Drei Fragen
„Die Entbürokratisierung läuft an“
Der Erfolg von „weniger Bürokratie“ hänge auch davon ab, ob man sich darauf einlasse. Immerhin gibt es genügend „Besitzstandswahrer“, sagt der Präsident der Bundesnotarkammer, Markus Sikora.
Herr Sikora, bei der Entbürokratisierung sind Notare ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft. Ist die neue Regierung auf einem guten Weg?
Die Notare haben da schon ordentliches Vertrauen, die Entbürokratisierung läuft ja bereits an, Start-ups sollen zukünftig innerhalb weniger Tage anfangen können. Der Erfolg hängt aber auch von anderen Playern ab: ob sie sich darauf einlassen oder ob jeder nur schaut, wo kann er seinen Besitzstand wahren, ob man auch offen ist für Digitalisierung, die ja dann ganz automatisch zur Entbürokratisierung führen wird. Und ich bin guter Dinge, dass es klappen wird.
Wer ist denn jetzt Ihr Ansprechpartner als Notarverband, das Digitalministerium oder weiter das Justizministerium?
Wir sind ja primär mit dem Bundesministerium für Justiz verhaftet, was sich aufgrund unserer Profession erklärt. Aber durch das neu eingerichtete Ministerium bemerken wir, dass da so ein bisschen Schub auch in die anderen Ministerien reingekommen ist, was wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn es das neue Ressort nicht gäbe. Ich warne allerdings davor, dass mit der digitalen Entbürokratisierung viel Geld gespart werden kann. Verwaltung kostet Zeit und damit natürlich mittelbar Geld und die staatlichen Verwaltungsabläufe bleiben ja bestehen, sollen in Zukunft nur vereinfacht und damit schneller werden. Unternehmensgründungen, die jetzt bis zu ein paar Monate dauern, könnten in wenigen Tagen erledigt sein.
Inwieweit müsste das Bundesjustizministerium dafür eigene Aufgaben abgeben?
Also, ich glaube nicht, dass das Bundesjustizministerium Kompetenzen abgeben muss. Wir haben auch Digitalisierungsprojekte mit dem Justizministerium in der Vergangenheit zusammen erfolgreich durchgeführt. Zum Beispiel das Zentrale Vorsorge- und Testamentsregister. Also die reinen Fachverfahren werden in Zukunft auch weiter die zuständigen Ministerien ausführen. Doch zukünftig soll die Digitalisierung ressortübergreifend gebündelt und koordiniert werden, damit die Bürger weniger Verwaltungsaufwand haben, zum Beispiel ihre persönlichen Daten nicht doppelt und dreifach angeben müssen. Interview: Sven Bargel
Autobahn-Chaos geht ins Finale
Deutschlands höchstfrequentiertes Autobahnkreuz auf der A 100 ist am ersten Novemberwochenende so gut wie dicht gewesen. Dies wird allerdings nur der Auftakt für weitere umfassende Sperrungen in den kommenden zwei Jahren sein. Bereits im April musste die akut einsturzgefährdete Ringbahnbrücke abgerissen werden. Am ersten Novemberwochenende wurden nun die Restbestände der Brücke, die direkt über das Kreuz Funkturm von Süd nach Nord verlief, weggebaggert. Damit können nun die ersten Neubauarbeiten der Berliner Stadtautobahn am Kreuz Funkturm beginnen. Insgesamt zwei Brücken sollen innerhalb von 22 Monaten neu gebaut und spätestens im August 2027 wiedereröffnet werden.
11.000 Menschen änderten den Geschlechtseintrag
Seit dem 1. November vergangenen Jahres gilt das Selbstbestimmungsgesetz, wonach die Bundesbürgerinnen und -bürger ihren Geschlechtseintrag auf dem Standesamt ohne vorherige Prüfung ändern lassen können. Im ersten Jahr haben mehr als 11.000 Personen davon Gebrauch gemacht und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Dabei wurden zahlenmäßig die meisten Anträge in Berlin beurkundet, rund 2.400 Menschen, danach folgt Hamburg mit 900 Änderungen. Dahinter kommen München und Köln mit je knapp 700. Auffällig dabei: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl wurden bundesweit in Leipzig die meisten Änderungen des Geschlechts vollzogen. Hier waren es 151 Änderungen pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Hannover mit 98 und Bonn mit 86. Aus den gesamten Rückmeldungen lässt sich ein leichter Trend ablesen, wonach vormals weibliche Personen häufiger ihren Geschlechtseintrag zu männlich ändern ließen als umgekehrt.
