Der Intendant der Musikfestspiele Saar, Bernhard Leonardy, und Eva Karolina Behr, Künstlerische Leiterin, sprechen über den diesjährigen Einheitsgedanken, ein spannendes musikalisches Experiment – und Hundespielzeug als Instrumente.
Herr Leonardy, Frau Behr, Sie haben als Titel Ihres Programms dieses Jahr nicht einen Begriff gewählt, sondern gleich mehrere kreiert. Wie kam es dazu?
Leonardy: Die Welt momentan braucht eine gewisse Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Vielfarbigkeit, ein einziger Begriff wäre zu hart für die Situation. Man muss die Menschen positiv zusammenführen, es braucht eine positive Lebendigkeit, das strahlt das ganze Programm auch aus. Ein Festival-Ablauf ist ja so konzipiert, dass er eine gewisse Dramaturgie hat, einen Spannungsbogen. Das ist uns, denke ich mal, dieses Jahr auch wieder geglückt.

Also ist der Ablauf des Programms nicht willkürlich …
Leonardy: Nein, es ist ein gewisser roter Faden drin, natürlich nach den Möglichkeiten, die wir haben.
Behr: Das kann sich in den Künstlern widerspiegeln oder auch im Programm. Wir haben zum Beispiel das City of Birmingham Symphony Orchestra, das wir deshalb eingeladen haben, weil es ein englisches Ensemble ist. Gerade heute ist England ein wichtiger Partner für Europa, mal ganz abgesehen von der großartigen musikalischen Tradition dieses Landes, insbesondere des CBSO. Die kommen beispielsweise mit einem rein französischen Programm, also auch da gibt es Brückenschläge.
So hangelt man sich an den Begriffen entlang. Die beziehen sich auf das Musikalische, denn in der Musik ist man immer eine Einheit. Mit der Musik funktioniert das seit Jahrhunderten auf allen Kontinenten, warum funktioniert es gesellschaftlich gerade nicht mehr so gut? Das scheint bei jedem Konzert ein bisschen durch.
Es tritt auch ein Puppentheater auf. Wie passt das ins Programm?
Behr: Das kam durch eine Kooperation mit der Stadt Zwickau. Wenn wir Europa und natürlich den Tag der Deutschen Einheit feiern, dann müssen natürlich auch ostdeutsche Ensembles kommen, denn die deutsch-deutsche Einheit ist essenziell gerade auch für das Weimarer Dreieck, den Schulterschluss Deutschlands mit Frankreich und Polen. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es eine lange und tolle Puppentheater-Tradition. Und eines davon ist in Zwickau. Die zeigen richtig großes Figurentheater. Das Besondere hier ist, dass das Ganze für die Zuschauer ein ganzheitliches Erlebnis mithilfe einer 360-Grad-VR-Brille wird. Die Zuschauenden finden sich also mitten im Geschehen wieder. Und die Ballade „Die Goldgräber“ von Emmanuel Geibel ist mit ihren Hauptthemen Eifersucht, Neid, Ich-Bezogenheit zeitaktueller denn je.
Im Programm haben Sie auch ein spannendes Experiment: Musik im Container.
Leonardy: Das Experiment ist, dass wir nicht wissen, wie das ausgeht (lacht). Das wurde noch nie gemacht. Ein Spieler, der einem Zuhörer ganz persönlich etwas mitteilt. Diese Art von Einheit zu bilden in einer fremdartigen Form. Wenn diese Schwingung von Mensch zu Mensch geht. Es wird auf jeden Fall ein intensives Erlebnis sein. Es wird auch spannend zu sehen, wie verschiedene Instrumente wirken. Ein Streichinstrument wirkt anders als eine Blockflöte. Ich glaube, das wird ein toller Erfolg. Und ich denke, man erreicht hier auch noch mal andere Leute. Solche, die vielleicht noch nie etwas mit den Musikfestspielen zu tun hatten.
Wird das Experiment auch irgendwie ausgewertet?
Behr: Wir sind vor Ort, wir betreuen das, wir wollen auf jeden Fall mit den Leuten danach ins Gespräch kommen. Der Container wird auch eine Art Begegnungsort sein, da werden Liegestühle hingestellt, sodass die Leute miteinander ins Gespräch kommen. Der Max-Ophüls-Platz ist auch von der Örtlichkeit sehr prominent. Wir lassen uns mal überraschen.
