Die neue schwarz-rote Koalition will die Digitalisierung vorantreiben und eine „echte Wahlfreiheit im Zahlungsverkehr“ schaffen. Die Realität sieht etwas komplizierter aus.
Sonntagnachmittag in einem Coffeeshop in Berlin-Mitte. In der Schlange steht ein Mittzwanziger, der sich mit einem Freund oder Bekannten unterhält. Er spricht über sein Start-up-Unternehmen, Fördermittel und welcher Bereich bald „wegen der KI“ wegfalle. Dann ist er an der Reihe. Er bestellt sich einen Smoothie. Hält seine Smartwatch an das POS-Terminal, und das elektronische Piepen ertönt. Auch fast alle anderen Gäste in dem Café zahlen an diesem Nachmittag mit Armbanduhr, Handy oder Karte. Wer mag, kann aber auch bar bezahlen. Im Sinne der Wahlfreiheit für die Kunden sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Eine Eisdiele im Stadtteil Friedrichshain bietet neben Bar- und Kartenzahlung sogar die Möglichkeit an, die kühle Süßspeise auch mit Bitcoin zu bezahlen.
Mindestens eine digitale Zahloption
Doch die üblichen Optionen, bei denen der Kunde die Wahl zwischen elektronischer und Bar-Zahlung hat, schrumpfen zusehends. Während vor allem etliche kleinere Läden, Imbisse und Spätis in der Hauptstadt ausschließlich auf Bargeldzahlung bestehen, nehmen andere gar keine Münzen und Scheine an. Wer sich mit elektronischer Zahlung schwertut oder kein Bankkonto hat, hat das Nachsehen. „Kein Bargeld, nur Kartenzahlung“, heißt es beispielsweise in einer Crêperie im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Auf der Eingangstür sind die Gründe für die Entscheidung für alle Gäste sichtbar aufgelistet. Im Stil von Werbeslogans steht dort: „Schnellere Transaktionen, weniger Wartezeit. Weniger physischer Kontakt, mehr Hygiene. Einfachere Abrechnung, mehr Transparenz. Keine Bargeldproduktion, mehr Umweltschutz. Keine Überfälle, mehr Sicherheit.“ Und: „Wir hoffen auf euer Verständnis.“
Auch immer mehr staatliche und städtische Dienstleister lehnen Banknoten und Münzen ab. In immer mehr Städten schaffen die Verkehrsbetriebe die Barzahlung ab. In Berlin, in Hamburg, in Schweinfurt und in Wiesbaden betrifft das die Busse. Die Rheinbahn in Düsseldorf will bis 2027 das Bezahlen mit Bargeld komplett abschaffen. Auch in den zehn Stadtteil-Bürgerbüros der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt ist keine Barzahlung mehr möglich. Wer dennoch „cash“ bezahlen will, muss das Büro im Dienstleistungszentrum am Hauptbahnhof aufsuchen – und dafür möglicherweise quer durch Düsseldorf fahren.
Auch die neue schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz will die kontaktlose Zahlung vorantreiben. Laut Koalitionsvertrag sollen Betriebe künftig verpflichtet werden, außer Bargeld zusätzlich mindestens eine digitale Zahlungsoption anzubieten – entweder als Kartenzahlung oder als Mobile-Payment über das Smartphone. Dadurch soll „eine echte Wahlfreiheit im Zahlungsverkehr“ geschaffen werden, wie es in der Vereinbarung von CDU/CSU und SPD heißt. Das dürfte zumindest all diejenigen Gastronomen und Händler, die bislang nach dem „Nur Bargeld!“-Prinzip verfahren sind, vor Herausforderungen stellen.
