Wir müssen reden. Darüber, wie wir seit der Tat von Solingen reden. Viel ist in den Tagen nach der Tat von Gedenken gesprochen worden, aber noch mehr ist einigermaßen gedankenlos und reflexartig geäußert worden. Zumindest teilweise auch nachvollziehbar im ersten Schock.
Aber stünde es uns nicht gut zu Gesicht, mit etwas Abstand nicht weiter an Forderungseskalationsspiralen zu drehen, und uns stattdessen den Mut zur Differenzierung zu leisten?
Die bislang bekannten Umstände um Tat und mutmaßlichen Täter liefern in der Tat Gründe, so einiges massiv zu hinterfragen. Aber liefern sie auch gute Gründe zu Forderungen, die Faktenchecks beispielsweise zur Rechtslage kaum standhalten? Oder Forderungen, die nur auf den ersten Blick einleuchtend sind?
Etwa: Die Dublin-Regeln sollten konsequent angewandt werden. Das hieße in zugespitzter Konsequenz, dass kaum noch ein Mensch Zugang hätte. Es sei denn, er oder sie käme über Nord- oder Ostsee. Vielleicht ist das ja auch genau gemeint, nur anders formuliert als von denen, die klar sagen: Wir lassen keinen mehr rein.
Ja, auch mich hat die Tat erschüttert und wütend gemacht. Und zugleich zutiefst ratlos. Nicht so sehr wegen der Messer- und Waffenverbotszonen-Diskussion. Wieso ist eigentlich nicht das ganze Land eine Waffenverbotszone?
Ich bin ehrenamtlich in einem Projekt mit Geflüchteten engagiert, mit Menschen aus der Ukraine, aus Syrien, Frauen aus Afghanistan. Ich sehe, wie sie versuchen, Deutsch zu lernen, um eine Ausbildung oder einen Job finden zu können. Menschen, die dankbar für den Schutz sind, etwas zurückgeben und ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen (wenn sie denn gelassen würden). Und wie sie erleben, wie in Deutschland über Flüchtlinge gesprochen wird, und damit sie selbst gemeint sind.
Ich will nichts schönfärben, keine der massiven Probleme verharmlosen, nur daran erinnern, dass es „die Flüchtlinge“ nicht gibt, so wenig wie „die Polen“, die alle große Autos klauen.
Mordende Terroristen wollen erreichen, dass wir untereinander und übereinander herfallen, und dabei nach und nach alle Grundsätze über Bord werfen, die wir doch eigentlich gegen eben Terroristen (und Autokraten und Diktatoren) verteidigen wollen. Wir müssen auf der Hut sein mit uns selber.