Gaskraftwerke sollen das Rückgrat der deutschen Energieversorgung bilden, denn nicht immer weht überall Wind. Solarkraft funktioniert ohne Speicher nur tagsüber. Die Strategie der Bundesregierung liegt vor – aber noch gibt es viele Unsicherheiten.
Wind, Sonne, Gas – so sieht die Energiestrategie Deutschlands mittelfristig aus. Der windreiche Norden versorgt künftig einen Großteil des Landes mit Energie, tagsüber auch die aktuell boomenden Solarkraftwerke, die derzeit an Balkonen aufgehängt werden oder auf Feldern stehen. Wenn jedoch kaum Wind weht und die Nacht hereinbricht, sollen Gaskraftwerke übergangsweise übernehmen. Grün hergestellter Wasserstoff soll das fossile Gas dann auf lange Sicht ersetzen, zumindest in großindustriellen, energieintensiven Prozessen der chemischen Industrien oder der Stahlindustrie.
Von Kohle- zu Gaskraftwerken
Im Sommer hat die Bundesregierung daher ihre Kraftwerksstrategie verabschiedet. Demnach sollen zunächst Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 12,5 Gigawatt (GW) zur Förderung ausgeschrieben werden sowie 500 Megawatt (MW) an Langzeitspeichern. Die Gaskraftwerke sollen für eine spätere Umstellung auf klimafreundlicheren Wasserstoff ausgestattet sein, zum Teil sollen auch reine Wasserstoffkraftwerke gefördert werden.
Für den Energieexperten Prof. Dr. Christian Rehtanz ist dies ein Anfang, um die noch vorherrschende Kohlekraft für Deutschlands Energie-Backup zu ersetzen. „Das heutige Gesamtvolumen der Kohlekraftwerke soll nicht vollständig durch die neuen zwölf Gigawatt der staatlich geförderten Gaskraftwerke ersetzt werden, sondern nur ein erster Teil. Die hier geplanten Gaskraftwerke sind somit ein erster Schritt, um alternative Kapazitäten zur Kohle aufzubauen und diese aus dem Markt zu drängen.“
Der Leiter des Instituts für Energiesysteme in Dortmund weist jedoch darauf hin, dass in dem Papier auch von einem technologieneutralen Kapazitätsmarkt die Rede ist. Der soll künftig die Stromversorgung während Dunkelflauten absichern, also während jener Zeiträume, in denen die Sonne nicht scheint und wenig Wind weht und damit auch kaum Energie aus diesen Quellen erzeugt wird. Kraftwerksbetreiber würden in diesem Mechanismus dann dafür honoriert, dass sie Kapazitäten für den Bedarfsfall bereithalten – selbst, wenn diese nur selten abgerufen werden.
Förderung auch für Wasserstoffkraft
Dies aber sei laut Rehtanz auch ein Hinweis darauf, dass neben der notwendigen Kraftwerkskapazität auch die Flexibilität von Verbrauchern und Speichern an Bedeutung gewinnt, die bei beiden durch Digitalisierung und Steuerung der Netze erschlossen werden können. Außerdem gehe es hierbei um das Einbinden kleinerer Erzeuger, insbesondere auch Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, die aktuell gesondert über das Erneuerbare-Energien-Gesetz behandelt werden.
Im Detail ist geplant, dass fünf GW an neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerken gefördert werden und zwei GW an wasserstofffähigen Modernisierungen. Spätestens ab dem achten Jahr nach Inbetriebnahme oder Modernisierung sollen diese mit „grünem“ oder „blauem“ Wasserstoff betrieben werden. Grüner Wasserstoff wird mit Hilfe Erneuerbarer Energien erzeugt, bei der Produktion des blauen Wasserstoffs wird klimaschädliches CO2 eingefangen und beispielsweise unterirdisch gelagert. Hinzu kommen 500 MW an reinen Wasserstoffkraftwerken, die sofort mit Wasserstoff laufen und 500 MW an Langzeitspeichern. Ferner geht es um eine Fördersäule für weitere fünf GW an neuen Gaskraftwerken – das Ministerium geht davon aus, dass auch diese wasserstofffähig gebaut werden.
Für Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Uni Regensburg, geht die Strategie noch nicht weit genug. In Dunkelflauten werde in Deutschland seinen Daten zufolge 50 Gigawatt Leistung benötigt – mehr als bislang geplant. Außerdem fördere die Regierung auch blauen, mithilfe von chemischer Spaltung in Methan und CO2 hergestellten Wasserstoff. Hierbei ist die Einlagerung des klimaschädlichen CO2 noch unklar. „In Zeiten knapper Kassen stellt sich die Frage, warum das BMWK das Gesetz nicht technologieoffen ausgestaltet“, so Sterner. Dazu gehöre etwa die Integration von Wasserstoff aus anderen Quellen: zum Beispiel Power-to-Gas (Synthetic Natural Gas, SNG), also Synthesegas, oder auch Ammoniak und SNG als Wasserstoffderivate – „gerade, um die Risiken des verzögerten Aufbaus der Wasserstoffinfrastruktur abzufedern und die Kosten im Zaum zu halten. Strom aus Reservekraftwerken auf Basis von Wasserstoff ist doppelt so teuer wie auf Basis von Biogas und langwieriger und riskanter in der Umsetzung“, so Sterner.
