Drei Fragen
„Gefahr für Patienten ist groß“
Der Gesetzgeber hat den Boom-Markt für gefälschte Medikamente nicht mehr im Griff, so der Direktor des Zentrums für Europäisches Strafrecht, Prof. Arndt Sinn.
Professor Sinn, wie gefährlich sind die illegalen Internet-Apotheken?
Die Gefahr ist vor allem für die Patienten groß, da die gar nicht wissen, was da in den verschreibungspflichtigen Medikamenten wirklich drin ist. Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, auch wenn in einem bestimmten Präparat die versprochenen Substanzen enthalten sind, stimmen die Dosierungen nicht. Doch oftmals sind die Präparate auch völlig anders zusammengesetzt. Das gilt vor allem für die Lifestyle-Medikamente bei Potenzstörungen, für den Muskelaufbau, Aufputschmittel und natürlich im Beautybereich. Da werden Substanzen zusammengebraut, wo selbst Chemiker Mühe haben, alle Substanzen Zweifelsfrei zu analysieren.
Ist es denn der Preis, warum immer mehr Menschen bei illegalen Internet-Apotheken ihre Präparate bestellen?
Na erst einmal kann ich dort verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept beziehen. Dann sind dort Namenhafte Produkte preiswerter zu bekommen. Für mich das größte Ärgernis, oftmals merken die Kunden gar nicht, dass das Portal illegal ist. Nun gibt es zwei Sicherheitsstandards. Das ist das Versandhandelslogo, also das weiße Kreuz auf grünem Hintergrund und das Versandhandelsregister. Stimmt die Nummer nicht mit der UHL überein, handelt es sich um einen illegalen Versandhandel. Doch viele Kunden wissen das überhaupt nicht, und damit ist diesen illegalen Apotheken mit den gefälschten Produkten Tür und Tor geöffnet.
Doch gerade im Bereich der pharmazeutischen Produkte gibt es doch sehr viele Gesetze, Verordnungen und Auflagen, warum greifen die nicht im Internet?
Der Markt von illegalen Internet-Apotheken ist unüberschaubar, machen die Ermittlungsbehörden heute ein Portal zu, taucht es wenig später unter anderem Namen wieder auf. Damit hat der Gesetzgeber diesen Boom-Markt für gefälschte Medikamenten nicht mehr im Griff. Man darf nicht die Gewinnmargen vergessen. Wir hatten kürzlich den Fall eines Betreibers einer kleinen illegalen Netz-Apotheke in Brandenburg der innerhalb von zwei Jahren nachgewiesenermaßen 21 Millionen Euro verdient hat. Die wirklichen Verdienst-Dimensionen mit illegalen Internet-Apotheken, lässt sich damit nur erahnen. Interview: Sven Bargel
Kandidaten-Debatte in der SPD
Eine endgültige Entscheidung über die Kanzlerkandidatur will die SPD-Parteiführung offenbar auf einer „Wahlsieg-Konferenz“ am 30. November fällen. Für den 11. Januar ist ein Bundesparteitag geplant, auf dem die vom SPD-Bundesvorstand empfohlene Personalie von den Delegierten bestätigt werden soll. Bislang gilt Bundeskanzler Olaf Scholz als Spitzenkandidat als gesetzt. Allerdings haben mehrere SPD-Politiker offen Zweifel an seiner Kandidatur geäußert, da seine persönlichen Umfragewerte hinter denen von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) liegen. Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering fordert eine offene Debatte. „Kanzlerkandidatur ist kein Spiel, das zwei oder mehr Kandidaten abends beim Bier vereinbaren oder das ein Vorrecht auf Kanzlerkandidatur umfasst“, so der ehemalige SPD-Chef. Müntefering fordert, die Wahl eines Kanzlerkandidaten müsse auf einem SPD-Parteitag erfolgen. Als möglicher Ersatz für Scholz wird immer wieder Verteidigungsminister Boris Pistorius genannt, der seit Monaten als beliebtester Politiker Deutschlands die Umfragen anführt.
Irritationen nach Kanzler-Anruf bei Putin
Ausgerechnet die Grünen sind überrascht vom Telefonat von Bundeskanzler Scholz mit Russlands Präsident Putin, auf Initiative des Kanzleramts. Der grüne Außenexperte Robin Wagener kritisiert mit Blick auf die derzeit fehlende Mehrheit der Regierungskoalition: „Nie war Olaf Scholz machtloser als zum jetzigen Zeitpunkt.“ Wageners Befürchtung: Auch Russlands Präsident Putin kennt diese Schwäche und ist genau deshalb jetzt für den deutschen Kanzler erreichbar. Für den Vorsitzenden der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe des Bundestages Wagener stellt sich daher die Frage, ob Scholz einen Wahlkampf als „Friedenskanzler“ plane. Das Auswärtige Amt war nach eigenen Angaben jedenfalls nicht über die Telefon-Initiative des Kanzlers informiert und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) tappte diesbezüglich offenbar im Dunkeln.
