Nach dem spektakulären 4:3-Erfolg gegen den SC Verl hat FCS-Trainer Rüdiger Ziehl vor dem Auswärtsspiel in Ingolstadt schwierige Personalentscheidungen zu treffen.
Wenn ein Spieler einen rabenschwarzen Tag erwischt hat, dann verzieht er sich für gewöhnlich nach Schlusspfiff mit gesenktem Kopf in die Kabine. Nicht so Richard Neudecker. Per Handschlag begrüßte er nach dem 4:3-Erfolg des 1. FC Saarbrücken jeden Medienvertreter in der Mixed-Zone, holte einmal tief Luft und legte los: „Ich muss mich entschuldigen. Beim Team, bei den Fans. Es hat an mir gelegen, dass wir nach der frühen Führung so aus dem Konzept gekommen sind. Ich weiß nicht was los war, aber ich habe ganz schlecht gespielt“, sagte der 26-Jährige, der von Trainer Rüdiger Ziehl zur Pause regelrecht erlöst wurde.
Begleitet von einem wütenden Pfeifkonzert schlichen Neudecker und seine Mitspieler mit 1:2 in die Kabine. Es war eine der schlechtesten Leistungen des FCS seit dem Aufstieg 2020. Dabei lief zunächst alles nach Plan. Kasim Rabihic traf bereits nach vier Minuten vom Elfmeterpunkt, Tim Civeja hätte drei Minuten später freistehend das zweite Tor machen müssen. 15,20 Minuten wirkten die Gäste aus Ostwestfalen wie ein willkommener Sparringspartner für den nach Selbstvertrauen und Sicherheit suchenden FCS. „Es ist kaum zu erklären, mit der ersten Trinkpause war alles weg. Wir haben die Bälle hergeschenkt, sind weniger gelaufen, haben den Gegner eingeladen“, sagte Julian Günther-Schmidt. Neudeckers doppelter Ballverlust führte zunächst zum Ausgleich durch Torge Paetow nach 34 Minuten, zwei weitere Minuten später stand Dominik Becker völlig falsch zum Ball und konnte nicht verhindern, dass Lars Lokotsch freistehend zur Verler Führung einschieben konnte. Anschließend war der FCS völlig von der Rolle, erfahrene Spieler wie Neudecker und Marcel Gaus leisteten sich eine Fehlpass-Orgie. Die Folge: Nicht nur die Mannschaft wurde immer nervöser, auch das Publikum. „Wir kennen alle das Saarbrücker Umfeld. Es ist extrem emotional. Es ist unsere Aufgabe, die Zuschauer mitzunehmen“, sagte Günther-Schmidt.
Das sollte im zweiten Abschnitt gelingen. Stürmisch kam der FCS aus der Kabine, die Doppelspitze mit Kai Brünker und dem eingewechselten Patrick Schmidt entfaltete Wucht. Daran änderte auch das Kontertor durch Oliver Batista Meier zum 1:3 nach 52 Minuten nichts. Schmidt verkürzte wenig später auf 2:3, danach wuchs nicht nur das Team, sondern auch das Publikum über sich hinaus. „Wenn wir das Publikum hinter uns bekommen und das noch bei Flutlicht, können ganz besondere Dinge geschehen“, sagte Günther-Schmidt mit Blick auf die Schlussphase. Brünker (76. Minuten) und Dominik Becker in der Nachspielzeit sorgten dann doch noch für den ersten Heimsieg. „Wir haben uns für einen großen Aufwand belohnt und haben verdient gewonnen. Es gibt sicherlich Dinge, über die wir reden müssen“, sagte Ziehl nach dem Spiel.
Am Samstag schließt der FCS die englische Woche mit dem Auswärtsspiel in Ingolstadt ab. Für Trainer Ziehl stellen sich knifflige Personalfragen. An Günther-Schmidt wird er nach dessen couragiertem Auftritt auf der rechten Außenbahn nicht vorbeikommen. Im Angriff hat Mentalitätsspieler Patrick Schmidt viele Argumente für eine Doppelspitze mit Brünker geliefert. Kasim Rabihic war als „Freigeist“ dahinter kaum zu bändigen. „Es ist eine Option, aber eine sehr offensive“, sagte Ziehl, dem auch Luca Kerber wieder zur Verfügung steht. Den 21-Jährigen lobte der Trainer unter der Woche auffallend intensiv. „Er ist bei uns der Achter, der am häufigsten die tiefen Wege sucht und Torgefahr entwickelt. Von seinem Stil her passt er super zu Rabihic.“
Der Kader präsentierte sich gegen Verl äußerst ausgedünnt. Zwei Bank-Plätze wurden von U19-Spielern eingenommen, zwei weitere blieben ganz frei. „Es ist Bewegung in den Transfermarkt gekommen“, sagte Ziehl, der weiterhin keine Namen kommentiert. Der ehemalige Sandhäuser Immanuel Höhn wird derzeit angeboten. „Ich kenne den Spieler natürlich“, sagt Ziehl grinsend. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich der Trainer-Manager für eine jüngere Variante entscheidet. Die Scouting-Aktivitäten deuten auf einen Auslandstransfer hin.
FORUM-Einzelkritik
Tim Paterok: Kein grober Fehler, aber auch keine „unhaltbare“ Parade. Note 3-
Marcel Gaus: Guter Start, danach völlig neben sich. Note 5
Dominik Becker: Schwache erste Halbzeit, danach besser und mit Tor belohnt. Note 3-
Manuel Zeitz: Zweikampfstark, aber seine erste Halbzeit war nicht wirklich gut. Note 3
Lukas Boeder: Solide, beim 1:1 nicht kompromisslos genug. Note 3-
Julian Günther-Schmidt: Schon in der ersten Halbzeit ein Lichtblick, nach dem Wechsel richtig stark. Note 2
Patrick Sontheimer: Vor der Pause ganz schwach, danach ordentlich. Note 3-
Tim Civeja: Schlimme Fehler wechselten sich mit tollen Aktionen ab. Note 3
Richard Neudecker: Er versuchte viel, aber alles ging daneben. Note 5-
Kasim Rabihic: Zunächst nicht richtig im Spiel, nach dem Wechsel Dreh- und Angelpunkt. Note 2-
Kai Brünker: Lange Zeit blass, dann torgefährlich. Note 3-
Fabio di Michele Sanchez: Traute sich viel zu, seine Flanken sind ausbaufähig. Note 3
Patrick Schmidt: Lebte Mentalität vor, brachte Wucht ins Spiel und traf erstmals. Note 2