Stühlerücken bei der Bahn
Die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla macht ernst. Der Staatskonzern soll vom Verwaltungskopf auf Praktiker-Füße gestellt werden. Entscheidungen sollen zukünftig eher von jenen gefällt werden, die direkt dran sind am Produkt und nicht mehr ausschließlich in der Chefetage. Erstes prominentes „Opfer“ des Vorstandsumbaus ist DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta. Ihr Konzept zur Sanierung des Bahn-Güterverkehrs ist nach Einschätzung der Unternehmensberatung Oliver Wyman „objektiv ungeeignet, die Krisenursachen zu beseitigen“. Spätestens mit diesem Testat war Nikutta ihren Job los. Beim Güterverkehr der Bahn sieht es seit Jahren düster aus. Die Zahlen aus den ersten beiden Quartalen 2025 hatten der DB-Cargo-Chefin Nikutta weitere Verluste attestiert: Der Umsatz der Bahntochter ist diesmal um neun Prozent auf 2,5 Milliarden zurückgegangen, ein operativer Verlust von 96 Millionen Euro. Die Nachfolge Nikuttas tritt der ThyssenKrupp-Manager Bernhard Osburg an.
Münchner sind für Olympiabewerbung
Die Münchner haben sich zu fast zwei Dritteln für eine Bewerbung ihrer Stadt als Ausrichter für die Olympischen Spiele 2036, 2040 oder 2044 ausgesprochen. Der Bürgerentscheid ist rechtskräftig, da sich mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten beteiligt haben. Für Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist dies die Vorlage, dass München in einem Jahr den Zuschlag durch den Deutschen Olympischen Sportbund bekommt. Neben München sind noch drei Austragungsorte im Rennen: Berlin, die Rhein-Ruhr-Region und Hamburg. Allen diesen Bewerbungen ist eines gemein: In Kiel sollen auf jeden Fall die Segelwettbewerbe stattfinden. Mit Ausnahme Berlins wollen auch die anderen möglichen Austragungsorte auch über eine Olympia-Bewerbung in ihrer Stadt abstimmen lassen. Berlin verzichtet. Zur Olympiabewerbung im Jahr 2000 belegte man beim IOC-Entscheid den vorletzten Platz.
Ukraine
Rechtliche Bedenken
Der Europäische Rat, die Konsultation aller europäischen Staats- und Regierungschefs, hat sich nicht dazu entschließen können, in der EU geparkte russische Gelder zu beschlagnahmen und sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Belgiens Premier Bart De Wever meldete massive Bedenken dagegen an. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Plan eines Reparationsdarlehens für das Land, finanziert aus jenen Vermögenswerten in Höhe von 140 Milliarden Euro, vorgeschlagen. Rechtlich aber seien viele Fragen offen, diese müssten geklärt werden, so der belgische Premier. In Belgien verwahrt die Institution Euroclear jene Vermögenswerte, vor allem die der russischen Zentralbank, aber auch beispielsweise Wertpapiere russischer Privatanleger. Belgien will bei gerichtlichen Streitigkeiten mit Russland nicht alleine haften und fordert dabei die Unterstützung von allen anderen EU-Ländern. Die Ukraine könnte das Geld brauchen, weil bislang keinerlei weitere finanzielle Unterstützung der USA mehr zu erwarten ist.
„Hanni bleibt“ vorerst
Die Planungen für eine Erweiterung des Uni-Campus in Richtung Stuhlsatzenhaus sind erst einmal gestoppt. Das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan der Stadt Saarbrücken für unwirksam erklärt. Eine schriftliche Begründung für das Urteil lag zunächst noch nicht vor. Geklagt hatte der Umweltverband BUND, der die Bürgerinitiative „Hanni bleibt“ unterstützt hat. Die Stadt, das Land und die Universität haben gemeinsam erklärt, das Urteil zu respektieren. Sie verweisen aber auch darauf, dass bereits heute die Flächen auf dem Campus nicht für den aktuellen Bedarf ausreichten und zusätzlicher Platz für neue Forschungseinrichtungen und Start-ups für ein „dynamisches Wachstum“ dringend gebraucht werde. Dafür sei die „räumliche Nähe ein entscheidender Faktor“. Deshalb werde man eine „rechtssichere Anpassung des Bebauungsplans weiterverfolgen“. Dabei sollen unter Berücksichtigung des Urteils ökologische Aspekte und Maßnahmen zentraler Bestandteil der Bauleitplanung sein. Unter anderem soll mit weniger Pkw-Stellplätzen geplant werden.
Panzerproduktion gesichert
Das Bundesverteidigungsministerium hat sich zur Produktion von „Patria“-Transportpanzern im Saarland bekannt. Zuvor hatte die Intervention einiger Ministerpräsidenten für Diskussionen gesorgt. Die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen hatten gefordert, dass deutsche Rüstungsunternehmen den Zuschlag für ein neues Modell des „Fuchs“- Transportpanzers bekommen sollten. Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger hatte darauf bestanden, an der ursprünglichen Vergabeentscheidung festzuhalten. Das finnische Modell „Patria“ hatte sich in einem Bieterwettbewerb durchgesetzt, der Bundestag hat der Produktion eines Probemodells bereits zugestimmt.
Ab 2027 sollen 3500 „Patria“ bei KNDS in Freisen produziert werden. Gleichzeitig wird das HIL-Werk in St. Wendel für die Reparatur schwerer Panzer ausgebaut.