Wie haben die Musiker das angenommen?
Behr: Es werden Studierende der Musikhochschule Saar sein, die da spielen. Es steht noch nicht fest, wer da sein wird. Die Musikhochschule schreibt es aus, und Studenten können sich bewerben. Musik-Studierende sind aber immer sehr experimentierfreudig. (lacht) Es geht hier um die Keimzelle einer jeden Gesellschaft: dass zwei Menschen zu einer Art Zwiegespräch zusammenkommen.
Wenn wir beim Thema Experiment bleiben: Auch der Auftritt des Percussion-Ensembles Quatuor Beat hört sich spannend an …
Behr: Ja, man kennt ja viele Percussion-Ensembles, aber das hier ist ein wahnsinnig einfallsreiches und poetisches Theater. Die erzählen eine Geschichte, ohne ein Wort zu sagen. Und benutzen alles, was es irgendwie gibt, als Percussion. Und natürlich auch klassische Schlaginstrumente …
Leonardy: … aber auch eine leere Flasche zum Beispiel …
Behr: … bis hin zu diesen Hundespielzeugen, die Töne von sich geben. Also alles, was Geräusche macht. In manchen Passagen wird dann noch das Licht im Saal mit eingesetzt, in bestimmten Rhythmen geht das Licht an und aus. Aber es ist keine Show, sondern gut gemachtes Percussion-Theater.
Kommen wir noch mal zum Thema Einheit. Was liegt Ihnen dazu dieses Jahr besonders am Herzen?

Leonardy: Ich würde diesen Einheits-Begriff in diesem Jahr auch grenzüberschreitend sehen, das ist ganz wichtig. Im Moment ist es eine enorme Chance, hier im Dreiländer-Eck. Welcher Künstler geht noch nach USA, nach China? Wenn wir uns hier als attraktives freiheitsliebendes Land auszeichnen, ist das eine Riesenchance, gerade für diese Grenzregion. Mithilfe der Musik, die ja keine Sprachbarrieren kennt, können wir den Einheitsbegriff auch auf die Menschen hinter den Grenzen beziehen.
Im vergangenen Jahr haben Sie Musik mit Zug- und Busfahren gekoppelt. Dieses Jahr sollen die Zuhörer aufs Fahrrad. Und Sie fahren selbst auch mit dem Rad zu Ihrem Auftritt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Leonardy: Ich habe aber ein E-Bike. (lacht) Es gibt ja diesen schönen Begriff, Organo Pleno con Pedale, also Orgel mit Pedal. Das kann man natürlich auch umdenken zu den Pedalen, die man mit dem Fahrrad tritt. (lacht) Das war der erste Schritt dieses Gedankens. Wenn wir schon hinter der Grenze sind und die Frankreich-Strategie wieder von allen betont wird, dann wollen wir sie mit Leben füllen, und zeigen, dass man sich mit einem relativ einfachen Verkehrsmittel zwischen den Grenzen bewegen kann. Das ist der Hintergedanke dabei. Und vielleicht ist jemand dabei, der sagt, ich bin vielleicht kein Orgelfan, aber ich habe Lust, mit dem Fahrrad mitzufahren. (lacht)
In diesem Jahr haben Sie auch wieder die Fête de la musique dabei.
Behr: Das ist eine wahnsinnig tolle Institution, das hat ja schon mal sehr gut funktioniert. Musiker können sich bei uns bewerben, es muss nicht zwingend klassische Musik sein, es sind alle Genres willkommen. Dann werden in der Saarbrücker Innenstadt mehrere Cafés bespielt, das ist eine schöne, lockere Atmosphäre. Abends findet dann noch das Abschlusskonzert mit dem Stegreif Orchester in der Johanneskirche statt.
Interessant sind auch immer die Locations, die Sie bespielen. Zum Beispiel das Schloss Münchweiler. Wie sind Sie darauf gekommen?
