Drei Fragen
„Rassismus gibt es hier jeden Tag“
„Mein Ziel ist es, den strukturellen Rassismus zukünftig auch klar so zu benennen“, so die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan.
Frau Alabali-Radovan: Was ist der Unterschied zwischen strukturellem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?
Ich fang mal mit Letzterem an, wenn beispielsweise ein Flüchtlingsheim angegriffen wird, sei es mit Schmierereien, durch Vandalismus oder Gewalt gegenüber den Bewohnern, dann ist das klar fremdenfeindlich. Doch der Begriff fremden- oder ausländerfeindlich wird zum Beispiel in den Medien angewandt, wo es eigentlich um strukturellen Rassismus in Deutschland geht. Diesen gibt es jeden Tag in Deutschland, und darum hat sich auch die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, jedes Jahr einen Rassismus-Bericht vorzulegen, mit dem wir die Menschen mit der Auflistung von Fakten für dieses Thema weiter sensibilisieren wollen.
Was sind für Sie typische Beispiele des strukturellen Rassismus?
Wir haben einen praktischen Test gemacht. Eine Protagonistin hat sich mit einem ausländisch klingenden und zeitgleich mit einem deutsch klingenden Namen um Wohnungen beworben. Um überhaupt eine Einladung zu einer Besichtigung zu bekommen, musste sich die Testperson mit ausländisch klingendem Namen fünfmal so häufig bewerben, wie die mit dem deutschen Namen. Aber Rassismus beginnt auch im Umgang mit den Ordnungskräften, wenn beispielsweise Personen mit fremdländischen Aussehen gezielt von der Polizei nach ihrem Ausweis gefragt werden.
Wo beginnt für Sie Rassismus, zum Beispiel bei den schweren Krawallen in der Silvesternacht in Berlin-Neukölln?
Allein die Bemerkung mit den „kleinen Paschas“ schürt doch ganz automatisch rassistische Ressentiments. Es geht doch bei der Aufarbeitung der Gewalt unter anderem gegen Polizei, Feuerwehr und Hilfskräfte in der Silvesternacht allein um die strafrechtliche Aufklärung und die daraus resultierenden Konsequenzen. Die politische Forderung, die Vornamen der vorübergehend Festgenommenen öffentlich zu machen, ist ebenfalls rassistisch motiviert. Es geht hier doch in erster Linie um die Frage: Warum haben sich vor allem so viele junge Menschen von unserer Gesellschaft abgewandt? Im zweiten Schritt muss man dann selbstverständlich schauen, inwieweit hier auch die Integration nicht funktioniert hat.
Franzosen gegen Rentenreform
Die angekündigte Rentenreform hat in Frankreich Massenproteste ausgelöst. Zum Defizit in den französischen Rentenkassen gibt es unterschiedliche Aussagen, je nachdem welche Berechnungen zugrunde gelegt werden. Dass sich am Rentensystem etwas ändern muss, glaubt übrigens die Mehrzahl der Franzosen. Doch über das „Wie“ wird gestritten. Derzeit hat Frankreich eines der großzügigsten Rentensysteme der Welt. Der Durchschnittsrentner erhält im Ruhestand rund Dreiviertel seines früheren Nettoeinkommens und damit mehr als im OECD-Durchschnitt. Der Anteil der Menschen zwischen 55 und 64, die noch arbeiten, beträgt in Frankreich rund 56 Prozent – in Deutschland sind es fast 72 Prozent.
Wird das Rentensystem nicht reformiert, drohen dem französischen Staat Defizite von zehn Milliarden Euro jährlich, schätzen Experten. Durch die Reform soll das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. In Zukunft müssen die Franzosen auch 43 Jahre Beiträge zahlen, um volle Rentenansprüche zu haben.
Vollgas beim Bau der LNG-Terminals
Nachdem für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das vergangene Jahr politisch äußerst schwierig war, läuft das neue Jahr für ihn etwas geschmeidiger an: Innerhalb der ersten drei Januar-Wochen konnten gleich zwei weitere Flüssiggas-Terminals in Betrieb genommen werden. Nun liegt auch vor Brunsbüttel ein schwimmendes Terminal für Flüssigerdgas. An der Elbmündung entsteht damit das dritte schwimmende LNG-Terminal in Deutschland. Vor dem niedersächsischen Wilhelmshaven und vor Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern haben die Terminalschiffe bereits festgemacht. Wenn auch LNG-Terminal Brunsbüttel, vermutlich Ende Februar ans Netz geht, bezieht Deutschland zirka 15 Prozent seines Verbrauchs über Flüssiggas. Damit hat sich Wirtschaftsminister Habeck in seinen Prognosen selbst übertroffen. Er ging ursprünglich davon aus, dass das erste Flüssiggas erst im Frühling eingespeist werden würde. Bis Ende des Jahres sollen noch weitere drei LNG-Terminals ans Netz gehen.
