Drei Fragen
„Schmerzgrenze bei Beiträgen ist erreicht“
Es brauche sofort Strukturreformen mit echter Effizienzverbesserung – dies sei ein Gebot der Stunde für die neue Bundesregierung, fordert die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.
Frau Reimann, die Zusatzbeiträge für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sind Anfang des Jahres reichlich gestiegen, wird das zum Normalfall in den nächsten Jahren?
Das hoffe ich nicht und das ist auch nicht im Sinne aller Gesetzlichen Krankenversicherer. Die Schmerzgrenze bei den Beitragserhöhungen ist für meine Begriffe erreicht. Der Anstieg Anfang dieses Jahres ist in einer Höhe ausgefallen, wie wir das viele, viele Jahre nicht gekannt haben. Wir brauchen ganz dringend eine Stabilisierung der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen. Das heißt zuallererst, aus den Einnahmen der GKV dürfen nicht länger versicherungsfremde Leistungen finanziert werden. Das sind die Pauschalen für Bürgergeldempfänger, oder aber auch die Klinikreform, die von den Gesetzlichen mit insgesamt 25 Milliarden in den kommenden zehn Jahren finanziert werden soll.
Das fordern Sie schon seit Längerem, aber von der Politik gibt es diesbezüglich keine Signale, wo könnte denn noch gespart werden?
Eine Sofortmaßnahme wäre die Aussetzung der Mehrwertsteuersätze für Arzneimittel. Da könnte man sehr schnell entsprechende Volumina erreichen und die GKV finanziell entsprechend entlasten. Aber langfristig braucht es jetzt sofort Strukturreformen mit echter Effizienzverbesserung. Das ist das Gebot der Stunde. Die Situation ist dramatisch, wir können nicht immer weiter noch mehr Geld in das System geben und weitermachen wie bisher, damit bekommt man die Kosten nicht in den Griff.
Zur Orientierung, wie hoch werden die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherer in diesem Jahr sein?
Wir rechnen in diesem Jahr mit Einnahmen von 341 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt wird in diesem Jahr um die 480 Milliarden liegen. Diese 341 Milliarden in 2025 sind sehr viel Geld. Und wir wollen, dass die Beitragszahlenden dafür vernünftige Leistungen bekommen, darauf haben sie einen Anspruch. Doch das wird durch versicherungsfremde Leistungen, wie der Klinikreform von Karl Lauterbach, mit 2,5 Milliarden jedes Jahr konterkariert. Für mich ist klar, die gesetzlichen Krankenversicherungen sind nicht dafür zuständig, dass wir jetzt Kliniken mit dem Geld der GKV-Beitragszahler renovieren, das ist eine ausschließlich staatliche Aufgabe. Interview: Sven Bargel

