Der Plan von Friedrich Merz ist ambitioniert, vor Ostern soll die neue Regierung mit der SPD und ihm als Kanzler stehen. Die Sozialdemokraten zieren sich, noch. Für eine klare Mehrheit ist Schwarz-Rot die Wunschkonstellation.

Dann ging es doch noch ganz schnell: Bereits am Freitag nach der Bundestagswahl fand überraschend das erste Gespräch zwischen CDU/CSU und der SPD auf neutralem Boden in der Bundestagsliegenschaft Jakob-Kaiser-Haus statt. In dem sechsstöckigen Gebäude mit dem gigantischen, langgezogenen Lichthof haben auch Bundestagsabgeordnete ihre Büros. Dominiert wird der Bau allerdings von den Sitzungssälen für die Ausschüsse, angelegt als Galerie zum Lichthof.
Durch die gigantischen Glasscheiben Richtung Westen schauen die Verhandlungsteilnehmer auf das Kanzleramt, genau gegenüber auf der anderen Straßenseite. Fast wirkt es, als sollte sie dieser Blick immer daran erinnern, worum es hier in den anstehenden Runden geht. Vor Beginn ging es zunächst um eine Begrifflichkeit. Die Unions-Seite wollte ihrem enggesteckten Zeitplan einen zutreffenden Namen verpassen und nannte die Zusammenkunft ein erstes Gespräch oder Treffen. Sollte auch heißen, großartig zum Sondieren und Nachdenken haben wir keine Zeit und auch keine Notwendigkeit. Die einzige mögliche Koalition ohne AfD ist ohnehin nur die zwischen CDU/CSU und SPD, also lasst uns einen Rahmen abstecken und mit den Koalitionsverhandlungen postwendend anfangen. Wenn man so will der erste Punktsieg, zumindest über die Deutungshoheit des Treffens, ging dann an die Sozialdemokraten. Nun sind es doch Sondierungsgespräche, so als müsste sich die SPD-Seite nach Abschluss nochmal beraten, ob daraus auch noch Koalitionsverhandlungen werden könnten. Wohlwissend, dass es dafür nicht viel, eigentlich keinen Entscheidungsspielraum gibt, will man nicht Neuwahlen riskieren.
Enormer Zeitdruck
In der ersten Runde wurde ein Neun-zu-neun-Format beider Seiten verabredet, damit es zumindest personell am Anfang übersichtlich bleibt: CDU-Parteichef Friedrich Merz und sein CSU-Amtskollege Markus Söder, dazu ihre Generalsekretäre Carsten Linnemann und Martin Huber, flankiert von CSU-Landesgruppenchef im Bundestag Alexander Dobrindt und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei. Bis auf Markus Söder gelten die übrigen Fünf sicher als zukünftige Mitglieder einer zukünftigen Regierung, sollte es dazu kommen. Aufgefüllt wurde die Unions-Runde mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien und CSU-Parteivize Dorothee Bär. Die beiden einzigen Frauen in der Unionsstartgruppe gelten ebenfalls als mögliche Anwärterinnen auf Ministerposten. Was auffällt auf der Unionsseite: CDU-Bundesschatzmeisterin Julia Klöckner fehlte nicht nur am Wahlabend auf der Party im Konrad-Adenauer-Haus, sie ist auch nicht in der Sondierungsrunde. Die 52-jährige ehemalige CDU-Chefin aus Rheinland-Pfalz hatten nicht nur die politischen Beobachter im Berliner Regierungsviertel fest auf ihrem Zettel.