Fachkräftestrategie der Regierung
Mit einer Fachkräftestrategie möchte die Bundesregierung das Problem des Fachkräftemangels angehen. Schon heute fehlen in vielen Branchen gut ausgebildete Fachkräfte, etwa in zukunftsweisenden Bereichen wie Klimaschutz oder für den digitalen Wandel. Laut Fachkräftemonitoring werden 2026 etwa 240.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Für viele Betriebe ist die Suche nach Fachkräften schon heute eine existenzielle Frage. Nur mit ausreichend geschultem Personal könne langfristig in Deutschland der Wohlstand gesichert werden. Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung stützt sich auf fünf Säulen. Neben attraktiven Ausbildungsangeboten, soll die Erwerbsbeteiligung von Müttern erhöht werden durch den Ausbau von Kindertagesbetreuung. Wichtig auch ein Wandel der Arbeitskultur und eine moderne Einwanderungspolitik.
Millionen FFP2-Masken werden verbrannt
Mittlerweile wurden in vier Bundesländern fast 18 Millionen abgelaufene Corona-Masken „thermisch verwertet“, wie es im offiziellen Amtsdeutsch der Länder heißt. Klingt auch besser als verbrannt. Allerdings dürfte dies erst der Anfang einer gigantischen Vernichtung von Steuergeldern sein. Auch das Bundesgesundheitsministerium in Berlin hat in den vergangenen Monaten Masken „energetisch verwertet“. Die Zahl liege bislang allerdings „unter einer Million Stück“, so ein Sprecher des Ministeriums. Die vernichteten Masken wurden in der Hochphase der Pandemie eingekauft. Sie haben ihr Haltbarkeitsdatum überschritten. In den nächsten Wochen werden weitere 800 Millionen Masken in Öfen der Kraftwerke landen. Insgesamt lagern im Bundesbestand noch 3,7 Milliarden Masken, denen offenbar ein ähnliches Schicksal droht, wenn kein Abnehmer gefunden wird. Die Beschaffungskosten nur beim Bund liegen bei fast sechs Milliarden Euro.
Wirtschaft
Handwerk wird teurer
Unter anderem wegen der gestiegenen Energiekosten müssen sich Kunden von Handwerkern auf höhere Preise einstellen. Zunehmend Auswirkungen könnte auch der Mangel an Fachkräften haben, sagte der neue Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Der Mangel werde in den kommenden Jahren in einen kritischen Bereich gelangen, wenn die Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen. „Die Gefahr besteht, dass dann im Handwerk bestimmte Dienstleistungen nicht mehr angeboten werden können. Wir müssen unbedingt und durch gemeinsame Kraftanstrengung von Politik und Handwerk verhindern, dass diese Situation eintritt.“ Dittrich ist seit kurzem Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). „Die Handwerksleistung steht unter einem großem Preisdruck“, sagte er. Löhne, Energiepreise und Sozialversicherungsbeiträge seien gestiegen. Auch die gestiegenen Materialpreise trügen zu einem großen Kostenschub bei. „Die Handwerksleistung wird teurer, weil viele Dinge teurer geworden sind und nicht, weil die Betriebe darauf Lust haben“, sagte Dittrich.
Warten auf das Deutschland-Ticket
Bereits Anfang des Jahres hatte der Präsident des Städte- und Gemeindebundes Uwe Brandl (CSU) im FORUM-Interview betont „Das bundesweite 49-Euro-Ticket wird flächendeckend auf keinen Fall zum 1. April stattfinden, das ist nicht mehr umsetzbar.“ Nun bestätigt Bremens Mobilitätssenatorin, Maike Schäfer (Grüne), der Starttermin April habe sich endgültig erledigt. Aber, so Schäfer, auch der 1. Mai als Starttermin für das Deutschland-Ticket ist absolut nicht sicher. Schuld daran ist das bundesweit komplizierte ÖPNV-Verbundsystem. „75 unterschiedliche Tarife müssen unter einen Hut gebracht werden. Doch die Verhandlungen dazu kommen nicht voran“, so Schäfer. Der Vorwurf von der Verhandlungsdelegation im Bundesverkehrsministerium: Vor allem die Kommunen in den Flächenländern würden bremsen, da für sie das Deutschland-Ticket aufgrund von fehlender ÖPNV-Infrastruktur wenig lukrativ ist. Die angesprochenen Länder weisen diesen Vorwurf aufs schärfste zurück.
Klimaschutzgesetz vorgelegt
Die Saarländische Landesregierung hat mit der Vorlage eines Klimaschutzgesetzes ehrgeizige Ziel formuliert. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 55 Prozent reduziert werden (im Vergleich zu 1990), und bis 2045 soll eine „Netto-Treibhausgasneutralität“ erreicht sein. Die Landesverwaltung will vorbildhaft vorangehen und schon 2035 klimaneutral sein. Vorgesehen ist zudem, dass das Regierungshandeln, also auch Gesetze, einem Klimacheck unterzogen werden. In einem Klimaschutzkonzept sollen konkrete Maßnahmen formuliert werden, die einem regelmäßigen Monitoring unterzogen werden, um gegebenenfalls nachsteuern zu können. Außerdem wird ein Kommunaler Klima Club gegründet.
