Drei Fragen
Zähe Wohnungswende
Gesetzliche Fehlentscheidungen könnten schnell revidiert werden, aber Bauen ist eine langfristige Angelegenheit, warnt der Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Wohnungsbau, Dr. Hannes Zapf.
Herr Dr. Zapf, wie viel Hoffnung setzen sie auf Verena Hubertz als neue Bundesbauministerin?
Ich wünsche Frau Hubertz allen nur denkbaren Erfolg bei ihrem politischen Wirken, aber einfach wird die Wohnungsbauwende nicht. Das fängt allein schon bei der völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesetzgebung an. Da kann Bauministerin Hubertz volle politische Rückendeckung haben, doch es hilft nicht, ratzfatz die Gesetzgebung auf Bundesebene einzudampfen und dann springt sofort der Wohnungsbau wieder an. Gesetze ändern heißt zum Beispiel, die Bau-Normen müssen verändert und angeglichen werden. Schon das ist ein Verwaltungsakt, der viel Zeit kostet. Das betrifft dann aber nicht nur den Bund, der macht die Vorgaben, aber die Länder und deren Kommunen müssen diese neuen Normen dann in ihre Bauordnungen übernehmen!
Wie lange wird es dauern, bis diese, aus ihrer Sicht, erste Hürde genommen ist?
In normalen Zeiten hätte ich gesagt drei, vier Jahre mindestens. Doch diesmal wird es sicherlich schneller gehen. Bezahlbares Wohnen ist politisch gerade auf Länder- und kommunaler Ebene, von Nord- und Ostsee bis zu den Alpen eines der Hauptthemen. Wenn der Bund Vorgaben macht, wird sicher ganz schnell in den Ländern nachgezogen. Ich hoffe auf einen umgekehrten Effekt der bisherigen Praxis. Bei Öko-Vorgaben im Wohnungsbau haben Länder und Kommunen dann immer noch draufgesattelt. Nun vielleicht werden die Bundesvorgaben noch weiter abgespeckt.
Was wären Sofortmaßnahmen, um Bauen zu beschleunigen?
Zum Beispiel die Recycling-Vorgabe. Zu Recht versuchen wir, Ressourcen beim Rohbau zu schonen, also mehr Recycling-Baustoffe einzusetzen. Das Problem ist, es wird erheblich mehr gebaut als abgerissen. In Zahlen: Nur 0,6 Prozent des Gebäudebestandes werden überhaupt abgerissen, aber trotz Flaute auf dem Bau weitaus mehr gebaut. Damit ist die vorgeschriebene Recycling-Quote völlig illusorisch und überhaupt nicht zu erreichen. Umgekehrt: Gott sei Dank müssen wir so wenig Wohnungen abreißen! Doch das Beispiel zeigt, über so was muss nachgedacht werden. Interview: Sven Bargel

Kaum E-Mobilität bei Lkw
Vor genau einem Jahr verkündeten Vertreter der Lkw-Sparten von VW und Daimler stolz: „We are E-Truck ready“. Die beiden größten europäischen Hersteller für Lastkraftwagen könnten sofort in die volle Produktion gehen und die Lkw-Verkehrswende zum Erfolg führen. Die anvisierten Klimaziele für Lkw bis 2040 sind ambitioniert. In 15 Jahren sollen beim Schwerlasttransport auf Straßen und Autobahnen 90 Prozent weniger Kohlendioxid ausgestoßen werden als noch 2019. Klappt das nicht, drohen den europäischen Lkw-Herstellern, Milliarden Strafzahlungen, warnt der Branchenverband Acea. Im Fokus steht der Ausbau der Ladeinfrastruktur und eine Aufweichung der bisherigen Flottengrenzwerte. Doch allein der E-Truck-Absatz in Deutschland ist immer noch nicht richtig angelaufen. Grund: Ein E-Lkw ist beim Kauf zwei- bis dreimal so teuer wie ein Diesel. Abgesehen von den überschaubaren Reichweiten ist die Ladeinfrastruktur, also die flächendeckende Versorgung durch Mega-Charger, allein nur in Deutschland völlig unzureichend, faktisch nicht vorhanden, so der Branchenverband Acea.
Länder fordern Ausgleich
Die Bundesregierung will mit einem „Investitionsbooster“ die dümpelnde Wirtschaft ankurbeln und auf Wachstumskurs bringen. Dagegen ist nichts einzuwenden, sagen auch die Länder. Ganz im Gegenteil. Auch sie wollen die geplanten Entlastungen, um wirtschaftliche Impulse zu setzen. „Wir müssen das aber auch können“, sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und spricht damit für alle Länder, unabhängig von parteipolitischen Zugehörigkeiten. Das Problem ist, dass Länder und Kommunen besonders von den Einnahmeausfällen durch die geplanten Steuersenkungen betroffen wären. Von geschätzten rund 50 Milliarden weniger Einnahmen (bis 2029) würden zwei Drittel auf die Länder fallen. Ohne einen entsprechenden Ausgleich könnte es also keine Zustimmung der Länder geben, so die einhellige Meinung im Bundesrat. Ein Treffen mit dem Bundeskanzler soll nun Fortschritte bringen. Die Länder drängen darauf, noch vor der Sommerpause Klarheit zu haben.
Linke fordern hitzefrei