Macron gegen Mercosur
Das Freihandelsabkommen Mercosur steht in seiner aktuellen Form auf der Kippe. Frankreich will es so nicht unterzeichnen, sagte Staatspräsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Südamerika. Das französische Argument: das Abkommen respektiere derzeit nicht die Produktionsbedingungen. In Frankreich werde mit hohen EU-Standards produziert, in den Staaten des Mercosur-Bündnisses dagegen nicht. Der Widerstand Frankreichs, einem der größten EU-Agrarproduzenten, gegen das Abkommen ist seit Längerem bekannt. Dagegen haben in diesem Jahr bereits mehrfach französische Bauern protestiert. Sie fürchten die Öffnung des EU-Marktes für billigere südamerikanische Produkte, die zugleich unter niedrigen Umweltschutzbedingungen entstanden sind. Mit dem Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Es soll vor allem Zölle abbauen und damit den Handel ankurbeln.
Ampelbruch mit Vorsatz
Indirekt hat die FDP bestätigt, dass das Ende der Koalition mit SPD und Grünen in mehreren Spitzentreffen der FDP-Führung zumindest thematisiert wurde. „Das gehört nun mal in der Politik dazu, dass man sich in den Spitzengremien einer Partei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Auch das haben wir selbstverständlich getan“, so ein FDP-Vertreter des inneren Zirkels der Liberalen gegenüber FORUM, der nicht namentlich genannt werden möchte. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen zeigten sich empört über Berichte deutscher Medien, wonach bereits seit September vorsätzlich der Bruch der Ampel-Koalition vorbereitet wurde. FDP-Chef Christian Lindner reagierte mit einer betont gelassenen Frage auf die Vorwürfe: „Es ist Wahlkampf, wo ist die Nachricht?“ Der ehemalige Finanzminister wirft wiederum Kanzler Scholz vor, dass dieser bereits im Sommer über seinen Rauswurf nachgedacht habe. Bei den FDP-Treffen zum „Ampel-Exit“ sollen alle weiteren FDP-Bundesminister anwesend gewesen sein, der Bruch sollte strategisch und absichtlich herbeigeführt werden, heißt es in den Berichten von „Zeit“ und der „Süddeutschen“.
Kandidatur
Kritik an Haldenwang
Nicht mal eine Woche nach dem Ende der Ampelkoalition bekam Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Kündigung eines ihrer höchsten Beamten auf den Schreibtisch: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang legte aus parteipolitischen Gründen sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Der 64-Jährige wird bei der vorgezogenen Bundestagswahl für seine Heimatstadt Wuppertal als CDU-Direktkandidat antreten. Nach der Ankündigung hagelte es umgehend Kritik an seinem Handeln. Ihm wird vorgeworfen, als Verfassungsschutzpräsident sein Amt politisch nicht neutral geführt zu haben. Unter anderem wurde unter seiner Leitung die AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und steht seitdem unter Beobachtung. „Ich habe mein Amt immer neutral ausgeübt“, verteidigt sich Haldenwang. Wer ihm als Präsident des Bundesamtes nachfolgt ist unklar, für eine Übergangszeit könnten der Vizepräsident, Sinan Selen, oder die Vizepräsidentin, Silke Willems, das Amt übernehmen.
Grenzkontrollen überprüfen
Das Luxemburger Parlament (Chamber) hat die Regierung aufgefordert, sich bei der EU-Kommission für eine Überprüfung der Grenzkontrollen einzusetzen. Die Parlamentarier befürchten, dass die eigentlich nur in Ausnahmesituationen zulässigen Kontrollen zur Normalität würden. In den letzten Wochen seien 51 Menschen an der Einreise gehindert worden, „das spricht nicht für eine große Migrationsbewegung“, sagte Meris Sehovic von den Grünen. Das sehe eher nach Symbolpolitik aus. Der Behauptung, seither seien weniger Migranten illegal eingereist, hielt Innenminister Léon Gloden entgegen, dass nach Angaben von Frontex die Zahl unerlaubter Einreisen an den EU-Außengrenzen in diesem Jahr um 42 Prozent zurückgegeangen sei. Außenminister Xavier Bettel betonte: „Damit Ausnahmen Ausnahmen bleiben und keine Regel werden, brauchen wir einen Schengen-Raum, der funktioniert“, und ergänzte: „Wir können die Errungenschaften nicht wegen Populismus für die nächsten Generationen aufgeben.“
Partei
Toscani bleibt CDU-Chef
Stephan Toscani bleibt Landesvorsitzender der CDU Saar. Er wurde auf einem Parteitag in Illingen von 94,5 Prozent der Delegierten im Amt bestätigt. Er hatte die Führung der Partei nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2022 übernommen. In einer Bilanz sagte Toscani im Blick auf das gute Abschneiden der CDU bei den Kommunalwahlen im Sommer: „Wir haben offenbar ein paar Sachen richtig gemacht.“ Der SPD-Landesregierung warf er vor, „planlos, glücklos und erfolglos“ zu agieren. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen und der Rückschläge bei Ansiedlungen forderte Toscani für das Saarland „ein neues Geschäftsmodell“. Dabei müssten Mittelstand, Handwerk und Familienunternehmen im Mittelpunkt stehen und vorhandene Innovationspotenziale besser genutzt werden.
