Ein wichtiges Handball-Turnier gehört traditionsgemäß zum Start des Sportjahres: Diesmal ist es die WM, zu der die deutsche Mannschaft nach dem Ego-Boost in Paris mit großen Hoffnungen fährt.
Der 11. August 2024 hat seinen festen Platz in der langen Geschichte des deutschen Handballs. An diesem Tag gewannen die Männer bei den Olympischen Spielen in Paris Silber. Es war ihre erste Medaille bei einem wichtigen Turnier seit dem Erfolgsjahr 2016, als EM-Gold und olympische Bronze gewann. Zwar war das Finale gegen Dänemark mit einem deftigen 26:39 verloren gegangen. Doch zuvor hatte das DHB-Team mit Siegen unter anderem gegen Schweden, Europameister Frankreich und zweimal gegen Spanien für Aufsehen gesorgt. „Sie werden lernen müssen, dass diese Leistung nicht die Ausnahme, sondern der Tagesstandard ist. Damit müssen sie jetzt klarkommen“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason bei der Kader-Nominierung vorausschauend auf die WM. Die beginnt am 14. Januar und wird von Dänemark, Kroatien und Norwegen gemeinsam ausgerichtet.
108 Partien wird es beim größten Sportturnier der Welt geben, weil traditionsgemäß alle Plätze von eins bis 32 ausgespielt werden. Mehr als die Hälfte der Mannschaften kommt aus Europa. Unter diesen 18 ist Italien die Überraschung. Zum ersten Mal seit 1997 gelang den Azzurri wieder die Qualifikation. Absoluter WM-Neuling dagegen ist Guinea. Bei der WM vor zwei Jahren waren 97 Spieler aus der 1. und 2. Bundesliga in den teilnehmenden Mannschaften im Einsatz. Auch jetzt dürfte wieder ein großer Teil der Spieler aus den deutschen Ligen kommen.
In der Vorrunde entschied das Los über die Zusammensetzung der Gruppe. Das Team trifft auf die Mannschaften aus Polen, der Schweiz und Tschechien. Erster Gegner ist Polen. Beim „Wintermärchen“, dem deutschen WM-Titel 2007, waren unsere östlichen Nachbarn noch ein Finalgegner auf Augenhöhe. An diese großen Zeiten können die polnischen Handballer gegenwärtig nicht anknüpfen. Der dritte Platz bei der WM 2015 war ihr letzter Erfolg. 2023 sprang nur noch Rang 15 heraus. Auch beim anstehenden Event hat das Team von Trainer Marcin Lijewski wohl nur geringe Chancen auf eine vordere Platzierung. Zwei Tage später geht es an gleicher Stelle gegen die Schweiz. Beide Teams treffen innerhalb eines Jahres zum dritten Mal aufeinander. Sowohl bei der Heim-EM im vergangenen Januar (27:14) als auch im November beim Qualifikationsspiel für das nächste europäische Championat 2026 (35:26) triumphierte die DHB-Auswahl. Zum Vorrundenabschluss ist Tschechien der Gegner. Es wird das insgesamt 70. Länderspiel beider Teams gegeneinander sein. Die letzte Partie liegt allerdings schon fünf Jahre zurück. „Mein Ziel ist erst mal, das erste Spiel zu gewinnen“, postuliert Gislason in trainerüblicher Zurückhaltung, „so ist es besser als umgekehrt, das Finale gewinnen zu wollen und den Weg dorthin zu vergessen“. Viele Experten hierzulande jedoch sind überzeugt, dass die Silbermedaille von Paris beflügeln wird. „So ein Erfolg gibt Sicherheit und Vertrauen. Insofern ist die Medaille keine Bürde, sondern ein absoluter Gewinn für die Entwicklung der Mannschaft“, sagt Bob Hanning, Geschäftsführer von Bundesligist Füchse Berlin und Kenner der internationalen Szene. Auch Weltmeister Pascal „Pommes“ Hens glaubt, dass die Erfahrungen des olympischen Turniers wichtig waren. „Die Jungs werden mit Selbstvertrauen reingehen. Sie wissen aber auch, dass sie nicht jedes Mal eine Medaille mit nach Hause nehmen können.“
„Dänemark ist das Maß aller Dinge“
