einen positiven Einfluss haben, da die Ladezeiten erheblich verkürzt werden. Ein Beispiel für eine solche Umsetzung ist die Firma NIO. Allerdings ist der Wechsel einer Autobatterie ungleich aufwändiger, aufgrund des höheren Gewichts. Hier müsste eine passende Infrastruktur geschaffen werden.