Es kommt nicht so oft vor, dass wir uns selbst überraschen. Von wegen demonstrationsmüde. Im Gegenteil. Es gibt offensichtlich ein wachsendes Bedürfnis, öffentlich zu zeigen, wie wir zusammen leben wollen – und was wir nicht wollen.
Und von wegen „schweigende Mehrheit“! Mag ja sein, dass viele die Probleme dieser Welt sonst eher im kleinen Kreis durchdiskutieren. Was nicht immer so spektakulär ausgeht, dass gleich eine Einladung zur nächsten großen Talkshow erfolgt, was wiederum zu einer gewissen Aufmerksamkeit führen würde.
Es geht auch, wie zu sehen ist, anders, und das nicht nur in den größeren Zentren, wie wir jetzt auch bei uns erleben dürfen. Da ist schon im wahrsten Wortsinn einiges in Bewegung.
Das wird auch weiter nötig sein. Nicht nur sichtbar in den Straßen und auf den Plätzen, auch in unseren Gesprächen und im Umgang.
Was um den Begriff „Remigration“ passiert, ist nur ein Beispiel dafür, wie ein neutraler Begriff (soweit Begriffe neutral sein können), aufgeladen und schleichend salonfähig gemacht wird. Das hat Mehode, und das schon lang. So haben sich Gedanken festgesetzt und Einstellungen verändert, die so gar nicht zu dem passen, wofür jetzt demonstriert wird.
Wir müssen uns wieder einiges zurückerobern. Auch und sicher nicht zuletzt unsere Sprache. Das gilt für uns selbst im Alltag genauso wie für die, die glauben, mit immer mehr zugespitzen Schlagwörtern einem Anliegen irgendeinen Gefallen zu tun. Die Sensibilität dafür wächst jetzt. Aber auch die Erkenntnis, dass es kein fertiges Patentrezept gibt, wie das gelingen kann. Die Diskussion um die Formulierung eines Antrags im Landtag ist da nur ein Beispiel von vielen.
Jedenfalls ist Angst davor, dass AfD oder ihre Umfeldern alles nur nutzen als Beleg für die eigenen ideologischen Schlagwörter, erst recht, wenn wir mit guten Gründen Grenzen setzen, kein guter Ratgeber. Das passiert so oder so.
Es gibt keine fertigen Handbücher. Manchmal fehlt auch einfach die Übung. Was sich leicht ändern lässt. So gesehen könnten die ersten Wochen dieses Jahres auch eine Art Wintertrainingslager sein, um vorbereitet in die Rückrunde gehen zu können.