Jahresrückblick Saarland: Die saarländische Autozulieferindustrie erfährt eine schmerzhafte Rosskur – andere Mittelständler investieren Millionen im Land. Die Transformation und die schwache Nachfrage derzeit fordern dennoch einen hohen Tribut.
Es sind die Konsequenzen einer wirtschaftlichen Schwäche des ganzen Landes, die auf das Saarland zurückschlagen: Die Elektromobilität erfährt eine heftige Delle. Die Konsumnachfrage ist geringer. Konjunkturell belaste „die schlechte Auftragslage der Unternehmen und damit die fehlende Güternachfrage. Die Straffung der Geldpolitik zur Bekämpfung der hohen Inflation und der inflationsbedingte Kaufkraftverlust in Deutschland und in vielen deutschen Absatzmärkten haben dazu beigetragen“, schreibt etwa das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo. Deutschland leidet an den Nachwirkungen einer hohen Inflation und der Strukturwandel spaltet die Arbeits- und Unternehmenswelt in Gewinner und Verlierer. Gemessen an den wirtschaftlichen Rückschlägen gehörte das Saarland, wenn man jene Großereignisse aufsummiert, 2024 zu den Verlierern des Wandels.
In einem schwarzen Oktober kündigten innerhalb weniger Tage gleich zwei Unternehmen an, ihre Großprojekte zu verschieben oder ganz aufzugeben. Da wäre zunächst SVolt. Der Batteriehersteller spürt die Nachfrageschwäche des Elektromobilitätsmarktes deutlich und will sich 2025 aus Deutschland zurückziehen. Die Folgen: Der ehemalige Laminate-Park in Heusweiler, wo bereits Gebäude für Verpackung und Versand von Batterien gebaut worden waren, steht nun leer. Das Linslerfeld in Überherrn bleibt erst mal ein unbebautes Feld, die Bürgerinitiativen gegen die Fabrik dürfte dies freuen.
Auch Wolfspeed steckt zurück. Der US-amerikanische Hersteller von Siliziumkarbidchips verschiebt seine Pläne, in Ensdorf eine europäische Chipfabrik aufzubauen, auf unbestimmte Zeit. Grund: die Schwierigkeiten der Elektromobilität. Geplant war auch eine mögliche Kooperation mit dem Automobilzulieferer ZF. Dieser kämpft gleichermaßen mit dem Strukturwandel, will bis Ende 2025 1800 Arbeitsplätze in seinem Saarbrücker Werk abbauen.
Hiobsbotschaften gab es im Herbst auch am laufenden Band im Landkreis Homburg, wo sich viele Automobilzulieferer niedergelassen haben. So kündigte der deutsche Zulieferer Schaeffler an, in Deutschland 2800 Jobs abzubauen – noch ist unklar, wie viele genau in Homburg wegfallen, ein Werk wird jedoch schließen. In der Nachbarschaft, beim Reifenhersteller Michelin, das gleiche Bild. Dort müssen fast 900 Angestellte ihren Job aufgeben, die Lkw-Neureifen-Produktion entfällt komplett.
Thyssenkrupp Karrosseriebau in Wadern-Lockweiler baut Jobs ab, die Nachfrage ist gering. Die saarländischen Mitarbeiter von Bosch sind zwar vorerst sicher. Dort gilt eine Jobgarantie bis 2027. Aber: Die Elektromobilität kommt nicht in Schwung, die Nachfrage nach Brennstoffzellenfahrzeugen bleibt niedrig. Der Zulieferer Eberspächer verzeichnet Wachstum – bei seiner Tochter Purem, die Abgassysteme herstellt, unter anderem in einem Werk in Neunkirchen. Auch dort macht die Transformation nicht Halt, denn Purem soll künftig Teile für die Elektromobilität und Wasserstofftechnologie produzieren. Das Unternehmen Voit in St. Ingbert dagegen, das erst zu Beginn des Jahres unter das Dach des chinesischen Zulieferers Millison schlüpfte, muss Kurzarbeit anmelden. Es gibt nicht genügend Aufträge.