Der Linkspartei-Vorsitzende Jan van Aken fordert besseren Arbeitnehmerschutz an Hitzetagen. Ab 26 Grad soll die Arbeitszeit um ein Viertel verkürzt, ab 30 Grad soll nur noch halb so viel gearbeitet werden. Außerdem sollen bis Anfang Juli von der Bundesregierung Sofortmaßnahmen umgesetzt werden. „Hitzeschutz ist Arbeitsschutz, jetzt handeln“, so van Aken. Die Forderung habe einen sehr ernsten Hintergrund. „Die Klimakrise ist längst eine soziale, wer unter sengender Sonne schuftet oder im überhitzten Büro sitzt, bezahlt oft mit der eigenen Gesundheit.“ Die Sofortmaßnahmen ließen sich leicht im Arbeitsschutzgesetz umsetzen: Über 26 Grad zehn Minuten zusätzliche Pause pro Stunde, Recht auf ausreichend Wasser und Sonnenschutz oder Homeoffice.

Grenzenloses Gibraltar
Der Grenzzaun zwischen Gibraltar und Spanien wird abgerissen. Damit enden jahrelange Verhandlungen über den Status der Halbinsel mit den markanten Affenfelsen im Süden Spaniens. Gibraltar war einst britische Kronkolonie und wird sowohl vom Vereinigten Königreich als auch von Spanien beansprucht. Mit dem Brexit war Gibraltar außerhalb der EU, mit allen Folgen für Wirtschaft, die zahlreichen Pendler und die noch weitaus zahlreicheren Touristen. Gibraltar gehört künftig zum Schengen-Raum, hat also grundsätzlich eine offene Grenze. Kontrollen teilen sich spanische und britische Kräfte. Vier Jahre lang war darüber unter Beteiligung der EU verhandelt worden. Grundsätzlich habe weder Spanien noch die Briten ihre Ansprüche aufgegeben, aber mit dem Abkommen erst mal bis auf Weiteres zurückgestellt, was bei konservativen und nationalen Kräften in beiden Ländern auf Widerstand stößt.
Wahlfolgen
Lauterbach großzügig

Vier Wochen nach ihrem Amtsantritt als Bundesgesundheitsministerin, hat Nina Warken (CDU) ihrem Vorgänger im Amt, Karl Lauterbach (SPD), die Sonder-Zugangs-Erlaubnis für ihren Dienstsitz entzogen. Bis dahin durfte Lauterbach auch ohne Amtsfunktion weiterhin mit dem Hausausweis das Gesundheitsministerium betreten, vor allem, und im Hobbykeller seinem Lieblingssport nachzugehen. Dort steht seine Tischtennisplatte, die ihm seine damaligen engsten Mitarbeiter zum 60. Geburtstag geschenkt hatten. Nach dem Amtsantritt von Warken durfte Lauterbach dort erstmal weiter trainieren. Nun ist für ihn Schluss mit Sport im Hobbykeller des Gesundheitsministeriums. Doch Lauterbach ist nicht nachtragend und hat sein Geburtstagsgeschenk dem Ministerium, oder besser den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für ihren Ausgleichssport im Dienst gespendet.
Politische Kultur
Wie ticken Saarländerinnen und Saarländer, wenn es um Demokratie geht? Wie zufrieden sind sie mit dem Zustand der Demokratie und der Politik, wie schätzen sie ihre eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten ein? Diese und eine ganze Reihe anderer Fragen soll der erste „Saarland-Monitor“ herausfinden. Der wird vom Landtag des Saarlandes und dem Institut für Demokratie- und Parteienforschung (Uni Trier) umgesetzt. Landtagspräsidentin Heike Winzent nennt als Ziel die Erforschung der landesspezifischen politischen Kultur. Das soll aber kein Selbstzweck sein, sondern die Arbeit des Landtags unterstützen. „Die Ergebnisse des Monitorings wollen wir in eine zielgruppengerechte Anpassung und Erweiterung unserer Angebote zur Demokratiebildung einbeziehen. Die Studie gilt damit als wichtige Faktengrundlage zur Stärkung unserer Demokratie“, betont die Landtagspräsidentin.
Millionen für Quanten-Zentrum
Die Universität des Saarlandes wird ein Zentrum für Quantentechnologie aufbauen. Das Land fördert das Projekt mit 53 Millionen Euro. Das Geld kommt aus dem Transformationsfonds des Landes, erläutert Wissenschafts- und Finanzminister Jakob von Weizsäcker. Nach seinen Worten ist es die größte Einzelfördermaßnahme des Landes im Hochschul- und Wissenschaftsbereich. Das neue Zentrum wird in Partnerschaft mit dem Forschungszentrum Jülich aufgebaut. Dessen Helmholtz-Zentrum wird sich mit zwei Institutsbereichen in Saarbrücken engagieren. Das Ziel ist, im Saarland „eine kritische Masse an Forschungsexzellenz und anwendungsnaher Entwicklung aufzubauen“, unterstreicht der Minister. Daraus sollen Patente, technische Entwicklungen und Start-Ups hervorgehen. Universitätspräsident Ludger Santen sieht darin eine bedeutende Entwicklung. Das Zentrum für Quantentechnologien werde „ein weltweit sichtbarer Standort“, an dem „Quantentechnologien der zweiten Generation“ entwickelt würden.