Rüstungsexporte auf Rekordhoch
Die Militärexporte aus Deutschland haben 2024 mit einem erneuten Plus gegenüber dem Vorjahr von rund zehn Prozent auf 13,3 Milliarden Euro einen weiteren Rekordwert erreicht, so das Bundeswirtschaftsministerium. Der größte Teil dieser Umsatzsteigerungen ging dabei wie im vergangenen Jahr an die Ukraine, die für ihren Kampf gegen Russland mit Waffen und militärischer Ausrüstung aus Deutschland im Wert von rund 8,15 Milliarden Euro versorgt wurde. Damit bleibt Deutschland, hinter den USA, nach Wert der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Unter den Rüstungsherstellern steht bei den Umsätzen an erster Stelle Rheinmetall. Das größte deutsche Rüstungsunternehmen erzielte mit Geräten wie der Panzerhaubitze 2000 im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund zehn Milliarden Euro. Gefolgt wird die Düsseldorfer Waffenschmiede von KNDS Deutschland, unter anderem Lieferant des Leopard 2 Panzers oder des Truppentransporters Dingo. An dritter Stelle kommt Hensoldt, das Unternehmen hat sich auf elektronische Verteidigungstechnologie wie Radarsysteme spezialisiert.
Milliardenvertrag mit französischer Bahn
Der viertgrößte deutsche Stahlkonzern Dillinger Saarstahl wird Lieferant für CO2-reduzierte französische Schienen. Der entsprechende Vertrag zwischen SNCF Réseau und der Konzerntochter Saarstahl Rail wurde kürzlich im französischen Schienenwerk in Hayange im Beisein der französischen Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher unterzeichnet. Der Vertrag im Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro läuft über sechs Jahre und soll nach Angaben des Unternehmens durch Kreislaufwirtschaft insgesamt 200.000 Tonnen CO2 einsparen. Alte Schienen werden am Saarstahl-Standort Ascoval bei Lille eingeschmolzen, aufbereitet und in Hayanage zu neuen Schienen geformt. Dies sichert an beiden Unternehmensstandorten 1000 Arbeitsplätze, so Nadine Artelt, die beide Werke leitet.
EU will Bürokratie abbauen
Die EU-Kommission verspricht in einem Entwurf zur kommenden Wirtschaftspolitik ein vehementes Vorgehen gegen Bürokratie, so heißt es in einem Strategiepapier. Der erste Vorstoß beinhalte Vereinfachungen in der Berichterstattung über nachhaltige Finanzen und Sorgfaltspflichten. Dabei kann es etwa um das europäische Lieferkettengesetz gehen, mit dem große Firmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten verantwortlich gemacht werden können. Neben Bürokratieabbau gehe es darum, Investitionen in Zukunftstechnologien zu fördern, klimafreundliche Technologien zu unterstützen und Energiepreise zu senken. Ein Wettbewerbsfähigkeits-Check soll aber neue Initiativen stärker unter die Lupe nehmen. Dabei gehe es um Kostenunterschiede im Vergleich zu Wettbewerbern wie den USA und China.
Warnstreiks drohen
Bereits Anfang Februar könnte es im öffentlichen Dienst zu ersten Warnstreiks der öffentlichen Angestellten kommen. Die erste Tarifrunde zwischen Deutschem Beamtenbund (DBB), der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Arbeitgeberseite von Bund und Kommunen war nach wenigen Stunden für gescheitert erklärt worden. Kernforderung der Arbeitnehmerseite waren acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350 Euro, vor allem für die unteren Gehaltgruppen. Bund, Länder und Kommunen lehnen dies als nicht finanzierbar ab. Vom Tarifvertrag im öffentlichen Dienst sind über 2,6 Millionen Beschäftigte betroffen. Hinzu kommen knapp 370.000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte sowie fast 600.000 Versorgungsempfänger beim Bund, auf die der Tarifabschluss übertragen werden soll. „Unsere Forderungen liegen seit dem 9. Oktober auf dem Tisch. Wo bleiben die konkreten Angebote von Bund und Kommunen? Wenn uns die Arbeitgeber in den Verhandlungen nur immer wieder die Finanzkrise der Kommunen vorhalten, kommen wir keinen Schritt weiter“, so DBB-Verhandlungsführer Volker Geyer kämpferisch.
Stopp von Billig-Importen aus China gefordert

Deutschland wird aus China seit Jahren von Billig-Importen überflutet, egal ob Kleidung, Elektronik, Küchengeräte oder Kleinmöbel. Führend dabei: die Plattformen Temu und Shein. Die Bedingung: Bei einem Warenwert pro Päckchen unter 150 Euro ist die Sendung zollfrei. Nun starten der Handelsverband Deutschland (HDE), die Deutsche Steuergewerkschaft (DSTG) und die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) eine Kampagne dagegen. Es gehe den drei Verbänden vor allem um die Durchsetzung europäischer Standards bei Produktsicherheit und Umwelt- und Verbraucherschutz. Die derzeitige Regelung führe zu massiven Wettbewerbsverzerrungen. Im letzten Jahr wurden über vier Milliarden Pakete aus Drittstaaten direkt an Verbraucher im EU-Binnenmarkt verschickt, wobei alle Kontrollen umgangen wurden. Eine Forderung: Kurzfristig soll die EU strengere Anforderungen an die Online-Marktplätze stellen. Auf Bundesebene fordern die Verbände die Abschaffung der Zollfreigrenze.

Offener Brief
Für ein Ende der Kontrollen
Während CDU-Chef Friedrich Merz ein verschärftes Grenzregime fordert, widerspricht ihm der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt, ebenfalls CDU, in offenen Briefen. Darin fordert der OB mehr EU statt mehr Bundespolizei: Nationale Sicherheitsinteressen müssten mit Grundprinzipien der europäischen Integration in Einklang gebracht werden. Gerichtet wurden die Briefe an den amtierenden Kanzler Scholz und den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Saarbrücken müsse als Eurometropole ungehindert mit Frankreich verbunden bleiben, so Conradt. Tausende Pendler überqueren tagtäglich die Grenze zwischen den Nachbarstaaten. Die Kontrollen führen zu Verzögerungen und seien ein Resultat mangelnder nationaler Zusammenarbeit in Europa. Zur Fußball-EM in Frankreich hatte Deutschland Grenzkontrollen eingerichtet, die im Herbst auf alle Außengrenzen ausgedehnt wurden, um Schleuserkriminalität und irreguläre Einreisen zu unterbinden.
Pflege
Wandel gefordert