Neben den landespolitischen Themen bereitete der Parteitag auch die Bundestagswahl vor. Die Ampel sei die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten gewesen, kritisierte Toscani. Als Gastredner kündigte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen Regierungs- und Politikwechsel an und forderte für Deutschland einen „Mentalitätswechsel“. (Siehe auch Bericht S. 42.)
Bundesbank
Zölle belasten Deutschland
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel befürchtet Verwerfungen im Welthandel, sollte der designierte US-Präsident Donald Trump seine Zollpläne wahr machen. Trump habe angekündigt, die Zölle auf ein breites Spektrum von Waren deutlich zu erhöhen. „Wenn die US-Regierung diese Versprechen in die Tat umsetzt, könnte dies einen bedeutenden Wendepunkt für die internationale Handelsordnung darstellen“, so Nagel. „Wenn ein Land die Zölle stark erhöht und die betroffenen Länder Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, könnte es zu einem deutlichen Anstieg des Inflationsdrucks kommen.“ Doch selbst wenn die internationalen Spannungen zunehmen sollten, hätten Zentralbanker alle nötigen Instrumente, um darauf zu reagieren. „Für das Eurosystem würde eine spürbare Verringerung der globalen Integration letztlich bedeuten, dass es die Zinsen erhöhen müsste, um die Inflation unter Kontrolle zu halten.“ Auch für die deutsche Wirtschaft hatte Nagel bereits vor möglichen schweren Folgen von Trumps Ankündigungen gewarnt. „Sollten die Zollpläne umgesetzt werden, könnte uns das in Deutschland durchaus ein Prozent der Wirtschaftsleistung kosten“, sagte Nagel kürzlich der „Zeit“.
Grünes Duo
Der Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden ist erstaunlich geräuschlos über die Bühne gegangen. Zu größeren parteiinternen Streitigkeiten ist es während des dreitägigen Konvents nicht gekommen. Bündnis 90/Die Grünen werden zukünftig vom Duo Franziska Brantner aus Baden-Württemberg und Felix Banaszak aus Nordrhein-Westfalen als Parteivorsitzende geführt. Brantner gilt als Realpolitikerin und wurde mit 78 Prozent gewählt, sie ist eine enge Vertraute von Robert Habeck. Banaszak kam auf 93 Prozent der Delegiertenstimmen und wird dem linken Flügel zugerechnet. Im Mittelpunkt des Parteitages stand die Wahl des Spitzenduos für die anstehende Neuwahl des Bundestages am 23. Februar. Die Delegierten wählten Robert Habeck zum „Kandidaten für die Menschen in Deutschland“. Als Spitzenkandidatin wurde Annalena Baerbock gewählt. Beide sollen als Duo in den Wahlkampf ziehen, wobei Habeck ausdrücklich die Führungsrolle zukommen soll. Der Formulierungskniff um das Wort „Kanzlerkandidatur“ galt als Zugeständnis an die Habeck-Kritiker im Vorfeld des Parteitages.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Aufruhr vorige Woche im Europäischen Parlament! Von „Demontage“ war die Rede. „Trauerspiel“ riefen andere. Oder sie sahen „eine schwarze Stunde“. Was war geschehen?
Die Volksvertretung hatte knapp für die Aufweichung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) gestimmt. Das ist eines der europaweit wichtigsten Umweltgesetze. Es soll die Zerstörung der Wälder aufhalten. Die darin enthaltenen Verpflichtungen für Landwirte, Förster oder Holzhändler werden nun um ein Jahr verschoben. Das erleichtert deren Vorbereitung, ist aber für Umweltschützer ein Frevel.
Doch nicht nur der Gesetzesinhalt verursachte den Unmut, sondern die Umstände, unter denen er zustande kam. Erstmals hatten die Christdemokraten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Gesetz mit den radikalen Rechten durchgesetzt. Klar, dass die Parteien von Meloni, Orbán, Le Pen und Höcke jubelten.
Von der Leyens eigentliche Partner aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen standen hingegen bedröppelt da. Zumal CDU-Parteichef Friedrich Merz nur einen Tag zuvor im Bundestag die Brandmauer nach rechts sehr vehement bekräftigt hatte. Doch die Realität zeigt: Europa ist mit der Wahl vom 9. Juni aus der Mitte weggerückt.
Man kann und darf es beklagen. Aber der Aufwind für Rechts hat sich mit der Wahl des Klimaschutzskeptikers Donald Trump in den USA am Ostufer des Atlantiks weiter verstärkt. Nicolai von Ondarza, Forschungsleiter der Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht ein neues Europa heraufziehen, „in dem Trump der Anführer ist und der Westen ihm folgt“.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.