Parallel dazu treibt die Europäische Zentralbank (EZB) die Entwicklung des digitalen Euro weiter voran. Im kommenden Oktober will der EZB-Rat entscheiden, ob er in die nächste Vorbereitungsphase für die digitale Zentralbankwährung übergeht. Laut offizieller Angaben wie etwa von EZB-Präsidentin Christine Lagarde soll das neue Digitalgeld den physischen Euro nur ergänzen, nicht ersetzen. „Der digitale Euro würde als zusätzliches Zahlungsmittel neben dem Bargeld dienen“, betonte auch Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, im Februar dieses Jahres auf der Frankfurt Digital Finance Conference. Als „digitales Upgrade“ von Banknoten und Münzen wäre der E-Euro ein Zahlungsmittel, das in „fast allen alltäglichen Zahlungssituationen“ eingesetzt werden könnte, so der Bundesbankchef. „Außerdem wäre es die erste digitale Währung, die sowohl online als auch offline verwendet werden kann. Das heißt, auch bei einem Ausfall des Internetempfangs.“
Schwund von Bankautomaten
Vorreiter in Sachen kontaktloser Zahlung waren bislang die skandinavischen Länder. In Schweden etwa zahlten im Jahr 2023 nur noch ein Zehntel der Menschen mit Bargeld. Der weitaus größere Anteil der Schweden griff mit 90 Prozent zur Karte oder App. Das geht aus Umfragen hervor, die die schwedische Riksbank veröffentlichte. Das Land war in Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg in eine bargeldlose Gesellschaft. Doch diese Entwicklung bremst die Regierung in Stockholm seit Kurzem aus. In Anbetracht des Krieges in Europa und immer unsicherer werdender Zeiten wächst in Skandinavien die Angst vor Sicherheitslücken, Hackerangriffen und Stromausfällen. Einem Bericht des englischen „Guardian“ zufolge ermutigen die schwedischen Behörden ihre Bevölkerung, Bargeld zu verwenden und mindestens einen Wochenvorrat zu Hause zu haben. Die schwedische Bevölkerung solle „auch im Falle einer Krise oder eines Krieges“ zahlen können. Effizienz sei wichtig – dass im Falle einer Krise jeder bezahlen könne, sei wichtiger, zitiert die Zeitung die schwedische Zentralbank. Eine öffentliche Untersuchung habe ergeben, dass einige öffentliche und private Stellen zur Bargeldannahme verpflichtet werden sollten. Ähnlich verfährt auch Norwegen. Im vergangenen Jahr trat dort ein neues Gesetz in Kraft, nach dem Einzelhändler mit Sanktionen belegt werden können, wenn sie kein Bargeld akzeptieren. Wenn niemand mehr Bares akzeptiere, sei Cash keine Notlösung mehr, sagte die ehemalige norwegische Ministerin für Justiz und Notfälle, Emilie Enger Mehl.
Sorge um den Erhalt des Bargeldes machen sich derweil in Deutschland auch die Vertreter des Handels, wenn auch aus einer anderen Motivation heraus. „Obwohl der Trend zum unbaren Bezahlen geht, bleibt Bargeld ein wichtiges und beliebtes Zahlungsmittel. Wenn allerdings weiterhin immer mehr Bankfilialen schließen, droht der Bargeldkreislauf zusammenzubrechen“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Leidtragender ist seiner Ansicht nach der Handel: „Händlerinnen und Händler tragen zum einen die Kosten für die mögliche Beschaffung von Banknoten. Zudem liegen hinter der Bargeldauszahlung meist noch Gebühren für die Kartentransaktion“, so der HDE-Chef. Tatsächlich werden immer mehr Bankautomaten abgebaut. So wurden seit 2019 bundesweit etwa 7.000 Bankfilialen und Geldautomaten geschlossen. Das geht aus einer Statistik der Zentralbank hervor, die regelmäßige Zählungen durchführt. Diesen Schwund kritisiert auch Dorothea Mohn, Leiterin im Team Finanzmarkt des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes (VZBV). Zwar sei die Versorgung mit Bargeld in Deutschland aktuell noch vergleichsweise gut, so Dorothea Mohn. Der Trend gehe aber in eine andere Richtung. „Banken und Sparkassen haben ihr Filialnetz seit 2007 halbiert und schreiten beim Abbau von Geldautomaten voran.“
Wie aus einer aktuellen Umfrage von HDE und Appinio hervorgeht, will die Mehrheit mit 60 Prozent der Befragten das Bargeld weiterhin als eines der zentralen Zahlungsmittel beibehalten. Der Befragung zufolge zahlen 42 Prozent der Konsumenten am liebsten mit Bargeld. Mit 27 Prozent bevorzugt mehr als ein Viertel die kontaktlose Kartenzahlung, während 16 Prozent kontaktlos mit Smartphone, Smartwatch oder Mobile-Payment-App und 15 Prozent mit Karte und PIN-Eingabe zahlen. „Es ist höchste Zeit, sich Gedanken über die Zukunft des Bargelds zu machen“, findet Stefan Genth. „Sonst besteht die Gefahr, dass wir ein bedeutendes Zahlungsmittel verlieren.“