Fünf Verbände, Deutscher Pflegerat, BAG Selbsthilfe, Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Pflegende Angehörige und die Stiftung pflegender Angehöriger, fordern von der zukünftigen Bundesregierung eine konzertierte Aktion Pflege. „Pflege in allen Bereichen wird die große Herausforderung in den kommenden zehn Jahren“, sagt die Präsidentin des Deutschen Pflegerates Christine Vogler im FORUM-Gespräch. Die Pflege brauche eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Beteiligten. Das Ziel sei eine Pflege, die Menschen in ihrer Vielfalt gerecht werde, sagt Vogler. Sie mahnt einen grundlegenden Wandel in der Pflegepolitik an. Dazu gehört unter anderem die Ausweitung der Anerkennung von Pflegezeiten von Angehörigen, was auch Auswirkungen auf die zukünftigen Rentenansprüche der Pflegenden hätte. Die Nacht- und Kurzzeitpflege müsse bedarfsgerecht ausgebaut werden, dies könne finanziell aber nicht nur von den Pflegekassen und den Kommunen getragen werden, hier sei der Bund gefordert, sagt Vogler.

Umwelthilfe: Förderpraxis verteuert Wärmepumpen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die derzeitige Förderpraxis der Bundesregierung für Wärmepumpen als ineffizient und verbraucherfeindlich. Das aktuelle System der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), das prozentuale Zuschüsse für den Einbau bis zu 30.000 Euro Gesamtkosten bietet, treibt die Kosten für Wärmepumpen in die Höhe. Dies mache Wärmepumpen in Deutschland im europäischen Vergleich deutlich teurer als in anderen Ländern. Dadurch bleibe trotz der Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes der erhoffte Wärmepumpenhochlauf bisher aus, so die Umwelthilfe. Auch deshalb drohe Deutschland erneut die Klimaziele im Gebäudebereich zu verfehlen. Im Forderungspapier verlangt die DUH daher eine grundlegende Neuausrichtung der Förderung, um den Einsatz der klimafreundlichen Technologie zu beschleunigen. Eine neue Förderpraxis mit Festbeträgen würde Anreize für kosteneffizientere Lösungen schaffen, so die Deutsche Umwelthilfe.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Zwei Wochen Trump – eine kurze Zeit in der Geschichte. Und doch ist viel passiert. Besonders, was Europa angeht. Legendär, wie Trump den EU-Wirtschaftskapitänen in Davos drohte: „Wenn Sie Ihre Produkte nicht in den USA herstellen, werden Sie Zölle haben.“
Das Weiße Haus legt ein politisches Höllentempo vor. Da kommt die übergewichtige Europäische Union nicht mit. Beispiel Künstliche Intelligenz: Trump hebt alle Regularien auf, die EU muss erst überlegen. Beispiel Kryptowährungen: Bei Trump Chefsache, in der EU Bedenken. Beispiel Palästina: Trump stoppt Geld für terrorverdächtige UN-Organisationen, die EU zahlt.
Man muss Trump nicht mögen. Vieles ist unausgegoren, symbolisch, populistisch. Doch wahr ist: Der Mann ist nicht umständlich. Das ist nötig in einer pfeilschnellen globalisierten Welt. Was heute nicht entschieden wird, kann morgen schon Ladenhüter sein.
Es fehlt an Mut fürs Risiko in „Good Old Europe“. Der deutsche Dampfmaschineninnovator Max von Eyth sagte: „Wer nicht manchmal das Unmögliche wagt, wird das Mögliche nicht erreichen.“ Das war Ende des 19. Jahrhunderts, gilt aber auch im heutigen Europa.
Zwar wird der EU oft mehr Bürokratie zugeschrieben, als sie tatsächlich birgt. Dennoch: Regulation kann hemmend sein. Sie blockiert das Entstehen europäischer Silicon Valleys.
Trumps neue Behörde für Regierungseffizienz ist im Kern eine gute Idee. Ein EU-Kommissar für Wirkkraftkontrolle wäre nicht schlecht. Trump braucht zwei Wochen, woran wir Jahrzehnte doktern. Das muss sich ändern. Entfessle Dich und werde frei, Europa!
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.