Kennen Sie jemanden in ihrem Umfeld, der nicht für Bürokratieabbau wäre? Jetzt keinen, der aus rein satirischen Gründen meint, dass wir in Sachen bürokratischer Regelungen mindestens so großen Nacholbedarf haben wie die Bahn bei Pünktlichkeit.
Ich stelle mir vor, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten im nächsten Wahlkampf nicht mehr mit Forderungen nach dem Abbau bürokratischer Ärgernisse übertrumpfen, das haben sie schließlich schon im letzten Wahlkampf – und im vorletzten, in dem davor auch schon – sondern dass sie mit ihrer Bilanz aufwarten: So viele Gesetze abzuschaffen geholfen, so viele Verordnungen außer Kraft setzen gelassen.
Vermutlich wird das nicht passieren.
Wahlkampfstrategen wissen: Selten wird jemand für seine Verdienste in der Vergangenheit gewählt. Die Wahlenentscheidung orientiert sich an Erwartungen für die Zukunft. So gesehen ist es in Sachen Abbau bislang ganz gut gelaufen. Gesetzes- und Verordnungsberge sind auf einen neuen Höchststand (seit 2010) gestiegen. Also sind die Erwartungen an einen Abbau auch größer geworden.
Und Abgeordnete werden die rund 1.800 Gesetze und fast 2.900 Rechtsverordnungen (nur Bund) als Beleg erfolgreicher Arbeit vorlegen. Schließlich haben sie damit einiges geregelt gekriegt.
Wer nun wohfeil über „die Politik“ herzieht, ist zu voreilig. Wie schnell fordern wir denn selbst, dass dies oder jenes endlich mal geregelt werden muss und zwingend neue oder schärfere Gesetze hermüssen.
Ich weiß nicht, wie Volksabstimmungen zur Abschaffung von Vorschriften und Gesetzen ausgehen würden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dahinter meist doch ein echtes Anliegen steht. Und falls etwas nur ungenügend geregelt ist, dann müssen halt neue Regeln her. Und überhaupt lauern schließlich überall Gefahren und drohen Ungerechtigkeiten.
Die Regulierungssehnsucht zeigt ziemlich viel Mutlosigkeit, gepaart mit einer ordentlichen Portion Misstrauen. Am Ende regeln wir alles, bis nichts mehr funktioniert, außer der Produktion neuer Regelungen. Klingt sehr nach dem berühmten Sisyphos, von dem Jean Paul Sartre einmal meinte, der müsste eigentlich ein glücklicher Mensch sein. Wenn das stimmen sollte, müssten wir eines der glücklichsten Völker sein. Aber vorher müsste schon noch einiges geregelt werden.