Die saarländischen Stahlkocher kennen das Thema mittlerweile auch zur Genüge. Zwar schreitet der Wandel hin zu Wasserstoff und Elektrolichtbogenöfen statt Kohle, Koks und Hochofen stetig voran, die Auftragslage aber lässt zu wünschen übrig. Und dann ist da noch Ford, das beherrschende Thema in den vergangenen beiden Jahren. Im kommenden Jahr endet dort die Produktion.
Millionenschwere Investitionen im Saarland
Bei all den düsteren Aussichten für die Zulieferindustrie – es gibt auch positive Meldungen. Sie zeigen, wenn auch oftmals weniger prominent in den Medien, dass die übrigen Branchen des saarländischen Mittelstandes durchaus im Land investieren. Einer der öffentlichkeitswirksamsten Lichtblicke: der Pharmariese Vetter, der einen Teil des Ford-Areals in Saarlouis übernehmen will, um dort seine Produktions- und später Laborkapazitäten zu erweitern. Bis es soweit ist, vergehen allerdings noch fünf bis sechs Jahre, so Vetter-Geschäftsführer Peter Sölkner im Interview. Hier stünden etwa 2000 Arbeitsplätze in Aussicht, mehr sind nicht ausgeschlossen.
In Theley investiert der Landmaschinenhersteller Fricke 160 Millionen Euro in einen Logistikhub, der Südwestdeutschland versorgen soll. Für den Betrieb stelle das Unternehmen nach der Fertigstellung des ersten Bauabschnittes 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, heißt es seitens des Unternehmens, später sollen es 600 sein. Und auch die Bedrohung deutscher und europäischer Sicherheit bietet Raum für neue Arbeitsplätze im Saarland: Der Rüstungskonzern Diehl Defence erweitert im Nordsaarland seine Fläche erheblich. Künftig soll dort das seit seinem Einsatz in der Ukraine vielgelobte Luftabwehrsystem Iris-T montiert werden. Die Belegschaft soll laut Diehl 2025 von 700 auf 800 Mitarbeiter erweitert werden. Ebenfalls im Verteidigungssektor aktiv ist KNDS Maintenance in Freisen. Das Rüstungsunternehmen könnte, sollte der Transportpanzer Patria das Nachfolgemodell des derzeitigen Fuchs-Panzers der Bundeswehr werden, den Zuschlag für die Fertigung und Wartung des Panzers erhalten. Dies könnte einen Aufwuchs von 300 zusätzlichen Mitarbeitern bedeuten, heißt es seitens KNDS.
Klar ist: Die starke saarländische Konzentration auf große Autozulieferbetriebe rächt sich gerade. Die Gründe dafür liegen jedoch, wie so oft, außerhalb des Landes: Das Mutterland des Ottomotors tut sich schwer mit dem Umstieg auf ein rein batterieelektrisches Fahrzeug, hinzu kommt die chinesische Technologie- und Exportübermacht. Zudem lahmt die deutsche Konjunktur insgesamt, die Wettbewerbsfähigkeit krankt etwa an zu viel Bürokratie oder hohen Strompreisen am kurzfristigen Spotmarkt. Das sind keine „Verdienste“ der Ampel oder einzelner Parteien, vielmehr Versäumnisse vergangener Regierungen, die auf erwartbare Verwerfungen unzureichend progressiv reagiert haben. Steuererleichterungen, Abbau bürokratischer Hemmnisse, Stromspeicher, demografische Vorsorgemaßnahmen, staatliche Investitionen und ein überzeugendes Fachkräftekonzept jedoch könnten politisch, auf Bundes- wie auf Landesebene, künftig für eine verlässlichere und zukunftssichere Wirtschaft sorgen. Der Transformationsfonds im Saarland ist dabei ein Schritt. Weitere müssen folgen.