Die Favoriten bei diesem 29. WM-Turnier, das seit 1954 regelmäßig ausgetragen wird, sind andere. „Dänemark ist das Maß aller Dinge“, sagt Bob Hanning. „Dahinter gibt es einige Teams mit Ambitionen. Frankreich wird die olympische Enttäuschung wettmachen wollen, Norwegen und Kroatien spielen vor heimischer Kulisse, Spanien muss man immer auf der Rechnung haben“. Die beste Bilanz der jüngeren Vergangenheit weisen jedoch die Dänen auf. Dreimal in Folge (2019/21/23) waren die „Handball-Wikinger“ Weltmeister. Dazu kommt der Olympiasieg im vorigen Jahr. Deshalb kann Trainer Nikolaj Jacobsen auch selbstbewusst formulieren: „Wir fahren zu Turnieren, um zu gewinnen. Im Moment genießen wir die Tatsache, dass wir uns amtierender Weltmeister und Olympiasieger nennen können, und ich will, dass wir das auch nach der Weltmeisterschaft tun können“. Dafür haben sie beste Voraussetzungen. Zwölf Spieler im 19-Mann-Aufgebot sind in der Bundesliga aktiv, der stärksten Liga der Welt, und werden dort Woche für Woche hart gefordert. Für Lasse Andersson von den Füchsen Berlin fußt die ausgeprägte dänische Siegesmentalität auf dem heimischen Ausbildungssystem. „Die jungen Spieler dürfen viel ausprobieren, auch Fehler machen“, erklärt der zweifache Olympiasieger und Weltmeister im Gespräch mit FORUM. „Das hilft ihrer Entwicklung, und sie sind dadurch in ihrer Spielweise sehr flexibel.“ Selbstvertrauen zu haben heißt für die dänischen Spieler, die Favoritenrolle anzunehmen, aber nicht überheblich in die Partien zu gehen. „Nur wenn wir 100 Prozent bringen, können wir auch gewinnen“, sagt der 30-Jährige. Wenn Deutschland und Dänemark – dessen Gegner sind Algerien, Tunesien und Italien – ihre Vorrundengruppen gewinnen, kommt es bereits in der Hauptrunde am 21. Januar zum Wiedersehen der Olympiafinalisten. „Es ist immer schön gegen Deutschland zu spielen“, sagt Andersson abschließend, „hier gibt es eine ähnliche Handballkultur wie in Deutschland“. In den bisherigen neun Duellen im Rahmen einer WM behielt Deutschland fünfmal die Oberhand. Allerdings liegt der letzte Sieg 30 Jahre zurück.
Sieben Spieler nach 2000 geboren
Doch das DHB-Team um Kapitän Johannes Golla hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Abzulesen ist das an den Platzierungen beim jeweils wichtigsten Turnier des Jahres. War es bei der WM 2021 noch Platz zwölf, so kam die seit 2020 von Alfred Gislason trainierte Mannschaft zwei Jahre später schon auf Rang fünf. Dem folgten im vergangenen Jahr der vierte Platz bei der Heim-EM und das olympische Silber in Paris. Diese Verbesserungen erreichte der Bundestrainer mit einem stetig jüngeren Team. „Wir haben vor zweieinhalb Jahren die Mannschaft extrem stark umgebaut. Die letzten zwei Jahre haben sie Erfahrungen gesammelt. Das Team hat sehr viel Charakter gezeigt, und es ist super als Mannschaft zusammengewachsen.Normalerweise müsste dieses Team in den nächsten fünf, sechs Jahren immer besser werden.“, sagte Gislason im Dezember bei der Nominierung seines Kaders, in dem sieben Spieler erst in diesem Jahrtausend geboren wurden. Darunter Spielmacher Juri Knorr und 2,04-Meter-Mann Julian Köster, der nach seinem im September erlittenen Innenbandriss im Knie rechtzeitig wieder zur Verfügung steht. Zur großen Erleichterung des Bundestrainers. Der hält große Stücke auf den 24-Jährigen vom VfL Gummersbach, der auf der Königsposition im linken Rückraum spielt und vor drei Jahren noch als Zweitliga-Spieler in der DHB-Auswahl debütierte. Immer stärker ins Rampenlicht rücken auch Spieler aus dem U21-Weltmeisterteam. Vier von ihnen gehören zum Aufgebot. Torhüter David Späth von den Rhein Neckar Löwen, der auf ähnlich hohem Niveau wie Stammkeeper Andreas Wolff agiert, Nils Lichtlein von den Füchsen Berlin und die beiden Hannoveraner Justus Fischer und Renars Uscins. Der 22-Jährige Uscins war bei den Olympischen Spielen mit 52 Toren bester deutscher Werfer. Den größten Entwicklungssprung weist jedoch Marko Grgic auf. Der 21-Jährige spielte bis 2022 noch in der Dritten Liga, wechselte dann zu Bundesligist ThSV Eisenach. Im Mai des vergangenen Jahres debütierte er in der Nationalmannschaft. Seinen Aufstieg krönte er mit der olympischen Silbermedaille. „Er hat eine unglaubliche Dynamik und ein sehr hohes Spielverständnis“, sagt Bob Hanning. Pascal Hens ergänzt: „Er übernimmt im Eisenacher Team auch Verantwortung und hat nach Paris noch mal einen Entwicklungsschritt gemacht.“ Das deutsche WM-Team verkörpert eine gute Mischung aus jugendlichem Elan und internationaler Erfahrung. Es ist, wie der Bundestrainer formulierte, „ eine der talentiertesten Mannschaften auf der Welt“.