Leonardy: Wir sprechen ja immer verschiedene Landkreise an, und da ist der Bürgermeister von Wadern auf uns zugekommen mit der Idee. Das Geheimnis der Musikfestspiele Saar ist ja, dass wir versuchen, möglichst viele Leute zu involvieren. Da haben wir zum Beispiel den Förderverein mit fast 1.000 Mitgliedern und das Bürgerorchester, das dieses Jahr neu ist. Hier können interessierte Musiker mitmachen. Auch unsere Sponsoren sind ganz wichtig. All diese Menschen sind wichtige Multiplikatoren dieser Idee, dass wir mit der Kultur gemeinsam etwas erreichen wollen. Das unterscheidet uns von anderen, dass wir versuchen, viele Leute mitzunehmen. Deshalb kam es auch zu der Idee, eine Trompeterin oder einen Trompeter als Türmerin beziehungsweise Türmer zu suchen.
Da haben Sie auch schon jemanden gefunden …
Behr: Ja, unsere Wahl ist auf die Trompeterin Sophie Rüth gefallen. Sie studiert seit vier Jahren Trompete an der Hochschule für Musik in Saarbrücken und hat schon zahlreiche Preise erhalten. Gerade in Ostdeutschland hat der Türmer/die Tümerin eine alte Tradition. Ganz früher im Mittelalter waren die dazu da, Ausschau zu halten und Signal zu geben, wenn zum Beispiel Gefahr droht. Oder um etwas anzukündigen.
Leonardy: Da komme ich noch mal zurück auf die Dramaturgie eines Festivals, die man mit einem Buch vergleichen kann. Die Türmerin ist wie die Umschlagseite von einem Buch, sie weist auf ein Ereignis hin. Also Sophie Rüth wird auch Konzerte ankündigen.
Wo hört man Sophie Rüth dann?
Behr: Wir bespielen viele Kirchen dieses Jahr. Wir machen kleine Happenings rund um die Kirchen, da bläst sie.
Leonardy: Schön ist es in der Johanneskirche mit dem höchsten Kirchturm des Saarlandes, das macht schon was daher.
Was sind Ihre Favoriten dieses Jahr?
Behr: Bei mir ist es das Carion Quintet. Ich kenne es schon lange, es ist ein Bläser-Quintett. Ich finde den Klang fantastisch. Und die haben diese besondere Art des Auftritts, spielen alles auswendig, was für Kammermusik schon außergewöhnlich ist, und sie bewegen sich auch dabei. Es gibt eine Art Choreografie. Die musikalische Struktur dieser Komposition wird dadurch gezeigt. Man sieht, wer gerade die Hauptstimme spielt, wer Begleitung, welche Motive von einem in das andere Instrumente wandern. Das finde ich unglaublich spannend. Sie nennen sich nicht umsonst die Kammermusik-Performer.
Leonardy: Ich klammere die Orgelmusik bewusst aus. (lacht) Ich bin ja ein alter Chor-Mensch. Gute Chöre begeistern mich. Der Dresdner Kammerchor ist für mich verbunden mit der Tradition Sebastian Bachs. Die haben eine ganze andere Tradition, deshalb ist mir das sehr nah.

Was ist für Sie von der Planung her die größte Herausforderung dieses Jahr?
Behr: Der Kulturtag für die Familie. Das ist von der Planung sehr aufwendig, weil wir einen ganzen Tag gestalten müssen, mit sehr vielen Akteuren. Es gibt verschiedene Bühnen, es darf sich dann auch nichts überschneiden. Und wir haben Mitmachprogramme für die Kinder, es gibt Essensstände, dieses Fest ist eine große Herausforderung von der Organisation.
Leonardy: Finanziell wird es auch nicht einfacher. Auch sind wir dieses Jahr spät dran, es ballt sich sehr viel in der Zeit der Musikfestspiele, die Sommerferien sind auch sehr früh dieses Jahr. Ich freue mich aber sehr, dass wir so viele Sponsoren haben, die trotz der schwierigen Zeit dabei sind, denen die Kultur wichtig ist. Bei den vielen gruseligen Gedanken, die momentan jeden Abend um 20 Uhr im Fernsehen sind, ist es wichtig, einen Lichtblick zu haben.
Behr: Ich finde es auch toll, wenn man viele Kräfte bündeln und Leute begeistern kann. Dass viele Leute vor Ort helfen, zum Beispiel Vereine, die ehrenamtliche Helfer stellen. Gerade in der heutigen Zeit ist das nicht mehr selbstverständlich.
Leonardy: Deshalb haben wir auch die besten Eintrittspreise weltweit. (lacht)