Kontrollen
Streit bei den Polizeien
Die Zurückweisungen von Asylbewerbern und die dazugehörigen verschärften Kontrollen an deutschen Grenzen sorgen nun auch für Ärger zwischen den beiden Polizei-Gewerkschaften, der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG). Der Bundesvorsitzende der DPolG, Rainer Wendt, beklagt, die GdP verfolge „eine politische Agenda“ gegen die Grenzkontrollen der Bundespolizei. Die GdP zeige sich kleinkariert und „nörgelt wegen der Überstunden rum“. Der Vorsitzende der GdP, Jochen Kopelke, hält dagegen: „Natürlich kritisiere ich Zwölf-Stunden-Schichten, Urlaubssperren und Überstunden“ und begründet das auch mit seiner Fürsorgepflicht als Arbeitnehmervertreter. Kopelke sieht die von Innenminister Dobrindt (CSU) angeordneten Zurückweisungen als „rechtswidrige Maßnahmen“. Die GdP hatte Beamte zuvor gewarnt, sie könnten durch die Zurückweisung von Asylsuchenden geltendes Recht brechen. Der oberste Dienstherr der Bundespolizei, Innenminister Dobrindt, hält trotz eines Urteils des Berliner Verwaltungsgerichts gegen die Zurückweisungen an den Grenzen weiter an seiner Anordnung fest und will die rechtliche Lage vom Europäischen Gerichtshof klären lassen.
Bedenklicher Rekord

Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen hat weltweit einen neuen Höchststand erreicht. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind in diesem Sommer mehr als 122 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Kriegen, Krisen und Verfolgung. Dabei versuchen viele der Geflüchteten, möglichst nahe ihrer Heimat im eigenen Land oder in Nachbarstaaten unterzukommen, was diese Regionen vor große, teilweise nicht zu bewältigende Aufgaben stellt. Länder wie Jordanien, der Libanon, Äthiopien oder Kenia tragen die Hauptlast. Es fehlen Unterkünften, medizinische Versorgung, Schulen und berufliche Perspektiven, was dann wiederum für Konflikte in diesen Regionen sorgt. Für Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) geht es um Versorgung und Zukunftsperspektiven. „Für mich ist das eine Frage von Mitmenschlichkeit und Solidarität. Es liegt aber auch im Interesse Deutschlands, wenn Menschen in der Nähe ihrer Heimat bleiben können und sich nicht auf die gefährliche Weiterflucht nach Europa machen müssen.“
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Freund oder Feind? Wer weiß das schon in diesen Tagen. Denn die politischen Koordinaten verrutschen gerade in Europa. Linksgläubige Gemüter mit emanzipatorischem Ansatz halten plötzlich zu den frauenfeindlichen Mullahs des Iran. Und tendenziell antisemitische Rechte stellen sich hinter Israel.
Etwas ist in Bewegung. Alte Allianzen zerfallen. Neue Bündnisse entstehen dort, wo man sie nie vermutet hätte. Wer mit wem, warum und wozu – die politische Logik früherer Jahrzehnte gilt nicht mehr.
In Europas Öffentlichkeit zählt nun oft nicht so sehr das Ziel, sondern die gerade angesagte Haltung. Genauer gesagt: die modische Anti-Haltung. Man vereint sich nicht mehr für ein Projekt, sondern geht gemeinsam gegen ein Feindbild vor. Die Front verläuft gegen „den Westen“, „die Nato“ oder „Israel“. So findet man Zustimmung – selbst wenn Anliegen gestützt werden, die kaum ins eigene Weltbild passen.
Polarisierung ersetzt Prinzipientreue. Der moralische Kompass dreht sich im Kreis. Gerade Europas Mitte, die jahrzehntelang Stabilität garantierte, steht unter Druck. Sie wird angefeindet, weil sie differenziert. Das gilt nicht als Stärke, sondern als Schwäche – obwohl es der Versuch ist, Ränder einzufangen und Gemeinsames statt Trennendes zu suchen.
Es braucht keine neuen Lager, sondern Prinzipienfestigkeit: Menschenrechte, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit. Wer dafür eintritt, sollte nicht zwischen die Fronten geraten.
Denn wer mit autoritären Kräften paktieren will, nur weil sie gegen den „richtigen Feind“ kämpfen, verspielt mehr als seine Glaubwürdigkeit: Er riskiert Europas moralische Substanz.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.