Eine angstrebte Reduzierung um zehn Millionen Tonnen CO2 bis 2030 bedeutet eine Halbierung des aktuellen Ausstoßes (21,8 Millionen Tonnen CO2). Eine „große Herausforderung, aber altenativlos“, um die Klimaschutzziele zu erreichen, betont Umweltministerin Petra Berg.
Verstorben
Ein politisches Urgestein
Der langjährige Landtagspräsident und Finanzminister Hans Kasper ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Kasper war einer der führenden Politiker der Ära Lafontaine in den 1980er- und 90er-Jahren. In den zehn Jahren als Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident (1985 bis 1994) hatte Kasper wesentlichen Anteil an der ersten Teilentschuldung, die der damalige Ministerpräsident Oskar Lafontaine für das Saarland erstritten hat. Anschließend war Kasper bis 1999 Präsident des saarländischen Landtags, dem er seit 1970 angehört hatte. Seine bodenständige und bürgernahe Art würdigte auch Ministerpräsidentin und SPD-Landesvorsitzende Anke Rehlinger. Bürgernähe sei für Hans Kasper „keine leere Worthülse“ gewesen, er sei „immer ganz nah bei den Menschen, hatte für alle ein offenes Ohr“. Von seinem Engagement hat auch sein Heimatkreis Merzig-Wadern immer wieder profitiert, sei es beim Einsatz um den Erhalt von Arbeitsplätzen oder bei Neuansiedlungen. Auch deshalb unterstreicht der Generalsekretär der Saar-SPD, Christian Petry: „Hans war ein echtes Urgestein und hat in über 40 Jahren aktiver Politik viel bewegt.“
Verordnung per Video
Heilmittel, medizinische Rehabilitation und häusliche Krankenpflege können in Zukunft auch per Videosprechstunde verordnet werden. Voraussichtlich ab Oktober, wenn der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom Bundesgesundheitsministerium nicht beanstandet wird. Der G-BA ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er erarbeitet Richtlinien, welche medizinischen Leistungen Versicherte beanspruchen können und beschließt Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Krankenhäusern und Arztpraxen.
Es gibt jedoch Bedingungen. Bei häuslicher Krankenpflege und bei den Heilmitteln darf es keine Erstverordnung sein, das geht nur bei medizinischer Rehabilitation. Die medizinischen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch müssen zweifelsfrei vorhanden sein, und es gibt für Patienten keinen Anspruch auf eine Videoverordnung. In Ausnahmefällen sind Folgeverordnungen für Heilmittel und häusliche Krankenpflege auch telefonisch möglich.
Bessere Versorgung bei Long Covid gefordert
Vor dem Berliner Reichstag haben Betroffene mit Langzeitfolgen nach einer Covid-19-Infektion (Long Covid), einer -Impfung (Post Vac) sowie Menschen mit dem chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS für eine bessere medizinische Versorgung und mehr Forschung demonstriert. Dazu haben sie 400 Feldbetten aufgestellt. Die Betten symbolisieren laut Initiatorin Ricarda Piepenhagen Betroffene, die selbst nicht mehr aufstehen und dabei sein können. Die Patienten müssen oft Monate warten, bis sie bei den wenigen Spezial-Ambulanzen einen Termin bekommen. „Wenn Sie mehr als 6.000 Patienten auf der Warteliste haben, können Sie nicht mehr selektieren, wer braucht dringender unsere Hilfe und wer weniger“, sagte Prof. Bernhard Schieffer von der Post-Vac-Ambulanz am Universitätsklinikum Marburg dem ZDF. Die Symptome seien identische Symptome, wie man sie von Post-Covid-Patienten kenne, so Schieffer.
Bauboom gestoppt
Inflation, steigende Zinsen und Lieferengpässe haben den Bauboom in Deutschland gestoppt. Mit dramatischen Folgen für den Wohnungsmarkt. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine Trendwende ist nicht in Sicht. 2023 wird die Bautätigkeit weiter zurückgehen. Die Bundesregierung hatte ursprünglich den Neubau von jährlich 400.000 Wohnungen geplant, aber schon in den vergangenen zwei Jahren wurden weniger als 300.000 Wohnungen gebaut, so das DIW. Der Abwärtstrend könnte sich fortsetzen.
In diesem und im kommenden Jahr rechnen die Studienautoren damit, dass verschlechterte Finanzierungsbedingungen und politische Unsicherheit die Investoren noch zurückhaltender agieren lassen.
Gefordert wird ein Masterplan, der nicht nur mit langfristigen Förderprogrammen die Nachfrage stützt. Er müsse auch die Ausweitung der Planungs-, Produktions- und Installationskapazitäten fördern, um Engpässen im Angebot und damit Preissteigerungen entgegenzuwirken.