Der Mai hat es in sich. Das fängt schon mit Maibaum und Hexen an. Die Tradition geht zurück bis in vorchristliche, heidnische Zeiten.
Ob sich Franz Emanuel August Geibel damit intensiv beschäftigt hat, als er seine bekannten Verse zu Papier brachte, ist nicht überliefert. „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus“, dichtet der Lyriker in schönster spätromantischer Gefühligkeit, ebenso von der „schönen weiten, weiten Welt“.
Völlig unromantisch sei kurz angemerkt: Das mit den Bäumen und Mai ist infolge des Klimawandels dringend überarbeitungsbedürftig. Und das mit der schönen weiten Welt hat sich auch erheblich relativiert.
Immerhin wird es derzeit deutlich bunter. Kaum ein Laternenpfahl ist sicher vor Plakaten, auf denen Köpfe prangen. Dazu Sprüche, bei denen sich unser romantischer Lyriker Geibel seinen Bart zerrauft hätte. Wobei Herr Geibel selbst auch Sprüche drauf hatte, an denen wir heute noch zu knabbern haben, zum Beispiel: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Der Satz, im damaligen Kontext anders gemeint, wurde instrumentalisiert und für ein anderes, wie wir heute sagen würden, „Narrativ“, gründlich missbraucht.
Womit wir zurück in der Aktualität sind.
Der Kampf um Deutungshoheiten ist schon lange im Gang und wird sich in diesem Europawahlkampf weiter zuspitzen, einschließlich Umdeutung, Verdrehungen und Lügen, für die das gebräuchliche „fake news“ inzwischen fast schon harmlos klingt. Dagegen einigermaßen resistent zu sein ist eine ziemliche Herausforderung.
Patentrezepte gibt es keine. Faktenchecks, Entlarvung und Aufklärung sind zwingend geboten, hinken aber immer hinterher, während sich die erzeugten Eindrücke längst festgesetzt haben. Zu appellieren, sich nicht allzu kirre machen zu lassen – oder sich aus Verzweiflung abzuwenden, ist ebenso richtig wie leicht gesagt und kaum erhört.
Vielleicht hilft schlicht die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen. Ein bisschen Wunsch, ein bisschen kleine Vision, an der sich zumindest messen ließe, von wem ich dafür einen positiven Beitrag erwarten könnte – und von wem eben nicht.
Klingt einfach, ist aber durchaus anspruchsvoll. Demokratie ist nun mal anspruchsvoll und, Hand auf Herz: Anspruchsvoll wollen wir doch auf jeden Fall sein. Etwa nicht?