Nicht nur bei der Union sind die Männer in der Mehrzahl, auch bei der SPD ist die Parität nicht ganz gewahrt. Angeführt von den Co-Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken sind dann noch Bundestagspräsidentin Bärbel Bass, die Saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und ihre Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, auf der Frauenseite dabei. Nicht fehlen dürfen im sozialdemokratischen Sondierungsteam selbstverständlich Verteidigungsminister Boris Pistorius und Arbeitsminister Hubertus Heil. Pistorius wäre vermutlich der Kanzlerkandidat mit den besseren Wahlaussichten gewesen und Heil ist auf der SPD-Seite mit genau sieben Amtsjahren der erfahrenste Minister in einer Bundesregierung. Abgerundet wird das sozialdemokratische Verhandlungsteam mit Generalsekretär Matthias Miersch sowie dem Fraktionsvize im Bundestag Achim Post, der als ausgewiesener Finanzexperte gilt.
Was auf SPD-Seite auffällt: Der linke Flügel ist bei den Sondierungen mit der Union reichlich unterrepräsentiert. Einzig Co-Parteichefin Saskia Esken gilt als ausgemachte Linke, vielleicht noch Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern, die immerhin eine Landesregierung mit der Linken anführt, aber bislang noch nicht als Vorkämpferin für linke Themen in ihrer Partei aufgefallen ist.
Doch die beiden SPD-Frauen gelten in ihrer Partei als politisch angeschlagen. Vor allem Saskia Esken. Schon seit Wochen wird offen über eine Nachfolge für die SPD-Co-Chefin diskutiert. Und offensichtlich gab es dafür auch eine klare Favoritin: Anke Rehlinger, seit 2019 eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Sie gilt als pragmatisch, in der Mitte der Partei verankert, kann mit der einzigen SPD-Alleinregierung in einem Bundesland aufwarten, hat sich in den letzten Jahren auf der Berliner Bühne profiliert, nicht zuletzt als Deutsch-Französische Beauftragte und derzeit amtierende Bundesratspräsidentin. Rehlinger hat allerdings kurz nach der Wahl ausgeschlossen, aktuell Parteichefin zu werden.
Lars Klingbeil hat dagegen noch am Wahlabend trotz des verheerenden SPD-Ergebnisses den Takt vorgegeben und seine Ambition auf den Fraktionsvorsitz kundgetan. Zwei Tage später wurde er mit 85,6 Prozent zum Fraktionschef gewählt. „Ein ehrliches Ergebnis“, wie er selbst meint. Dass Partei- und Fraktionsvorsitz nun in einer Hand liegen, ist von Bedeutung für die Gespräche mit der Union. Zudem wird dem 47-jährigen Niedersachsen ein guter Draht zu CDU-Chef Friedrich Merz nachgesagt.
In den Verhandlungen wird es vor allem um eine Reform der Schuldenbremse gehen. Die SPD, auch fast alle Bundesländer, darunter auch CDU-regierte Länder, sind für eine Änderung der Schuldenbremse, vor allem, um Investitionen zu ermöglichen. CDU-Kanzler-in-spe Merz hält davon gar nichts, will die dringend benötigten höheren Rüstungsausgaben für die Bundeswehr und für Infrastrukturmaßnahmen über zwei weitere Sondervermögen finanzieren. Beide könnten jeweils um die 100 Milliarden Euro umfassen.
Schnell handlungsfähig
Das würde aber nur noch bis zum 25. März mit dem alten Bundestag gehen. Dann konstituiert sich der Bundestag neu, AfD und Linke könnten danach die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für die beiden Sondervermögen blockieren. Vielleicht für die SPD auch ein Druckmittel, so doch noch die Reform der Schuldenbremse bei der Union durchzudrücken. Die Länder würden es den Sozialdemokraten danken.

Eine weitere Herausforderung ist der von Merz aufgestellt Fünf-Punkte-Plan zur Eindämmung der Migration mit Zurückweisungen an den Grenzen oder massiven Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern. Für die SPD-Verhandler in den eigenen Reihen nicht einfach durchzusetzen. Weniger innerhalb der Fraktion als vielmehr bei der noch verbliebenen linken Parteibasis und den Jusos.
Weniger problematisch für die Union dürfte es dagegen bei der von der SPD geforderten Sicherung des Rentenniveaus, der Anhebung des Mindestlohns und den Entlastungen bei der Einkommenssteuer für untere Lohngruppen sein. Solche Vereinbarungen lassen erfahrungsgemäß viel Raum für Formulierungsfreiheiten in einem Koalitionsvertrag.
Nicht nur der Zeitplan bis Ostern ist ambitioniert. Die SPD will vermutlich ihre Mitglieder über einen Koalitionsvertrag entscheiden lassen. Und dann gibt es noch einige aus der geschrumpften Fraktion, die Friedrich Merz nicht zum Kanzler wählen wollen. Es gibt folglich noch viele Unwägbarkeiten.
Für eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger bleibt nach der Wahl – wie auch schon davor in Umfragen deutlich wurde – eine schwarz-rote Koalition die mit Abstand bevorzugte Lösung.