Autonomes Luxemburg
Das Großherzogtum will Vorreiter in Europa für autonomes Fahren werden. Mobilitätsministerin Yuriko Backes und Wirtschaftsminister Lex Delles haben eine Strategie vorgelegt, wonach Luxemburg bis 2028 das erste europäische Land werden will, in dem autonomes Fahren landesweit ermöglicht wird. Eine entsprechende gesetzliche Grundlage sei in Vorbereitung, wonach dieses Fahren bis Level 4 ermöglicht werden soll. Das heißt, der Fahrer lässt das Fahrzeug weitgehend alleine fahren. Die höchste Stufe 5, bei der es keinen Fahrer mehr gibt, soll allerdings nur in Experimentier-Pilotversuchen möglich sein. Zunächst müsse eine Vielzahl von Fragen geklärt werden, angefangen von Cybersicherheit über Datenschutz, Versicherung, Haftung und vieles mehr. Die erforderlichen intensiven Beratungen sollen nach der Vorstellung der Minister bis 2027 geklärt sein. Autonomes Fahren wäre beispielsweise auf Autobahnen möglich, oder könnte bei Robo-Taxis oder Shuttles zum Einsatz kommen.
Ex-Minister
Lindners neuer Job
Eigentlich sollen ehemalige Bundesminister nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt mindestens ein Jahr pausieren. Doch den ehemaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) drängt es zu Taten. Der 46-Jährige hat nun noch eine neue Aufgabe in der Wirtschaft gefunden, diesmal hauptberuflich. Lindner wird künftig als Senior Advisor bei der amerikanischen Beratungsfirma Teneo tätig sein. Der Sitz von Teneo ist zwar in New York, aber der Hauptwohnsitz Lindners soll wohl Berlin bleiben. Er soll für das weltweit aktive Wirtschaftsberatungs-Unternehmen US-Kunden in geopolitischen Fragen und über die Wachstumschancen Europas beraten. Wann Lindner seinen neuen Job antreten darf, ist noch nicht ganz klar, das richtet sich nach dem Abschluss des Genehmigungsverfahrens durch das Bundeskabinett.
Bis dahin wird dem ehemaligen Finanzminister nicht langweilig. Er hat erst kürzlich verschiedene Mandate für weitere Unternehmen angenommen, darunter im Shareholder-Board des Personalvermittlers Stepstone und im Beirat des Sanierungsunternehmens Hagedorn.
Drohnenattacken sind eine Gefahr für die Wirtschaft
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat angesichts der vergangenen Drohnenattacken die Wirtschaft vor möglichen Angriffen gewarnt. Nicht nur militärische Bereiche oder Flughäfen, sondern auch Industriebetriebe werden sich künftig „stärker rüsten müssen“, warnte Dobrindt. Jedes Unternehmen könne Opfer von Drohnen-Ausspähungen werden, so der Bundesinnenminister. Darum rate er den Unternehmen, sich vorzubereiten. Die Abwehr von Drohnen-Ausspähungen habe derzeit in der Regierung eine „ganz hohe Priorität in unseren Sicherheitsentscheidungen“, so Dobrindt. Dabei gehe es vor allem um die kritische Infrastruktur wie Trinkwasser, Medikamente, Strom oder Verkehrsnetze. Allerdings seien die Unternehmen selbst für den Schutz ihrer Anlagen zuständig. Geplant sei ein Gesetzentwurf, der auch eine allgemeine Regelung „zum Ergreifen geeigneter und verhältnismäßiger Gegenmaßnahmen“ beinhalte.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Völlig ins mediale Abseits geraten ist die Tatsache, dass fast jede Woche Migranten im Mittelmeer ertrinken. Erst vor Kurzem starben 17 Menschen, als ihr Schlauchboot nahe des türkischen Badeortes Bodrum kenterte. Nur zwei überlebten – ein Afghane schwamm sechs Stunden bis zu einer Insel. Rund 1.400 Verzweifelte sind seit Jahresbeginn ohne Schlagzeile in der See verschwunden.
Europa reagiert auf diesen Notstand weiterhin schwach. Zwar sinken die Zahlen der Asylanträge und illegalen Grenzübertritte derzeit. Frankreich und Spanien werden zunehmend Hauptziele für Schutzsuchende – nicht mehr Deutschland. Doch seit Jahren angewandte Maßnahmen wie Grenzsicherung, Umverteilung und Kooperation greifen nur bedingt. Lokale Behörden und Kommunen stehen vor Problemen bei Unterbringung und Integration, während nationale Regierungen kaum eine abgestimmte Lösung finden.
Unterschiedliche nationale Interessen und der Druck populistischer Parteien verschärfen die Spannungen. Einige Staaten setzen auf Abschottung. Andere fördern schnellere Integration. Dieser Flickenteppich nationaler Regelungen ist ineffizient.
Nur Herzlose sehen in Migration reine Statistik: Sie ist menschliche Realität, die Politik, Planung und Zusammenleben prägt. Und doch fehlt ein Jahrzehnt nach 2015 eine gemeinsame Strategie, die Sicherheit, Integration und Verantwortung vereint. Der nächste Seelenverkäufer, der kentert, wird erneut zeigen, wie nah menschliches Leid, politische Debatte und europäische Uneinigkeit beieinanderliegen.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.