Grüner Wasserstoff noch Zukunftsmusik
Eine weitere Unbekannte: der Umstieg auf grünen Wasserstoff. Wann, woher und zu welchen Preisen große Mengen Wasserstoff verfügbar sind, ist derzeit schlicht unbekannt. „Hier geht das Kraftwerkssicherheitsgesetz eine Wette auf die Zukunft ein“, sagt Prof. Rehtanz. „Die Etablierung eines technologieneutralen Kapazitätsmarktes, der alle Flexibilitäten umfasst, ist unerlässlich. Last-, Speicher- und Einspeiseflexibilitäten inklusive Kraft-Wärme-Kopplung müssen sich durch geeignete Digitalisierung und Bündelung an diesem Markt treffen. Erst dadurch ergibt sich eine Strategie für die Entwicklung des Energiesystems.“
Der Aufbau ist also kompliziert, und es gibt reichlich Unwägbarkeiten. Denn auch wie viel Strom genau für das deutsche Netz bei Dunkelflauten benötigt wird, hängt von Dutzenden Faktoren ab: zum Beispiel davon, wie viele Elektroautos bis 2030 auf deutschen Straßen fahren; ob diese durch sogenanntes bidirektionales Laden unter Umständen zur Grundversorgung beitragen können, indem sie zu bestimmen Zeiten ihren Autostrom ins Netz einspeisen; es hängt davon ab, wie viele Wärmepumpen künftig zum Einsatz kommen; oder von flexiblen und digitalisierten Stromnetzen, dem Rückgrat eines modernen und intelligenten Energieversorgungssystems. Und dies sind nur einige wenige Faktoren.
„Der Monitoringbericht der Bundesnetzagentur zur Versorgungssicherheit geht von sehr optimistischen Annahmen aus – zum Beispiel, dass neue Verbraucher und Speicher flexibel am Markt auf Signale reagieren“, erklärt Rehtanz. „Die Umsetzung der hierzu notwendigen Digitalisierung hinkt jedoch seit Langem hinterher und die dementsprechenden Marktmechanismen wären Teil eines noch zu erarbeitenden Kapazitätsmechanismus.“
Neue Kraftwerke, die als Teil des zukünftigen Kapazitätsmechanismus entstehen, dürften erst in der ersten Hälfte der 2030er-Jahre in Betrieb gehen, sagte Staatssekretär Philipp Nimmermann, „Neubauten und Modernisierungen nach dem Kraftwerkssicherheitsgesetz erwarten wir hingegen schon ab etwa 2030 im Markt.“ Diese neuen Kraftwerke sollen vorrangig in Ländern wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland entstehen, also weit entfernt von den großen Windparks Norddeutschlands, wo derzeit die meiste grüne Energie her stammt. Das soll die Stabilität im Stromnetz erhöhen und Kosten senken, die entstehen, wenn Kraftwerke ihre Leistung anpassen müssen, teils abgeschaltet werden, um Engpässe im Stromnetz zu vermeiden.
Großspeicher als Stütze notwendig
Während Deutschland gleichzeitig an vielen Baustellen arbeitet, gibt es jedoch auch gute Nachrichten. Denn das Land braucht nicht nur neue Kraftwerke oder intelligente Netze, um den Bedarf besser zu ermitteln und zu steuern, sondern auch Speicher, die die Energie der Erneuerbaren flexibel auch bei Dunkelflauten ins Netz einspeisen. Eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Energiesysteme lässt nun hoffen: Die Kosten für Solarparks inklusive eines Batteriespeichers sinken unter diejenigen von herkömmlichen fossilen Kraftwerken. Laut ISE kostet ein Megawatt fossiler Energie derzeit 8,8 bis 15 Cent in der Herstellung, Solarenergie aus Anlagen mit Speichereinheit liegen bei nun sechs bis 10,8 Cent. Und sie werden profitabler: Je größer die Anlage mit Speicher, desto flexibler wird sie, insbesondere bei hoher Nachfrage. Weil Solarenergie derzeit boomt, könnte an dieser Stelle ein erstes Argument für sinkende Strompreise zu finden sein.
Den Löwenanteil aber übernehmen weiterhin Windkraftanlagen. Auch für sie werden Speicheranlagen immer wichtiger, um überschüssige Energie längerfristig zu speichern. Hinzu kommen private Speicher in den deutschen Haushalten, die Energie der Photovoltaik-Anlage verfügbar halten. Der Bundesverband Energiespeicher-Systeme (BVES) beziffert den Umsatz der Branche für Energiespeicher 2023 auf fast 16 Milliarden Euro, ein Plus von 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Tendenz weiter deutlich steigend. Treiber dieses Umsatzes sind weiterhin die deutschen Privathaushalte. Mehr Speicher bedeuten auch mehr Unabhängigkeit von Preisschwankungen auf dem Strommarkt. Auch dies könnte in Zukunft die Preisfindung am deutschen Strommarkt zugunsten der Verbraucher verändern. Noch gibt es zu wenige, auch zu wenige Großspeicher, ein Grund, warum Windräder an manch windreichen Tagen stillstehen. Die Netze verkraften die hohe Kapazität nicht.
Wasserstofffähige Gaskraftwerke als mittelfristiges Rückgrat, Großspeicher als zusätzliche Stütze, digitalisierte Netze für mehr Transparenz – auf diese Weise kann das Energiesystem Deutschlands langfristig in eine erneuerbare Zukunft schauen. Auch wenn gerade mal nur ein laues Lüftchen weht.